Alaa al-Aswani: "Der Jakubijân-Bau"
Roman aus Ägypten
Ein
Erfolgsbuch aus Ägypten, das einen langen Weg hinter sich
brachte, bevor es auch im deutschsprachigen Raum
Leser erwartet, die Alaa al-Aswanis Werk in der Übersetzung
von Hartmut Fähndrich erleben wollen.
In Ägypten wurde "Der Jakubijân-Bau" bereits im Jahr
2002 veröffentlicht und fand dort viele Anhänger,
aber auch viele Gegner, die den Roman scharf verurteilten. Den Sieg
trugen jedoch die Begeisterten davon, und so erschien das Buch 2004 in
englischer und Anfang 2006 in französischer Sprache, bevor der
Film zum Buch, überraschenderweise selbst eine
ägyptische Produktion, im Sommer 2006 in die
ägyptischen Kinos kam.
Doch worum geht es eigentlich in diesem
Buch, dessen Verfilmung schon vor dem Kinostart auf dem Berliner
Filmfestival, in Cannes und New York zu sehen war?
Alaa al-Aswani macht den Jakubijân-Bau, ein
tatsächlich existierendes Gebäude in der Kairoer
Innenstadt, zum Zentrum seines Romans, der das Leben, die Sorgen und
Probleme der einzelnen Bewohner einfängt. Arme und Reiche
wohnen hier nah beieinander, die Einen in luxuriösen
Wohnungen, die Anderen in gerade einmal vier Quadratmeter umfassenden
Kammern auf dem Dach des Hauses, die einst als Unterkünfte für
Bedienstete eingerichtet wurden. Irgendwann vermieteten die Bewohner
sie mehr oder weniger eigenmächtig untereinander,
installierten sanitäre Anlagen und übernahmen gleich
mehrere Kammern auf einmal, und so ist ein Eigenleben auf dem Dach des
Hauses selbst entstanden, infolge dessen abends ganze Familien
zusammentreffen und plaudern, wie man dies sonst von
dörflichen Verhältnissen erwarten würde.
"Der Jakubijân-Bau" erzählt unter Anderem die
Geschichte Saki Bey al-Dassûkis, womit der Roman auch
beginnt. Saki Bey ist als Lebemann bekannt, der den Frauen derart
zugetan ist, dass er ihnen unmöglich widerstehen kann und
intime Stunden mit ihnen in seinem Büro verbringt.
Abascharôn, Saki Beys diskreter "Butler", richtet
für solcherlei Treffen alles Nötige, doch
führt auch er ein Eigenleben. Eines seiner Ziele ist es,
seinen Bruder Malak in einer der Dachkammern einquartieren zu
können, damit Malak dort eine Hemdschneiderei
eröffnen und führen kann.
Der Roman erzählt ebenso die Geschichte des
Immobilienwächtersohnes Taha, der zunächst durch vor
allem romantische Gefühle geleitet wird. Für die
Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches, an der Polizeiakademie
angenommen zu werden, betet Taha inbrünstig, gibt sich stets
demütig und lässt sich auf keinerlei Provokationen
ein. Als sein Traum jäh endet, weil man ihn trotz aller
bestandenen Prüfungen aufgrund des väterlichen
Berufes nicht an der Akademie zulässt, zerbricht sein
Lebenstraum. Buthaina al-Sajjid, Tahas Kinderliebe, mit der ihn das
kindliche Versprechen zur Ehe verbindet, das beide bis über
das pubertäre Alter hinaus bewahrt haben, vermag ihn nicht zu
trösten, vielmehr wendet sie sich von ihm ab, und Taha bleibt
schließlich nichts. Vom Leben enttäuscht, schreibt er
sich als Student ein und macht an der Universität die
Bekanntschaft hochgradig rechtschaffener Muslime, die ihm
schließlich Scheich Schâkir vorstellen, einen
geistigen Führer, der den islamistischen Terror predigt - und
Taha folgt ihm immer bedingungsloser, um seine Pflicht, den
Dschihâd, zu erfüllen.
