Salim Alafenisch: "Die Nacht der Wünsche"
"Wer von der Nacht der Wünsche gesegnet wird, hat drei Wünsche frei, die ihm Allah erfüllen wird, und in dieser Nacht sieht er die Welt verkehrt ..."
Wer Gefallen an Lektüre der
Machart von "Tausendundeiner Nacht" findet, ist mit "Die Nacht
der Wünsche" sicherlich gut bedient. Denn auch Salim Alafenisch umspannt
seine unterhaltsamen Kurzgeschichten mit einer Rahmenhandlung: Ein grausamer,
hartherziger Sultan ist nach der Ausrottung sämtlicher Wachteln innerhalb der
Grenzen seines Reiches nicht länger in der Lage, allnächtlich eine seiner
Frauen zu beglücken. (Wachteln als Potenzmittel ...) Da ist guter Rat teuer,
denn eine erbauliche jedoch schonende Ersatzbeschäftigung muss gefunden, das
Gemüt des Herrschers besänftigt werden. Ein Glück, dass die jüngste Frau des
Sultans, die gleichermaßen schöne wie kluge Zahra, über eine
außergewöhnliche Gabe verfügt.
Wenn der Sultan nicht in die Welt hinaus geht, dann muss die Welt eben zum
Sultan kommen ...
Wie von Schahrasad in "Tausendundeiner Nacht" grandios vorexerziert,
erweitert auch Zahra Nacht für Nacht (und Tag für Tag) den Wissenshorizont
ihres zunächst verstockt-weltfremden Gemahls, indem sie ihm in kunstvoll
gewobenen Geschichten die Sitten, Gebräuche und Schicksale der Menschen
nahebringt. Allerdings
wird umgehend deutlich, dass sich die Zeiten geändert haben, denn magische
Begebenheiten, grundlegende Elemente in "Tausendundeiner Nacht", sind
in "Die Nacht der Wünsche" spärlich gesät; Alafenischs Erzählerin
Zahra setzt offenkundig andere Schwerpunkte.
Der Sultan, zwangsläufig aus seinen der körperlichen wie geistigen Gesundheit
wenig zuträglichen Gewohnheiten gerissen, entdeckt, wie faszinierend Land und
Leute sind, welche Vielfalt sich außerhalb der Palastmauern ausbreitet.
Freilich steckt einige pädagogische Absicht hinter Zahras Erzählungen: die
Wertvorstellungen und das Weltbild des Sultans sollen in kleinen Dosierungen
verändert werden, während er den Fabeln, Mythen und Alltagsgeschichten
lauscht. Bekanntlich eröffnen sprechende Pflanzen und Tiere weitere
Perspektiven und ermöglichen es der Erzählerin, den Sultan buchstäblich
"durch die Blume" zu belehren.
Nach einigen mit Geschichten gefüllten Nächten wird der Sultan von der mutigen
Zahra dazu motiviert, einen prächtigen und weitläufigen Garten anlegen sowie
einen bescheiden dimensionierten Sommerpalast errichten zu lassen. Bepflanzt
wird der Garten mit allem, was die örtliche Flora zu bieten hat. Zimperlich
sind die Bediensteten des Sultans nicht bei der Beschaffung: die gewünschten
Gewächse werden kurzerhand ausgegraben, wo immer man ihrer habhaft werden kann.
Unter den solcherart flugs im Garten Versammelten befinden sich eine Palme, ein
Olivenbaum und ein Weinstock (der übrigens eine harte Lektion zu lernen hat),
deren Unterhaltungen Zahra belauscht und dem Sultan davon berichtet. Die
"rechtmäßigen Besitzer" dieser drei für sie einzigartigen,
unersetzlichen Pflanzen - wie es das (offenbar pädagogisch planende) Schicksal
will, handelt es sich um einen Beduinen, einen Bauern und einen Städter -
treffen nach aufregenden und entbehrungsreichen Reisen beim Sultan ein und
erzählen davon, was sie unterwegs, während sie auf der Suche nach ihren
geliebten Pflanzen waren, erlebt haben. Auch fordern sie aufgebracht die
Herausgabe der geraubten Pflanzen! Jeder der Männer entstammt einer anderen
sozialen Schicht, einem anderen Umfeld, und so liefert jeder auf seine Weise in
seinen Berichten Interessantes für den Sultan.
Ein wenig scheint in den Bindungen zwischen den drei Männern und der Palme, dem
Olivenbaum und dem Weinstock der Geist aus
Antoine
de Saint-Exupérys "Der kleine Prinz" durch, konkret hinsichtlich
der Einzigartigkeit "(s)einer" Rose. Hier wie dort ist die Botschaft,
dass der Mensch eher zu schätzen weiß, was für ihn von persönlicher
Bedeutung ist. Im Gegensatz zum "kleinen Prinzen" verlässt der
"große Sultan" jedoch seine Welt nicht, um etwas über die
Lebensweise und Eigenheiten anderer Wesen zu erfahren ...
Salim Alafenischs ebenso kurzweilige wie lehrreiche Geschichtensammlung bietet -
wie es sich für Märchen geziemt - u.a. Heiteres, Tragisches, Erotisches, vermischt mit
einer Prise Magie. Machen Sie es wie der Sultan: Holen Sie sich die Welt der
Beduinen, der Bauern und der Städter ins Haus, vernehmen Sie Geschichten von
Schlangenbeschwörern, Raubzügen und Gaunereien, Liebe, Hochzeiten und
schicksalhaften Fügungen. Entdecken Sie, welchen Anteil eine Wahrsagerin, eine
Handleserin und eine
Kaffeesatzleserin
am glücklichen Ende des Geschichtenreigens haben, warum es in der Wüste eine Mäusefamilie namens Apfel gibt,
wie es Zahra ergeht, und vieles mehr!
(kre; 05/2004)
Salim Alafenisch: "Die Nacht der Wünsche"
Illustriert von Rainer Simon.
dtv, 2004. 253 Seiten.
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Zwei weitere Bücher des Autors:
"Feuerprobe"
Salim Alafenisch erzählt eine Geschichte, die wie ein Zauber klingt, aber wahr
ist. Als Kind hat er sie selbst erlebt.
Salim Alafenischs Stamm in der Negev-Wüste wird von einer Nachbarsippe des
Mordes verdächtigt. Als alle Vermittlungsbemühungen scheitern, willigt der
Vater, der Scheich des Stammes, in die radikalste Wahrheitsprobe ein, die das
uralte Recht der Beduinen kennt: die Feuerprobe. Wenn sein ältester Sohn die
Feuerprobe besteht, gilt der Stamm als unschuldig. Wenn er sie nicht besteht,
müssen vier Männer zur Sühne sterben.
Nun beginnt ein Drama, das sich über viele Jahre hinzieht. Kriege ziehen ins
Land, das alte Leben der Beduinen wird umgewälzt. Doch zuletzt finden sich alle
wieder in der Hütte eines Feuerproberichters in Ägypten. Nach altem Ritual
führt er mit einer rot glühenden Pfanne den Wahrheitsbeweis, das Gottesurteil,
durch.
Das Geheimnis der Feuerprobe wird Salim Alafenisch nicht mehr loslassen. Er
reist zurück zum Feuerproberichter und erforscht dieses Ritual, das bis zum
heutigen Tag unter der Oberfläche der Moderne weiterlebt. (Unionsverlag)
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"Die acht Frauen des Großvaters" zur Rezension ...