Peter Feldbauer, John Morrissey: "Venedig 800 - 1600"
Aufstieg, Expansion und Abstieg einer Weltmetropole
"Die
übliche Melange aus Diplomatie, Boykott und Gewalt ..."
Mythos
und historische Realität
Unter
der Prämisse, "noch" ein Buch über Venedig, allerdings
"ein anderes" zu schreiben, informieren die Autoren abseits morbid-romantischer
Illusionen in diesem ersten Band der Reihe "Expansion - Interaktion - Akkulturation"
in angenehmer Sprache und gut lesbarer Form, unter Einbindung zahlreicher anderen
Quellen entnommener Zitate, über das wechselhafte Schicksal der Serenissima zwischen
800 und 1600, beginnend bei den im Dunkel der Geschichte verborgenen Anfängen
der Dogenrepublik, den diesbezüglichen Legenden, an deren weiterspinnender Verbreitung
die Venezianer selbst beträchtlichen Anteil hatten, über das langfristig spannungsgeladene
Verhältnis zu den italienischen Rivalen Amalfi, Pisa und Genua, wie auch über
Venedigs Funktion als Drehscheibe im Handel zwischen West- bzw. Mitteleuropa,
byzantinischem Reich und islamischer Welt.
Weitere Kapitel sind folgenden Themenschwerpunkten
gewidmet: "Stützpunktkolonien - ein Trading Post Empire", "Kreta, Zypern und die Schwarzmeerküste - eine neue Form des
Kolonialismus?",
"Genua und Venedig - das große Duell", "Krisenszenario",
"Ein Mittelpunkt des Welthandels", "'Buon governo'? - Innenpolitik und
Weltmachtstatus", "Osmanen
und Portugiesen", "Terraferma - Landmacht Venedig", "Verlust der Vormacht" (Politischer
Abstieg, Ambivalenzen der Wirtschaftsentwicklung im 16. Jahrhundert, Stagnation
und Niedergang).
Geschmeidigkeit
- in dieser Eigenheit sehen die Autoren das Erfolgsgeheimnis der venezianischen
Politik ("flexible Diplomatie", "skrupellose Anwendung von militärischer
Gewalt")
und Wirtschaft ("mit geeigneten Mitteln Chancen sofort nützen",
"merkantile Expansion").
Eine These, die anhand zahlreicher geschichtlicher Begebenheiten vermittelt wird.
Ebenso
typische "Rohmaterialien" waren, neben einer effizienten Verwaltung, die außerordentliche
Geschäftstüchtigkeit der
Kaufleute,
welche mit einem zumeist untrüglichen Gespür für profitable Geschäfte ausgestattet
waren, sowie eine schlagkräftige Flotte.
Somit konnten einmal erworbene Privilegien
(z. B. Monopolstellungen) über einen längeren Zeitraum ausgebaut und verteidigt
werden. Venedig, staatlich souverän, verfügte bereits relativ früh über eine stabile
Verfassung, hohe Staatseinnahmen und eine kompetente Finanzverwaltung.
Das "Anfangskapital" der Stadt resultierte freilich nicht
nur aus Zwischenhandelsgewinnen oder dem "Standbein Fernhandel", sondern zu einem
Gutteil aus der Eintreibung von Protektionsrenten, Kaperfahrten und Krieg. Agrarkolonien
wurden "an der kurzen Leine" gehalten, um jedes Aufkeimen von Selbstständigkeit
hintanzuhalten und die Versorgung der Adriametropole (z. B. mit Getreide) sicherzustellen.
Zu den in jenen Tagen
bedeutenden Handelswaren zählten u. a. Salz, Silber, Holz,
Hanf, Mastix,
Wein,
Weizen, Baumwolle,
Seide, Gewürze, Zuckerrohr, orientalische Luxusgüter - und
Sklaven.
Aus
der reichen Fülle der historischen Ereignisse seien an dieser Stelle nur einige
angeführt:
Anno 814 musste
Karl der Große die Unantastbarkeit
Venedigs vertraglich akzeptieren, 828 wurden die Gebeine des Evangelisten
Markus
(die, unter Schweinefleisch verborgen, von Ägypten nach Venedig - in die nachmalige
'Markusrepublik' - verbracht wurden), erworben, etwa in diese Zeit fällt die
stetige Loslösung aus der Abhängigkeit von Byzanz, anno 1000 wurden die dalmatinischen
Küstenstädte unterworfen, die Verfassungsreform von 1172 führte zu innerer Stabilität,
1300 wurden die Sarazenen bei Bari besiegt;
Kreuzzüge,
der Erwerb Kretas ("Venedigs Kornkammer") im Jahr 1204, die 1346 nach Europa
eingeschleppte
Pest, der endgültige Untergang des Byzantinischen Reichs Ende
des 15. Jahrhunderts, der ungefähr in jene Zeit fallende Wirtschaftsaufschwung
in Norditalien, sodass Venedig in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts trotz
des Aufstiegs der Osmanen den Gipfel seiner Vormachtstellung im Welthandel erreichte.
Ab 1501, Vasco da Gama hatte den Seeweg nach Indien gefunden, schrumpfte Venedigs
Bedeutung als Umschlagplatz für Gewürze empfindlich, und im 17. Jahrhundert
folgte der allgemeine
Niedergang der Markusrepublik als Handels- und Hafenstadt
in einer veränderten politischen Welt der dominanten Großmächte.
Venedig hatte
seine Position als machtpolitischer Faktor eingebüßt.
Dr. Peter Feldbauer, Wirtschaftshistoriker, ist a. o. Universitätsprofessor am Institut
für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien; Schwerpunkt: Geschichte
der europäischen Expansion, vergleichende außereuropäische Geschichte.
Mag.
John Morrissey, ist AHS-Lehrer für Geschichte und Englisch, Universitätslektor
sowie Autor eines Triest-Reiseführers; Schwerpunkt: Geschichte des Mittelmeerraums.
(S. Gabriel; 02/2003)
Peter Feldbauer, John Morrissey: "Venedig 800 - 1600"
Mandelbaum, 2002. 180 Seiten.
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