Buthaina hingegen hatte nicht, wie Taha glaubte, mit ihm gebrochen,
weil ihre Gefühle einfach so aus einer Laune heraus erloschen
wären. Scham und Wut über ihre Situation sind es, die
die junge Frau immer weiter von der Kinderliebe entfernen. Um die
Familie zu ernähren, ist Buthaina nicht nur gezwungen zu
arbeiten, sondern sie muss die Anstellung auch in jedem Fall behalten -
ein Bestreben, das schwierig ist, da doch jeder Arbeitgeber schon nach
kurzer Zeit versucht, ihr zu nahe zu kommen. Schließlich ist es Buthainas Mutter selbst, die ihre Tochter anmahnt, einen Weg zu finden,
bei dem sie Jungfräulichkeit und Arbeitsstelle zugleich
behalten kann. Unterwiesen wird Buthaina bei diesem Unterfangen von
anderen jungen Frauen, die sie lehren, ihren Körper zur
Befriedigung der Chefs zur Verfügung zu stellen, ohne dabei
die Jungfräulichkeit zu verlieren - eine Doppelmoral, die
Buthaina lange Zeit schwer zu schaffen macht.
Doch noch mehr Individuen leben im Jakubijân-Bau: der
homosexuelle Hâtim Raschîd beispielsweise, der als
Chefredakteur einer französischsprachigen Zeitung sehr
erfolgreich ist, in emotionaler Hinsicht jedoch viele Probleme hat. So
führt er zwar eine Beziehung mit einem jungen Mann namens
Abduh, der jedoch führt dieses Verhältnis in erster
Linie wegen der materiellen Entschädigung, mit der er Frau und
Kinder ernähren kann. Immer wieder wendet sich Abduh von
Hâtim ab, und irgendwann drohen Hâtim die Mittel
auszugehen, die Abduh an ihn binden können.
Noch am wenigsten tragisch ist das Leben Hagg Muhammad Asâms,
eines Neureichen, der schließlich den Sprung hin zum
Parlamentarier schafft - denn mit Geld lässt sich nahezu alles
kaufen. Obwohl gewiefter Geschäftsmann, ist Hagg doch
augenscheinlich stets bemüht, in jeder erdenklichen Situation
seines Lebens den Regeln des Korans folgen, und er scheut sich auch
nicht, im Zweifel jedes Problem dem Scheich seines Vertrauens
vorzutragen. Dieser jedoch unterbreitet Hagg schließlich
einen Vorschlag, der diesen langfristig in Schwierigkeiten bringt -
allerdings nicht unbedingt zum Leidwesen Haggs, sondern zu dem Dritter
...
Obwohl die meisten Hauptfiguren des Buches in der vorangegangenen
Inhaltsbeschreibung skizziert wurden, ersetzt dies keineswegs die
Lektüre des Romans, denn Autor Alaa al-Aswani hat jeder Figur
seines Romans einen vielschichtigen Charakter mit auf den Weg gegeben.
Auf nur 365 Seiten erweckt er sie alle zum Leben und macht sie zu
Personen, mit denen sich der Leser identifizieren kann, die er ein
Stück ihres Weges begleiten und - am wichtigsten - deren
Handeln er ein wenig nachzuempfinden lernt.
"Der Jakubijân-Bau" beschreibt den ägyptischen
Alltag so, dass sich auch jeder Europäer und - im vorliegenden Fall
- deutschsprachige Leser problemlos in die Erzählungen
hineindenken kann, auch wenn so manche Eigenart der schweizerischen
Rechtschreibung den Leser hier und da stutzen
lässt - man gewöhnt sich daran. Eine nur geringe
Hürde stellen die Namen der Protagonisten sowie einige
Holprigkeiten bezüglich der verwendeten Erzählzeit
dar, doch alles Andere ist kaum gewöhnungsbedürftig,
auch wenn der Stoff, aus dem der literarische Jakubijân-Bau
gemacht ist, ein schwerer ist.
