Hans Meister, Gery Wolf: "Agricultur"

Es ist eine schöne und zugleich schwierige Aufgabe, Land zu bearbeiten, Lebensmittel herzustellen und Landschaft zu schaffen. Das Buch "Agricultur" von Hans Meister und Gery Wolf widmet sich diesem Thema. 


Hans Meister ist selbst Bauer, Lehrer und zählt zu den bekanntesten Agrarjournalisten Österreichs. Gery Wolf ist Fotograf und hat bereits mehrere Bildbände zu österreichischen wie anderen europäischen Regionen veröffentlicht. Das Buch selbst ist weder ein Lehrbuch noch ein reiner Bildband, sondern die Autoren versuchten Bilder und Text poetisch zusammenzufügen. Leider ist dieser durchaus lobenswerte Versuch nicht immer gelungen, und so manches Mal sieht der Leser keinen Zusammenhang zwischen dem jeweiligen Text und dem Bild. Trotzdem handelt es sich um ein unterhaltsames Buch, das das Auge und das Ohr ergötzen kann. 

Das Buch ist durch auffallend grüne Blätter mit Überschriften in drei Teile untergliedert. Der erste Teil nennt sich so wie das Buch selbst: "Agricultur". 
"Agricultur ist all das, was die Menschen befähigt, mit der Natur umzugehen und sich den Grundwerten der Natur anzupassen. Von der Natur zu lernen, Wissen zu sammeln, um mit ihr und von ihr zu leben." Die Bilder zeigen kreisförmig angepflanzte Sonnenblumen, die dem Betrachter ihre Köpfe zuwenden, saftig grüne Weizenfelder vor der Reife, blühende Obstbäume. Ebenso sind die Tiere ein wichtiger und nicht wegzudenkender Bestandteil der Agricultur. Stellen Sie sich einen Bauernhof vor. Sie werden Kühe sehen und ihr Muhen hören, Sie werden Schweine sehen und ihr Grunzen hören, Sie werden Hühner sehen und das Krähen des Hahnes hören. Das sind romantische Bilder, die zum Teil durchaus noch zutreffen. Aber zum Hof gehört auch die Technik, sowie der Traktor mit den Zwillingsrädern, der die Äcker pflügt. "Wer Land bebaut, bepflanzt, mäht, besät und beerntet, zeichnet ganz bestimmte Muster seiner Arbeit in die Landschaft. Auf diese Art und Weise erzählt jeder Landstrich die Geschichte seiner eigenen Agricultur, und jeder, der will, kann darin lesen." 

