Herbert Rosendorfer: "Deutsche Geschichte"

Ein Versuch
Der Dreißigjährige Krieg


Schritt um Schritt geht es munter weiter in der "Deutschen Geschichte" Herbert Rosendorfers. Der vierte Band von Rosendorfers deutscher Geschichte, diesmal zum 16. und 17. Jahrhundert, liegt mittlerweile vor und bleibt seinem Publikum - um nicht zu sagen: seiner Fangemeinde - einmal mehr keine Erwartung schuldig. Es ist eine stark gewürzte Schrift, purer Pfeffer mit einer festen Prise Salz. Auf dass man sich den Rachen nicht verätze, doch wer es so liebt, dem ist es ein Vollgenuss. Und einmal mehr ist evident: nicht spröde Wissenschaftlichkeit ist des Autors Metier, sondern die Lust an der Erzählung, verpackt in gewohnt brillante Polemik.

Kein Zweifel: Das kriegerische Geschehen ödet Rosendorfer an, weshalb er nur wenig über die Feldzüge jener bluttriefenden Epoche berichtet. Wer jetzt auch immer über wen auf diesem oder jenem Schlachtfeld obsiegte, war für die betroffenen Menschen angesichts der sonstigen Kollateralschäden ja auch nur von geringem Belang. Entscheidend für die zivilen Leidtragenden war in aller Regel das blinde Wüten der Soldateska, gleich ob Freund oder Feind, denn es galt der allemal verheerende Grundsatz: "Der Krieg ernährt den Krieg". Was jedwede Grausamkeit, beginnend beim eher noch harmlosen "Tulpenmachen" (Frauen und Mädchen wurden zum Gaudium der Söldner die Hände und dann die hochgehobenen Röcke über den Köpfen zusammengeschnürt) bis zum Bauchaufschlitzen und dem Niederbrennen der Gehöfte, mit einschloss. Egal für welche Partei sie fochten, die Heerführer und ihre Scharen hausten mit Mord und Brand, weshalb es Rosendorfer mit gutem Recht das geringste Anliegen ist, auch nur einen von ihnen, ob irgendwelcher militärischer Leistungen wegen, im Rückblick zum Helden zu verklären.

Der so genannte "Dreißigjährige Krieg" währte von 1618 bis 1648. So lehrt es ein jedes Schulbuch. Als Auslöser des Krieges gilt heute der (zweite) "Prager Fenstersturz" vom 23. Mai 1618 - eine klassische Eskalation diplomatischer Gesprächskultur, die auf dem Misthaufen endet; offizieller Schlusspunkt war die Unterzeichnung von Friedensverträgen am 24. Oktober 1648, bekannt als "Westfälischer Friede". Dass mit diesen chronologischen Eckdaten das Zeitgeschehen nur sehr vage umrandet ist, lässt sich leicht vermuten. Man könnte zur Not oder aus purer Beliebigkeit aus dem 28-jährigen Krieg (militärisch gesehen ging es erstmals in der Schlacht am Weißen Berg, am 8. November 1620, so richtig zur Sache) gut und gerne auch einen 50-jährigen Krieg konstruieren. Tatsächlich befand sich Deutschland seit dem frühen 16. Jahrhundert in einer Epoche des Aufbruchs, was für gestrenge Glaubens- und Ordnungswächter an sich schon einer Kriegserklärung gleichkam. Martin Luther schuf vermittels seiner Bibelübersetzung (die beileibe nicht die erste, jedoch die bedeutsamste war) nicht nur die hochdeutsche Schriftsprache (ein ausgewogenes Mittelding der verschiedenen lokalen deutschen Dialekte), sondern initiierte als Leitfigur der Reformation einen humanistischen Aufruhr von unabsehbarer Wirkkraft. Die Renaissance hielt Einkehr in die deutschen Lande, erweckte das Kritikvermögen der Menschen und ließ sie die finsteren Lehren des herrschenden Katholizismus hinterfragen. Anders gesagt: Der Bürger kommt zu sich, beginnt sich gegenüber den anmaßenden Herrschaftsansprüchen von Adel und Klerus zu emanzipieren, versteht sich zusehends als "Protestant", als Protestierer wider die religiös legitimierte Gesellschaftsordnung, ist Oppositioneller gegen den geltenden Glaubenskanon, soweit ihm nicht überhaupt seine Gottesfurcht abhanden kommt, und dass dieser Prozess des Mündigwerdens von den eingesessenen Machtträgern nicht einfach tatenlos hingenommen wird, das liegt auf der Hand.

