Dierk Suhr: "Die Alchemisten"

Goldmacher, Heiler, Philosophen


Scharlatane oder Wegbereiter moderner Naturwissenschaft?

Der Alchemie haftet nicht erst in heutiger Zeit der Ruch von Hexerei, Scharlatanerie und handfestem Betrug an. Schon Justus Liebig, einer der bedeutendsten Chemiker des 19. Jahrhunderts, fühlte sich verpflichtet, in seinen "Chemischen Briefen" eine Lanze für die Alchemie zu brechen, die sich keineswegs auf die Goldmacherei beschränke. Tatsächlich führte die Alchemie zu zahlreichen Entdeckungen und Erkenntnissen, auf denen die exakten Naturwissenschaften aufbauen konnten. Nicht zuletzt war die Entdeckung der Porzellanherstellung in Europa ein Nebenprodukt der Suche eines Alchemisten nach dem Stein der Weisen - und füllte dessen Herrn, August dem Starken, die Kassen wesentlich nachhaltiger, als ein paar Kilo Gold es vermocht hätten.

Dierk Suhr vollzieht in seinem Buch die Geschichte der Alchemie von ihren Anfängen in der Vorgeschichte und der Antike, insbesondere in Ägypten und im alten Griechenland, bis in die heutige Zeit nach. Die Ursprünge sind mit denen der Metallurgie verquickt, und die Umwandlung von anderen Metallen in Gold durch den Stein der Weisen (im Grunde die Beschleunigung eines damals als natürlich angesehenen Vorgangs) blieb bekanntlich lange ein zentrales Anliegen. Nicht minder interessant als die Geschichte der Suche nach dem Stein der Weisen ist jedoch die Entwicklung des philosophischen Aspekts der Alchemie, in den neben den großen griechischen Lehren zum Beispiel die Gnosis einging. Parallel dazu verzeichnete die Alchemie immer wieder Fortschritte als Vorläuferin der Naturwissenschaft und Medizin. Während sie in Europa Jahrhunderte lang stagnierte, wurde sie im islamischen Kulturkreis weiterentwickelt und gelangte über die jüdische Kabbala aus Spanien ins restliche Europa, wo sie wiederum neue Wege beschritt - man denke nur an Paracelsus. "Neue" Metalle wie Wismut und Antimon wurden gefunden und machten ein Umdenken notwendig. Doch erst im Zuge der Aufklärung und vor allem durch Antoine Lavoisier, der das Phänomen der Verbrennung richtig interpretierte und der alchemistischen Phlogiston-Theorie den Todesstoß versetzte, wurde die Alchemie rasch von der exakten Naturwissenschaft Chemie verdrängt.
Der Autor beschreibt die Geschichte der Alchemie sowohl chronologisch im Abriss als auch anhand von Kurzbiografien vieler bedeutsamer Persönlichkeiten, darunter Kirchenväter wie Albertus Magnus und Thomas von Aquin, Naturwissenschaftler wie Newton, die von der Alchemie fasziniert waren, einige Betrüger wie Cagliostro und Naturphilosophen wie Goethe. Den Leser erwartet eine Reihe überraschender Erkenntnisse.
Einige Beispiele, etwa die Homöopathie und die anthroposophische Medizin, zeigen, dass manche Aspekte der Alchemie auch heute noch aktuell sind; die Homöopathie etwa enthält unter anderem Elemente aus dem Gedankengut des Paracelsus und den hermetischen Schriften. Die moderne Chemie hingegen hat sich von ihrer Mutterwissenschaft recht weit entfernt. Sie erleichtert das Leben und Überleben zum Beispiel durch Düngemittel und Kunststoffe aller Art, birgt aber auch Risiken wie Umweltverschmutzung und schwerwiegende Unfälle - siehe Bhopal und Seveso.
Dieses Buch vermittelt vor allem einen Eindruck von der Komplexität der Alchemie und den unterschiedlichen und nicht selten widersprüchlichen Strömungen, die diese Wissenschaft im Lauf der Zeit prägten. Da der Autor Wert auf eine objektive Darstellung legt - subjektiv sind allenfalls die jeweiligen zeitgenössischen Quellen -, gelingt es ihm, die Faszination der Alchemie verständlich zu machen und Vorurteile zu beseitigen, auch wenn die "Holzwege" der historischen Wissenschaftler natürlich aufgezeigt werden. Bei aller Sachlichkeit (wollte man wesentliche Stellen anstreichen, so wäre nach der Lektüre wohl fast der gesamte Text markiert) ist das Buch angenehm und kurzweilig zu lesen und auch ohne Vorkenntnisse sehr gut verständlich. Obwohl der Autor praktisch alle Aspekte seines weitläufigen Themas erläutert, kommt der rote Faden an keiner Stelle abhanden. Zahlreiche schöne zeitgenössische Illustrationen lockern den Text auf.
Gelegentlich hätte ich mir ein Register gewünscht, um einen in einem anderen Kontext bereits erwähnten Begriff nachzuschlagen. Ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis ist hingegen vorhanden.
Das sehr ansprechend gestaltete Buch - nicht umsonst hat es einen goldfarbenen Einband - bietet somit einen hervorragenden Überblick über die Geschichte der Alchemie mit allen ihren Bereichen und eignet sich sowohl für Naturwissenschaftler, die sich über die Vorläuferin der Chemie informieren möchten, als auch für nicht Fachkundige, die ganz einfach Interesse an dieser spannenden Wissenschaft haben.

(Regina Károlyi; 04/2006)


Dierk Suhr: "Die Alchemisten"
Jan Thorbecke Verlag, 2006. 176 Seiten.
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Ein weiteres Buch des Autors:

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