David Schalko: "Bad Regina"


Einmal Schenkelklopfer mit aufgewärmtem Dürrenmatt

Der am 17. Jänner 1973 geborene geschäftsführende Gesellschafter der Firma "Superfilm", Fernsehsendungsgestalter, Regisseur (z.B. bei der anno 2024 ausgestrahlten österreichischen Miniserie "Kafka" nach Daniel Kehlmanns Drehbuch) und Autor David Schalko erzählt in "Bad Regina" weniger literarisch als filmisch eine Provinzposse mit zünftigen Anlaufschwierigkeiten, die in einem von allen guten Geistern verlassenen ehemaligen Nobelkurort angesiedelt ist und mit wenigen verbliebenen, zum Bersten mit Klischees vollgestopften Einwohnern, die allesamt umfassend ein- und vorgeführt werden, auskommen muss.
Darunter befinden sich ein hochintelligenter Knabe mit Folterfantasien, eine krebskranke ehemalige Kommunenangehörige und deren Tochter, ein standesbewusster Adelsspross, ein lächerlich dienstbeflissener Bahnwärter sowie ein grenzüberschreitend einfühlsamer Polizist und eine zu Handgreiflichkeiten neigende Masseuse, um nur einige der Figuren zu nennen. Menschliche inmitten menschgemachter Ruinen also.

Über viele, eigentlich zu viele Seiten wird um sich greifende Verfallsödnis abgebildet, vor allem am Beispiel der Hauptfigur Othmar. Dieser unfreiwillige "Häuptling" ist ein aufgedunsener Biertrinker, leidet unter Gichtschüben und Schmerzen im (vom in der Einkommensnot grauenhaft erfinderisch gewordenen Zahnarzt) ausgedünnten Gebiss, lebt verwahrlost mit einem Wachkomapatienten, dem am Ende eine erstaunliche Funktion zukommen soll, unter einem Dach und praktischerweise von dessen Geld, weil selbst nach dem Niedergang seines Lokals gänzlich antriebslos.

Seit Jahren unterbreitet ein Ortsfremder namens Chen Bad Reginas Immoblilieneigentümern unwiderstehliche Kaufangebote für deren Objekte, weshalb bereits die Mehrzahl der einstigen Einwohner ohne Abschied und ohne irgendetwas mitzunehmen das offenkundig unaufhaltsam sinkende Schiff verlassen hat. Warum dieser Herr Chen die erworbenen Objekte anschließend ungenutzt leerstehen und verfallen lässt, bleibt zunächst offen, doch sorgen die Vorgänge zunehmend für Unmut.
Der erpressbare Bürgermeister hat sowieso seine höchst profitable Geheimstrategie im Umgang mit der Situation, und als Bad Reginas verhältnismäßig aufgebrachte Einwohner tatsächlich einen verbrecherischen Plan aushecken, muss der Ortspolitiker im eigenen Interesse an vorderster Front mitwirken. Doch passiert im Verlauf der kollektiven Entführung des verhassten Strohmanns etwas Endgültiges, und nicht weniger schlimm ist jene Überraschung, welche die nach Tagen aus dem im Berg verborgenen Bunkerlokal strömenden, aller Sünden entledigten Verschwörer hautnah miterleben müssen ...

Der Ursprung der Ereignisse ist freilich in den 1940er-Jahren zu finden: Eine verbotene Kindheitsromanze, die jahrzehntelang auf einem anderen Kontinent bis ins Detail geplante Racheaktion eines zu enormem Reichtum gekommenen einstigen Heimatvertriebenen, dem in vielerlei Hinsicht übel mitgespielt worden ist. Und doch entwickelt sich sein Rückkehrauftritt ganz anders als von ihm erdacht - schließlich wartet die stets spechtelnde, daher über alles und jeden informierte Frau Zesch nicht umsonst schon seit so vielen Jahren auf den Tod. Und des vielleicht enttäuschten Kurzzeitrückkehrers wohl wirklich allerletzter Schachzug in der so oder so für alle Beteiligten verlorenen Schicksalspartie besteht darin, Bad Regina plötzlich mit Schwarzafrikanern zu bevölkern.

In Streeruwitzmanier hämmernde Sätze und ausufernde Dialogpassagen konstruieren eine bemühte Farce mit meist vorhersehbaren Entwicklungen, die brav nicht wenige zeitgeistige Literaturbetriebspflichtelemente (z.B. Geschlechtsumwandlung, Migranten, Nationalsozialismus) vermarktungsoptimiert mit althergebrachten Motiven (Heimat, Natur, krimineller Pfarrer, eigennütziger Bürgermeister, enervierender Schriftsteller usw.) verschmilzt und sich daher naturgemäß zwischen Extremen verfängt.
A propos naturgemäß: Praktischerweise ist einer der hartnäckig Ausharrenden glühender Thomas Bernhard-Anhänger, was man nicht nur an der um viel Geld ersteigerten angeblichen Originallederhose erkennt, sondern vor allem an Tiraden über Österreicher und Österreich, was immerhin stilistische Abwechslung bietet.

(Felix; 07/2024)


David Schalko: "Bad Regina"
Kiepenheuer & Witsch, 2021. 397 Seiten.
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