Doch der Autor beschreibt alle Begebenheiten mit einer nie enden
wollenden Leichtigkeit, teils mit einem ehrlich gemeinten,
nostalgischen und liebevollen Augenzwinkern, teils durchaus satirisch
und entsprechend mit bitterem Nachgeschmack versetzt. Die fiktiven
Schicksale, die der Leser in diesem Roman miterleben kann, sind
authentisch und öffnen während der Lektüre des
Öfteren in mehrfacher Hinsicht die Augen.
Alaa al-Aswani thematisiert Tabus, vor allem die gängige
Doppelmoral hinsichtlich Sex und Religion, sowie die vorherrschende
Korruption in Ägypten. Er greift mitten hinein in einen Pfuhl
der Sünde, der Verzweiflung, der Berechnung und vergisst dabei
doch nicht den Blick auf die Möglichkeiten. Ob arm, ob reich,
ob rechtschaffen oder verlogen: Alle Charaktere sind
Kämpfernaturen, folgen ihrem Weg und ihren
Überzeugungen, und sie zu richten maßt sich der
Autor nicht offenkundig an. Der Leser mag das anders handhaben, aber
mit einer einzigen Ausnahme ist es wohl eher so, dass man die beim
Lesen zu beobachtenden Entwicklungen nachvollziehen oder gar verstehen
kann.
"Der Jakubijân-Bau" ist ein Roman, der die Realität
so nackt darstellt, wie sie ist, der sich nicht hinter Klischees und
Moralvorstellungen versteckt und keinen Charakter in ein Schema von Gut
und Böse presst. Es ist ein Buch, das zwischen den Zeilen
klare Stellung bezieht, ohne je polemisch zu werden. Es
schlägt eine Brücke nicht nur zwischen den
Charakteren, zwischen Armen und Reichen, sondern auch eine sehr
beachtliche zwischen Orient und Okzident.
Kurzum: Man sollte dieses
Buch wirklich unbedingt gelesen haben, wenn man sich für
Ägypten interessiert. Und wenn nicht, nun, dann sollte man es
gerade deshalb vielleicht ebenso unbedingt lesen.
(Tanja Elskamp)
Alaa al-Aswani: "Der Jakubijân-Bau"
(Originaltitel "´Imârat
Ya`qûbyân")
Aus dem Arabischen von Hertmut Fähndrich.
Lenos Verlag, 2013. 365 Seiten.
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Alaa al-Aswani, geboren 1957, die
bedeutendste Stimme Ägyptens, ist in Kairo als Schriftsteller, Journalist und
Zahnarzt tätig. Er wuchs neben dem Automobilclub von Kairo auf, wo sich seit den
1940er-Jahren Ausländer und reiche Ägypter trafen. Sein Roman entstand in
Erinnerung an seinen Vater, der im Automobilclub arbeitete. Al-Aswanis
literarisches Debut "Der Jakubijân-Bau" war ein internationaler Erfolg und zählt
zu den meistbeachteten Romanen der
arabischen Literatur. Mit seinen
literarischen und journalistischen Texten, u.A. für die "New York Times",
engagiert er sich für ein freies, demokratisches Ägypten. Während des arabischen
Frühlings war er jede Nacht auf dem Tahrir-Platz.
Ein weiteres Buch des Autors:
"Der Automobilclub von Kairo"
Ende der 1940er-Jahre herrschen im Automobilclub von Kairo unter den surrenden
Ventilatoren Extravaganz und Dekadenz: Paschas, Monarchen und Diplomaten gehen
ein und aus. Auch der König zählt zu den Stammgästen, er kommt regelmäßig zum
Pokerspielen und sucht die schönsten Frauen für die Nacht. Den Reichen zu
Diensten steht eine Armada von schlechtbezahlten, schikanierten Dienern,
Kellnern und Köchen - bis sie den Aufstand proben ...
In seinem Roman "Der Automobilclub von Kairo" erzählt Alaa al-Aswani von
Herrschaft und Diktatur und lässt einen Mikrokosmos lebendig werden, der für die
Zerrissenheit eines ganzen Landes, seiner Heimat Ägypten, steht. Sprachgewaltig,
nuanciert und verblüffend nah an unserer Gegenwart. (S. Fischer)
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