Für Rosendorfer ist der lebenskulturelle Wandel jener Zeit als Vorgeschichte zum "Dreißigjährigen Krieg" von größerer Bedeutung als der Krieg im eigentlichen Sinne, weshalb er ihm auch breiten Raum in seiner Geschichtserzählung einräumt. Bis zum zündenden Ereignis des "Prager Fenstersturzes" ist das Buch beinahe schon zur Hälfte ausgelesen. Nicht der Krieg selbst, sondern die Vorgeschichte zum Krieg erklärt den besonderen Charakter jener traurigen Tage. Wobei freilich auch die Vorgeschichte alles Andere als unkriegerisch ist, doch bedurfte der römische Kaiser bzw. deutsche König in Gestalt des 1617 als König von Böhmen und 1619 als römischer Kaiser inthronisierten, seinem Wesen gemäß überaus bigotten Erzherzogs Ferdinand von Steiermark (für Rosendorfer in seinem katholischen Eifer "päpstlicher als der Papst") zuvor noch eines stabilen Nichtangriffsabkommens mit den Türken, um sich dem Aufruhr im eigenen Lande mit dem Schwerte in der Hand zu stellen.

Der "Dreißigjährige Krieg" ist ein Mythos des Schreckens. In der legendären Schlacht am Weißen Berg, am 8. November 1620, unterlag das Heer der protestantischen böhmischen Stände den Truppen der katholischen Liga, die, so überliefert es eine frömmelnde Mär, bei miserabler Ausgangslage ihren Sieg im Taumel katholizistischen Sendungsbewusstseins erfocht. Der Bürgerkrieg der Deutschen schien nach einem Siegeszug der Truppen der "Katholischen Liga" spätestens im Jahre 1623 einem raschen Ende zusteuern, wären da nicht die evangelischen Schweden ihren deutschen Glaubensbrüdern zu Hilfe geeilt und hätte sich - in späterer Folge - nicht die katholische Großmacht Frankreich gegen ihre Glaubensbrüder auf Seiten der Protestantischen Union eingemischt. Um die charismatischen Handlungsträger des eskalierenden Krieges, Gustav Adolf
Wallenstein oder Tilly, kommt auch ein Rosendorfer nicht herum, doch hält er die Betrachtung deren Treibens hintan, zumal für entartete Heere der Krieg sowieso bald schon zur Nebensache wird und aus der Zeit des Ringens erwachsende kulturelle Ideen (Religionsfreiheit; prallbusiges Barock; eine die "Fragwürdigkeit alles Irdischen" erhellende Dichtkunst; etc.) von gewiss höherer Bedeutung für den - trotz entfesselter Barbarei fortschreitenden - Prozess der Zivilisation sind. Trotz Krieges, so Rosendorfer, verbreitete sich die musikalische Form der Oper auf deutschem Boden. Ansonsten aber, so der Historiker, war es ein allumfassendes Elend, das jedoch nachdenklich stimmte. ("Simplicissimus")

Der "Dreißigjährige Krieg" brachte in erster Linie einen gewaltigen demografischen Aderlass mit sich. Nach Einstellung der Feindseligkeiten war die Bevölkerungszahl in den deutschen Landen zumindest halbiert, wenn nicht gar auf ein Viertel des Vorkriegsbestands abgesunken, wozu der ökologisch verfeinerte Radikalintellektuelle Rosendorfer ganz vorsichtig, aber letztlich doch, anmerkt, dass die Kriege insofern segensreich sind, als sie im Verein mit Hunger und Pestilenz der ohnedies heute drohenden Überbevölkerung der Erde entgegenwirken. Obgleich das für den Einzelnen, den es betrifft, natürlich tragisch ist. Auch gibt Rosendorfer nicht ganz frei von Zynismus zu bedenken, dass ohne den kriegsbedingten demografischen Knick ein Adolf Hitler statt über nur 78 Millionen vielleicht über 156 Millionen Deutsche (und Deutschösterreicher) gebieten hätte dürfen. So gesehen wäre der "Dreißigjährige Krieg" letztlich doch noch für etwas gut gewesen. An diesen Beispielen verdeutlicht sich einmal mehr die enthemmte Lust des Freigeistes Rosendorfer am unbändigen und, wie ich noch zu zeigen gedenke, mutigen Denken. Keine biedere Auffassung von wegen politischer Korrektheit fesselt sein Wort. Und zumal jener Krieg, den sein Buch zum Gegenstand hat, nicht nur ein Krieg um Hegemonie und Gleichgewicht war, sondern eben auch ein auf "Mönchsgezänk" (Kaiser Karl V.) zurückzuführender Religionskrieg, findet Rosendorfer als renommierter Kritiker institutionalisierter Religion ein besonders illustres Betätigungsfeld vor, dem er mit intellektueller Inbrunst frönt. Denn Schreiben bedeutet für Rosendorfer immer auch ein aufklärerisches Anschreiben gegen den dumpfen Aberglauben in Gestalt diverser Religionskulte. Wobei skandalösen Päpsten und wider jede Sinnenlust eifernden Mönchen ("Venus zeigte ihre Brüste, und Bacchus hob den Becher. Dann kam das Christentum, und es wurde finster.") gleichermaßen gelästert wird, wie jenem nervenkranken Kaufmann aus Mekka, der, nach den Worten Rosendorfers im ersten Band seiner "Deutschen Geschichte", eine Religion schuf, die, gemessen an anderen Religionen, mit ihrem - bis heute praktizierten - schlichten Belohnungs- und Bestrafungsdenken und der Absegnung des Fanatismus in Glaubensdingen, von geradezu griffiger Primitivität sei. Was hier wie dort den Erfolg von Religion bei den - als unmündig vorauszusetzenden - Massen bedinge.