"Landschaft wird von Menschen am Land geschaffen, von unseren Essgewohnheiten, der Art der Lebensmittelherstellung und dem Stellenwert, den wir Umwelt und Natur einräumen." 
Der Bauer ist ein Gestalter, er gestaltet die Landschaft, er hat sie seit Tausenden Jahren verändert und ist immer noch dabei sie zu verändern. Mit der Axt fing er an, die Wälder zu roden, dann pflügte er seine Felder, trieb das Vieh auf die Weide. Am Acker- und Wiesenrand wuchsen Gestrüpp und Bäume, die Singvögel prächtig gedeihen ließen. Heute stören diese Strukturen, es wird eingeebnet, riesige Flächen entstehen, die mit großen Traktoren leicht zu bewirtschaften sind, die Tieren aber keinen Lebensraum mehr lassen. Und wie Holland zeigt, liegt die Zukunft vielleicht in Glaskuppeln, die das Wetter regulieren, ja teilweise natürliche Böden durch Kunstböden ersetzen. Andererseits stellen ursprünglichere Landschaftsformen ein starkes Kapital in der Tourismuswirtschaft dar und werden durch die heute wieder erstarkende romantische Betrachtungsweise des Landes gestützt und gefördert - Fördergelder für die traditionellen Streuobstwiesen mit alten Obstsorten sind ein Beispiel dafür. Luftaufnahmen österreichischer Landschaften zeigen besonders gut die Unterschiede zwischen den schmalen Feldern Niederösterreichs, den Weinbaugebieten und den Feldern, Wiesen und Streuobstwiesen der Alpenregionen. 
Ein beeindruckendes Bild des vorliegenden Buches zeigt vertrocknete, ausgedörrte Erde, die auf den ersten Blick wie die Oberfläche eines frisch gebackenen Bauernbrots aussieht. Geborgenheit vermittelt auch das Bild eines Flusses, der gesäumt von Bäumen noch in schlangenförmigen Windungen eine Landschaft mit geraden Äckern durchbricht. 
"Menschen nehmen Landschaft auf, mit jeder Mahlzeit, genießen und schaffen, spüren und riechen sie das Land." 
Noch im Mittelalter, bevor die Städte zu boomen begannen, waren etwa 98 Prozent der Bevölkerung Bauern, heute sind es noch 3 bis 5 Prozent. Maschinen haben die Massen an Knechten und Mägden ersetzt, die vielfach in die Städte und Handwerksberufe abgewandert sind. Dass diese kein so romantisches Leben geführt hatten, wie sich so manch einer vielleicht vorstellt, ist in wundervoller Weise bei Innerhofers "Schöne Tage" nachzulesen. 
Zurückgeblieben sind Höfe mit den Bauern, die nun keine Herren mehr sind, sondern Arbeiter. Und ein Bauer hat keinen Sonntag, wenn er Vieh hat, und keinen Urlaub. Wer Bauer ist muss arbeiten, meist von in der Früh bis spät am Abend, es findet sich immer etwas, das getan werden muss. 
Aber auch heute noch gibt es Veränderungen bei den Menschen, die das Land bestellen. Der Besitz des Acker- und Wiesenlandes und der Wälder geht in den Besitz Einzelner über, die wieder Leute anstellen. Und man denke nur an die USA, wo riesige Mähdrescherkolonnen im Süden mit der Ernte beginnen und einfach quer durch den Kontinent nach Norden bis Kanada mit ihren Maschinen vorstoßen. 
Auch das Bauernhaus ist ein wesentlicher Bestandteil der Landschaft. An den alten Häusern kann man gut erkennen, wie die Menschen gelebt haben, in welcher Umwelt sie sich behaupten mussten, welche Baumaterialien günstig zur Verfügung standen. Die riesigen Heustadel gibt es nur dort, wo es viel Viehwirtschaft gibt. In Weinbaugegenden bedarf es statt der hohen Scheunen Keller, die tief in die Erde reichen. 
Der Süden Europas baute in Stein, der Norden vielfach in Holz, heute ist es meist Beton. 

Das Buch "Agricultur" ist ein netter Versuch, sich dem Land und den Leuten, die es gestalten, zu nähern. Leider haben die Autoren zu wenig Wert auf den Zusammenhang zwischen den einzelnen Bildern und dem Text gelegt. Ebenso beinhaltet der Text mehr philosophische Gedanken der Autoren zu diversen Themen, als dass er auch hie und da Information liefert, welche die Leserschaft interessieren könnte. So gibt es im Buch auch kein Inhaltsverzeichnis und keinen Index. Für den Leser bleibt nicht nur die Frage offen, um welche wundervoll pink-färbigen Blumen es sich handelt, die auf einem Acker vor einem Dorf blühen, sondern alle Bilder bleiben unerklärt, was schade ist. Und abschließend bleibt noch zu bemerken, dass die amerikanische Schreibweise des Buchtitels zwar der Strömung entspricht, durch den Gebrauch des Englischen modern zu erscheinen. Aber wozu? Es gibt das im Deutschen schon länger bekannte Wort Agrikultur. Und es widerspricht sich auch, einerseits modern erscheinen zu wollen, andererseits sich aber immer noch der alten deutschen Rechtschreibung zu bedienen, wie es im vorliegenden Buch der Fall ist. 

(Ivan Kristianof; 11/2003)


Hans Meister, Gery Wolf: "Agricultur"
Stocker Verlag, 2003. 128 Seiten; etwa 130 Farbabbildungen.
ISBN 3-7020-1000-9.
ca. EUR 24,90. Buch bestellen