Salim Alafenisch: "Die acht Frauen des Großvaters"


Was macht das Erzählen der orientalischen Erzähler so fesselnd? Ist es die Befriedigung aller kindlicher Zuhörgenüsse? Salim Alafenisch ist tief in dieser Kunst verwurzelt. Auch sein Studienaufenthalt und die Erlangung eines akademischen Grades an einer europäischen Universität haben ihn diese Kunst nicht vergessen lassen. Und so greift er nach wie vor zum Genuss des Lesers zur Feder und erzählt z. B. die Geschichte, wie sein Großvater zu seinen acht Frauen kam.

Und nun lieber Leser, tritt ein ins Beduinenzelt, um die Geschichte in der Geschichte zu hören. Wenn du den Genuss liebst, so lies diese Geschichte an acht Tagen, Stück für Stück, bis du alles erfahren hast über den Großvater, die acht Frauen, wer sie waren und was sie dachten.
Die orientalische Erzählweise in der auch die Situation, wie es zur Erzählung kam, mit dazu gehört und der Geschichtenerzähler als handelnde Person in Erscheinung tritt, ist in diesem Buch eine besonders liebevoll gestaltete Rahmenhandlung. Die beiden Kinder - eines davon Salim Alafenisch selbst als Ich-Erzähler - belagern ihre Mutter und drängen sie, eine Geschichte zu erzählen. Die Erzählerin weiß genau, welche Geschichte die Kinder so gerne hören wollen:

"Ihr wollt die Geschichte der acht Frauen des Großvaters hören? (...) Diese Geschichte ist keine einfache Geschichte. Sie ist länger als die anderen. Sie besteht aus acht Teilen. Jede Frau hat ihre eigene Geschichte. Eine Nacht würde nicht ausreichen, um sie alle zu erzählen."
- weiß die Erzählerin ihren Lohn auszuhandeln. Und so bringen ihr die Kinder jeden Abend Kamelmist für das Feuer, um in den Genuss der Familiengeschichte zu kommen. Und wie jede der acht Frauen des Großvaters ihr eigenes Zelt hat, so gehört ihnen auch jeweils ein eigenes Kapitel in diesem Buch. Familienbande, Hochzeitsbräuche, spannende geschäftliche Verhandlungen sind die Essenz dieser Erzählungen und werden von politischen Einschnitten in das Beduinenleben und Naturkatastrophen begleitet. 
In einem schmalen Band sind diese Erzählungen rund um das Leben einer Beduinenfamilie versammelt.

Stilistisch dicht, herzlich und voll Humor hat Salim Alafenisch das Leben in der Wüste wiedergegeben. Ein fesselnder kurzer "Ausritt" in das ferne Land für den Leser.

(Die Prinzessin; 04/2004)


Salim Alafenisch: "Die acht Frauen des Großvaters"
Unionsverlag, 2004. 176 Seiten.
ISBN 3-293-20284-5.
ca. EUR 8,90. Buch bestellen

Salim Alafenisch wurde 1948 als Sohn eines Beduinenscheichs in der Negev-Wüste geboren. Als Kind hütete er die Kamele seines Vaters, mit vierzehn Jahren lernte er lesen und schreiben. Nach dem Gymnasium in Nazareth und einem einjährigen Aufenthalt am Princeton College in London studierte er Ethnologie, Soziologie und Psychologie an der Universität Heidelberg. Seit langem beschäftigt er sich mit der orientalischen Erzählkunst und stellt sie in zahlreichen Autorenlesungen, Rundfunk- und Fernsehsendungen vor. Er liest seine Geschichten nicht vor, sondern erzählt sie frei. Heute lebt er als freier Schriftsteller in Heidelberg.

Ergänzende Buchtipps:

"Das Kamel mit dem Nasenring"
In einer stürmisch rauen Winternacht hält der Stammesälteste die Zeltbewohner mit einer Geschichte wach. Sie ist länger als ein Kamelhals, denn es ist die Geschichte dieses Beduinenstammes, der in unserem Jahrhundert Umwälzungen erlebt hat, wie noch keine Generation zuvor. Zuerst zerteilte der Suezkanal die Wüste. Dann kamen Sultane und Paschas, englische Kolonialoffiziere und moderne Gerichtsbeamte. Sie zogen Grenzen und brachten Gesetze, an die sich die Nomaden nie gewöhnen wollten. Salim Alafenisch berichtet augenzwinkernd vom gelehrten Esel, vom Kamel mit dem Nasenring, von Weltgeschichte und Nomadenleben in der Negev-Wüste.
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"Das versteinerte Zelt"
Der alte Musa ist ein berühmter Rababa-Spieler. Weit über die Stammesgrenze hinaus erfreuen die Klänge seiner Musik viele Herzen. Geboren wurde der Stammesmusiker in der Zeit der Kamele, in der Zeit der Zelte wuchs er auf, und nun sollte der alte Musa den Rest seiner Tage in der Zeit der Steine verbringen: Sein Stamm will die schwarzen Zelte aus Ziegenhaar gegen Steinhäuser eintauschen. Aber die Zeit der Steine bringt gewaltige Umwälzungen im Leben der Beduinen mit sich. Seitdem Musa mit seiner Frau Zaneh in das Steinhaus eingezogen ist, hört er auf zu träumen. "Vielleicht fühlen sich die Träume in den engen Mauern des Hauses eingesperrt", rätselt Zaneh. "Im Zelt aus Ziegenhaar sind die Träume frei. Sie können wandern und durch die Zeltlöcher rein- und rausschlüpfen."
"Lange wälzte er sich hin und her. Als der Mond über dem Zeltrücken stand, rollte der Schlafende vom Teppich. Mit ausgestreckten Armen und Beinen lag er im kühlen Sand und atmete tief. Der angestrengte Körper entspannte sich. Nach einer Weile erschien ihm der Stammesahn: 'Musa, mein Sohn! Jetzt bist Du der Erde wieder nahe! Spürst Du den Sand?' Wenige Augenblicke nach dem Besuch des Stammesvaters begann Musa nach langer Zeit wieder zu träumen. Es war ein langer Traum voller Bilder und Erinnerungen. Er begann in seiner Kindheit in der Zeit der Kamele und endete in der Zeit der Steine."
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"Der Weihrauchhändler"
Salem lernt die schöne Soraya bei der Getreideernte kennen. Sie tauschen Blicke, Botschaften und Geschenke und treffen sich heimlich am Brunnen. Doch nach der Ernte kommt der Abschied und die lange Zeit der Trennung. Es tritt ein, was Salem befürchtet hat: Nach zwei Jahren ohne Regen verbrennt die Sonne die Felder, das Wasser in den Brunnen wird knapp, und noch immer gibt es keine Ernte. Die Dürre trennt Salem von seiner Geliebten, und das Feuer der Liebe verzehrt ihn! Seine Sehnsucht ist größer als die der Erde nach Regen: Er füllt die Satteltaschen seines Esels mit Weihrauch und zieht von Feldlager zu Feldlager, um Soraya zu finden. Salim Alafenisch erzählt hier eine Geschichte von der Kraft der Liebe, die sogar über den Zyklus der Natur triumphiert.
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"Die Nacht der Wünsche" zur Rezension ...