Wer nun also in Fragen der Religion empfindlich ist und die Grenzen seiner (sodann bloß eitlen) Freigeisterei nach Maßgabe (oftmals gegenaufklärerisch geneigter) politischer Korrektheitsansprüche zieht, dem sei weder dieses Buch noch eine anderweitige Lektüre Rosendorfers empfohlen. Wer zudem Geschichtswissenschaft als knochentrockene, doch verklärende Erzählung der Taten großer Fürsten, Kirchenfürsten und ihrer Feldherren begreift, wer sich ganz generell lieber in Heldenmythen bettet, statt seinem Kritikvermögen freien Lauf zu lassen, auch diesem sei weder dieses Buch noch eine anderweitige Lektüre Rosendorfers empfohlen. Wer jedoch einen leichtfüßig tänzerischen Umgang mit Geschichte liebt, sich an scharfzüngiger, obgleich allemal seriöser, weil immer an fundierter Sachlichkeit orientierter und niemals einzig niederträchtiger Essayistik erfreut und überdies einen wachen Sinn für die (in der Tendenz derart zu charakterisierenden) Kriminalgeschichte der Weltreligionen hat, dem sei dieses Buch wie auch jede anderweitige Lektüre aus der Feder Rosendorfers unbedingt empfohlen. Und wenn Rosendorfer auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaft auch gewiss kein Kapazunder vom Format eines Joseph Rovan ist, so ist doch sein essayistischer Ansatz vergnüglich und bei aller Leichtigkeit überaus gelehrt und gelehrig. Ob der Lebendigkeit seiner Schreibkunst bleibt das sonst nur allzu Flüchtige im Gedächtnis des Lesers haften. Und allein schon dies scheint mir eine hochlöbliche Kunst zu sein, derer nur wenige Autoren in diesem Maße fähig sind.

(Tasso; 07/2006)


Herbert Rosendorfer: "Deutsche Geschichte. Band 4. Der Dreißigjährige Krieg"
dtv, 2006. 176 Seiten.
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Ein weiteres Buch des Autors:

"Vom Morgendämmern der Neuzeit bis zu den Bauernkriegen" (Band 3)

Im vorliegenden dritten Band seiner "Deutschen Geschichte" erzählt Herbert Rosendorfer vom ausgehenden Mittelalter und dem hoffnungsvollen Beginn eine neuen Zeit (1400 bis 1526). Er berichtet u. a. von den Hussitenkriegen, der klerikalen Borniertheit auf dem Konstanzer Konzil, von den Anfängen der Reformation, die sich in Windeseile ausbreitet, und von den Bauernkriegen und ihren fatalen Folgen. Ihn interessieren nicht nur die historischen Ereignisse an sich, er stellt auch die vielschichtigen Hintergründe dar wie z. B. den aufkeimenden Nationalismus, das kleinkarierte Handeln von Herzögen und Fürsten, die mit sehr begrenztem Blick vor sich hin wursteln, oder die im geistigen Morast versinkende katholische Kirche. Nicht zu vergessen die Menschen, ihre Lebensbedingungen, ihre wissenschaftlichen Fortschritte und kulturellen Errungenschaften, ihr Modebewusstsein, das von einem Knopf revolutioniert wird, und ihr wandelndes Selbstverständnis. Ein kurzweiliges Lesevergnügen. (dtv)
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