Monika Siedentopf: "Absprung über Feindesland"
Agentinnen im Zweiten Weltkrieg
Wenig
bekannte Heldinnen mit Patriotismus und Chuzpe
Dass während des Zweiten Weltkriegs gerade im besetzten
Frankreich viele Agenten operierten, zumeist in England ausgebildet,
ist eine relativ bekannte Tatsache. Viele von ihnen wurden in
Vollmondnächten von Flugzeugen abgesetzt und an den zuvor
vereinbarten Landeplätzen von
Résistance-Mitgliedern oder Kollegen abgeholt und in
vorläufige Verstecke gebracht. Dann verteilten sie
beispielsweise Sprengstoffe für Sabotageakte, organisierten
Aktionen der Résistance, bauten neue Agentenringe auf und
schlossen diese an das bestehende Netz an oder dienten als Funker.
Kaum jemand weiß jedoch, dass es sich bei etwa zehn Prozent
dieser mutigen Agenten um Frauen handelte. Viele von ihnen waren
Französinnen im englischen Exil, Engländerinnen, die
lange in Frankreich gelebt hatten, oder britische
Staatsangehörige mit einem französischen Elternteil,
denn für ihre Tätigkeit mussten sie die
französische Sprache perfekt beherrschen. Sie
gehörten der Sektion "F" (für "Frankreich") der
"Special Operations Executive" (SOE) an, die in Konkurrenz zu den
Geheimdienstabteilungen MI 5 und MI 6 stand.
In diesem Buch wird den Biografien der 39 Agentinnen
nachgespürt. Dazu gehört natürlich eine
Einleitung, in der nicht nur der Blitzkrieg gegen Frankreich, dessen
Besetzung und die Teilung des Landes kurz umrissen werden, sondern es
geht auch um die Haltung Englands gegenüber Frankreich und
Deutschland. Zudem beschreibt die Autorin die Methoden der Rekrutierung
und die Ausbildung der künftigen Agentinnen. Sie stammten aus
allen Schichten, eine von ihnen war sogar die Tochter eines indischen
Fürsten. Manche von ihnen wollten ihre im Krieg umgekommenen
Ehemänner oder Verlobten rächen, alle einten ihr
Patriotismus und der Hass auf die Deutschen, die das geliebte
Frankreich besetzt hielten und ausbluteten.
Den Hauptteil des Buchs machen die Einsätze der Agentinnen
aus. Viele liefen ähnlich ab. Das Ende der
Agententätigkeit unterschied sich jedoch auf dramatische
Weise: Zwei Drittel der Frauen überlebten, die meisten, weil
sie rechtzeitig nach England zurückgeholt wurden. Ein Drittel
endete in deutschen Konzentrationslagern wie Ravensbrück, weil
ihnen SD und Gestapo auf die Spur gekommen waren. Am meisten waren wohl
die Funkerinnen bedroht, weil ihre Signale beobachtet werden konnten.
Mehrere Agentinnen und Agenten wurden bereits bei der Landung
verhaftet; sie waren Opfer eines Doppelagenten geworden. Dessen
Aktivitäten, die zur Vernichtung des
größten Agentenrings in Frankreich führten
und zahlreiche Morde zur Folge hatten, führen pikanterweise in
englische Geheimdienstkreise: Es ging um ein strategisches Bauernopfer.
Die Autorin verfolgt die Spuren der ermordeten Agentinnen bis zu ihrem
jeweiligen erbärmlichen Ende in den Konzentrationslagern.
Den Agentinnen aus
James-Bond-Filmen ähneln die hier
porträtierten Frauen überwiegend nicht, auch wenn
einige von ihnen hochintelligent und schön wie Laufstegmodelle
waren; das Buch enthält Fotos eines Großteils der
Agentinnen. Viele stammten aus einfachen Verhältnissen, sie
ließen oft sogar ihre kleinen Kinder zurück, um sich
auf ihre Mission begeben zu können. Andere freilich hatten
bereits ein bewegtes Leben im Widerstand hinter sich, als sie
für die SOE angeworben wurden. Nicht selten kam es zu
Liebesbeziehungen unter männlichen und weiblichen Agenten.
Monika Siedentopf ergründet behutsam die Motivation und die
Persönlichkeiten der SOE-Agentinnen, denn beides
prägte ihre jeweilige Arbeit. Trotz ihrer relativ kurzen
Ausbildung konnten die Agentinnen sehr gut mit unerwarteten Situationen
umgehen, besaßen Chuzpe und Schlagfertigkeit; als Frauen
waren sie zumeist auch weniger verdächtig. Wurden sie gefasst,
so erwartete sie keine bessere Behandlung als die Männer: Sie
wurden brutal verhört und gefoltert, litten unter den
Haftbedingungen und fanden in den Konzentrationslagern entweder durch
unmittelbaren Mord den Tod oder durch Hunger und Seuchen.
Das Buch ist schon allein aufgrund der so unterschiedlichen,
dramatischen Biografien packend und bestürzend. Der Teil, in
dem es um die Aufklärung des Schicksals der gefangenen
Agentinnen nach ihrer Überstellung in die Konzentrationslager
geht, bedrückt natürlich besonders. Doch auch die
Verflechtung des britischen Geheimdienstes und der Politik in die
physische Vernichtung etlicher Agenten des Rings "Prosper" im Sinne
einer Täuschung der Deutschen zeigt, wie wenig ein
Menschenleben in Kriegszeiten selbst dem eigenen Staat wert ist.
Die Lektüre dieses aufwändig recherchierten und
spannend verfassten Buches lohnt sich für alle, die Interesse
an der jüngeren Geschichte und vielleicht speziell der Rolle
der Frauen darin oder aber an einer ungeschminkten Darstellung
früherer Agententätigkeit haben.
(Regina Károlyi; 12/2006)
Monika
Siedentopf: "Absprung über Feindesland. Agentinnen im Zweiten
Weltkrieg"
dtv, 2006. 199 Seiten.
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Monika Siedentopf, Jahrgang 1944, ist promovierte Historikerin und als Lektorin und Übersetzerin tätig sowie als Mitarbeiterin des "WDR".
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