Boris Akunin: "Die Bibliothek des Zaren"

Boris Akunins Krimiserien um Erast Fandorin und die Nonne Pelagia sind international bekannt. Mit "Die Bibliothek des Zaren" beginnt Boris Akunin eine weitere Krimireihe, diesmal mit einem Nachfahren Erast Fandorins als Hauptfigur. 


Nicholas Fandorin lebt als Historiker im heutigen England. Er hat von seinem Vater unter anderem die Hälfte eines Dokuments geerbt, das sein Vorfahr Cornelius von Dorn im 17. Jahrhundert hinterließ. Dieser war als Söldner nach Russland gekommen und begründete die Linie der russischen Fandorins.
Nicholas Fandorin erfährt, dass in einem russischen Archiv die andere Hälfte des Dokuments aufgetaucht ist. Er beschließt, das ihm völlig fremde "neue" Russland zu besuchen und anhand der alten Handschrift mehr über die Familie von Dorn-Fandorin herauszufinden.
Vom Augenblick der Einreise nach Russland an wechselt die Perspektive kapitelweise zwischen Nicholas Fandorin und Cornelius von Dorn hin und her, wobei sich überraschende Parallelen zwischen dem modernen und dem historischen Protagonisten auftun.

Fandorin gerät völlig unvorbereitet in den Sog der Ereignisse. Mehrere mit mafiosen Methoden arbeitende "neurussische" Großunternehmer jagen und schützen den englischen Historiker abwechselnd. Ganz im Gegensatz zu ihm scheinen sie von Anfang an zu wissen, um was es sich beim Objekt seiner Suche handelt.
Auch Fandorins Ahnherr ist zunächst mit den russischen Gepflogenheiten seiner Zeit gänzlich überfordert. Es gelingt ihm jedoch, eine gute Stellung zu ergattern. Diese führt ihn auf die Spur der seit Generationen verschollenen Bibliothek des Zaren Iwans des Schrecklichen, der Jahrhunderte später auch sein Nachfahr folgen wird ...

Die Handlung kommt etwas schleppend in Gang, doch bald findet Akunin zu seiner gewohnten erzählerischen Meisterschaft. Alle Perspektivwechsel erfolgen genau zur rechten Zeit, sodass der Leser aufgrund der Spannungsbögen das Buch kaum aus der Hand legen möchte. Das Buch hat eine starke satirische Komponente, die sich vor allem in der Darstellung des trottelig-naiven Engländers Nicholas Fandorin und der skrupellosen und trotzdem - zumindest in sentimentalen Augenblicken - irgendwie sympathischen Imperienbosse äußert. Kritisch, doch voller Patriotismus beschreibt Akunin sein Land von innen her, und dies im Rahmen eines hervorragend konzipierten Kriminalromans. Die Parallelen zwischen dem heutigen Russland und dem des 18. Jahrhunderts werden mit viel Humor aufgezeigt.

Die Übersetzung erscheint mir gut gelungen; es gibt keine sprachlichen Fehler außer ein paar Patzern im Umgang mit Verben. Beim Versuch, die moderne russische Umgangs- und Ganovensprache in eine deutsche Entsprechung umzuwandeln, hat die Übersetzerin es allerdings etwas zu gut gemeint - sie trifft die aktuelle Jugendsprache nicht recht und überfrachtet die Dialoge mit Ausdrücken, die vor zwanzig, dreißig Jahren modern-salopp wirkten, oder die aus ganz unterschiedlichen Dialekten und Bevölkerungsgruppen stammen. Das stört gelegentlich.

"Die Bibliothek des Zaren" ist meines Erachtens ein viel versprechender Start für eine neue und neuartige Serie von Akunin-Krimis!

(Regina Károlyi; 05/2005)


Boris Akunin: "Die Bibliothek des Zaren"
(Originaltitel "Altin Tolobas")
Aus dem Russischen von Birgit Veit.
Goldmann, 2005. 384 Seiten.
ISBN 3-442-45802-1.
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Boris Akunin ist das Pseudonym des 1956 geborenen Moskauer Philologen, Kritikers und Essayisten Grigori Tschchartischwili. Seit einigen Jahren schreibt er als Boris Akunin historische Kriminalromane, die in Russland außergewöhnlich populär sind. Den Auftakt bildete die noch nicht abgeschlossene Serie um den Ermittler Erast Fandorin. Auch erscheint im Rahmen seines Projekts "Kriminalromane aus der Provinz oder die Abenteuer von Schwester Pelagia" eine zweite Serie von Romanen um die kluge und gewitzte Nonne Pelagia, die in der russischen Provinz des 19. Jahrhunderts mit unkonventionellen Methoden Verbrechen aufklärt. Boris Akunin genießt heute in Russland geradezu legendäre Popularität, und auch seine deutschsprachige Leserschar wächst mit jedem Tag.

Lien: Netzseite von Boris Akunin (russisch)

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