Hisashi Kashiwai: "Rückkehr ins Restaurant der verlorenen Rezepte"
Nette Kurzgeschichten mit Lokalkolorit
"Dass Familien nicht allein durch Blut fortbestehen können und ihre Traditionen sich nicht einfach so
vererben. Es braucht unbedingt die Handlungen von Menschen, die diese Traditionen aufrechterhalten und an jemanden weitergeben."
(S. 133)
Wie schon der Titel verrät, handelt es sich bei diesem Buch um das zweite einer
Reihe, die mit "Das Restaurant der verlorenen Rezepte"
(anno 2023 auf Deutsch erschienen) begonnen hat. "Rückkehr ins Restaurant der
verlorenen Rezepte" ist im Original bereits seit dem Jahr 2014 erhältlich.
Unscheinbar und nur aufgrund von Mundpropaganda zu finden, liegt die kleine aber feine Gaststätte des verwitweten pensionierten
Kriminalbeamten Nagare Kamogawa und seiner Tochter Koishi in Kyoto. Es werden
kulinarische Köstlichkeiten und anregende Gespräche geboten, jedoch keine Speisekarten.
Allerdings offeriert das gut eingespielte Vater-Tochter-Gespann in einem
überraschenden Bereich vortreffliche Dienstleistungen:
Verlorene Geschmackserlebnisse und die entsprechenden Rezepte werden bei Bedarf aufgestöbert; für den ehemaligen Kriminalbeamten offenbar die ideale Ergänzung
zu immer mit Herz und Seele kreierten, wortreich dargestellten Küchenkompositionen.
"Rückkehr
ins Restaurant der verlorenen Rezepte" ist eigentlich ein Paket von
sechs Kurzgeschichten, die dem immergleichen Verlauf folgen: Ein
neuer Kunde, für gewöhnlich mit heiklen persönlichen Problemen belastet, betritt die Gaststätte, wird exzellent bewirtet, sodann ins
Hinterzimmer gebeten, wo der jeweilige Suchauftrag erläutert und erteilt wird. Nach etwa
zwei Wochen kehrt der Kunde zurück und bekommt die Rechercheergebnisse
präsentiert bzw. serviert. Das eigentliche Auskundschaften, die mitunter
schwierige Suche nach längst verloren geglaubten Speisen und Rezepten, ist
eigentümlicherweise stets nur im Rückblick Thema, wenn Nagare
seinem Gast und Auftraggeber die Resultate garniert mit passenden Lebensweisheiten
auftischt und die manchmal allzu naseweise Tochter bei Gesprächen mitmischt.
Wobei der Kunde stets im Nachhinein selbst die Höhe des Honorars bestimmt.
Es entfaltet sich eine träge, beschauliche Atmosphäre, weil jegliche Aufregung,
ebenso wie die Katze Hirune, vor der Tür des Restaurants bleiben muss.
Literarische Schonkost gewissermaßen, reduziert auf Speisen, Getränke und
Unterhaltungen.
Sei es,
dass ein aufstrebender Leistungsschwimmer den früher täglich vom inzwischen in
Ungnade gefallenen Vater zubereiteten Imbiss endlich wiederschmecken möchte, dass
eine nach dem Tod des Gatten alleinerziehende Gourmetjournalistin für ihren Sohn
ein ganz spezielles Hamburger Beefsteak auftreiben will, dass ein Ehepaar eine bestimmte Weihnachtstorte wegen des verstorbenen Sohnes auftreiben muss,
dass ein Fotomodell für das alles entscheidende Essen mit dem Verlobten einen
genau nach dem damaligen Rezept der Mutter zubereiteten rosaroten Bratreis
benötigt, dass ein Geschäftsmann und Vater eines Sohnes mit Flausen im Kopf
dringend eine gewisse chinesische Nudelsuppe wiederfinden will, oder, dass eine
einst bekannte Schlagersängerin ein für sie quasi schicksalhaftes Tendon begehrt: Nagare Kamogawa sucht, findet, kocht
- und palavert.
Jedenfalls fließen reichlich Sake und Tränen, man liest von japanischen Tischsitten und staunt über die vom schriftstellernden Zahnarzt
Hisashi Kashiwai ebenso ausführlich wie detailreich geschilderte Vielfalt von Nagares Kochkünsten. Und
voraussichtlich wird der interessierte Leser bald erfahren, wie es mit dem
kulinarischen Detektiv und seiner - dann vielleicht endlich verheirateten? -
Tochter im Restaurant der verlorenen Rezepte weitergeht.
Die bislang offenbar aus Eigeninteresse mit Mangas und Animes befasste
Übersetzerin Ekaterina Mikulich hat sich also an neue Aufgaben gewagt. In
Kenntnis des ihrer Netzpräsenz, übrigens betrieben aus den Vereinigten Staaten
von Amerika, zu entnehmenden Leitspruchs, "Einer guten Übersetzung merkt man nicht an, dass sie eine Übersetzung ist. Als hätte der Autor sein Werk in der Sprache des Übersetzers geschrieben",
regt sich beim Leser ob des penetranten Dauergebrauchs ausgerechnet des
unappetitlichen Wortes "lecker" in der gegenständlich besprochenen Romanübersetzung
Unmut (und Anderes). Merkt die Übersetzerin doch in ihrer Netzpräsenz
auch vollmundig an: "Aber je nach Kontext das am besten passende Wort im Deutschen auszuwählen, erfordert ein tiefgehendes Wissen um die Bedeutungsnuancen der meisten oder möglichst
aller Wörter im Deutschen."
So ist es, und daher kommt wohl nicht wenigen
deutschsprachigen Lesern
bei "leck..." eine gewisse Stelle aus Goethes "Götz von Berlichingen" in den Sinn und keinesfalls etwas
Kulinarisches!
(Felix; 07/2024)
Hisashi Kashiwai: "Rückkehr ins
Restaurant der verlorenen Rezepte"
(Originaltitel "Kamogawa Shokudo Okawari")
Aus dem Japanischen übersetzt von Ekaterina Mikulich.
List, 2024. 256 Seiten.
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Hisashi Kashiwai, geboren 1952 in Kyoto, ist Zahnarzt und Leiter einer Zahnklinik in Kyoto. Nebenher schreibt er seit Jahren Bücher, die in seiner Heimatstadt spielen.
Sein Roman "Das Restaurant der verlorenen Rezepte" war
in Japan so erfolgreich, dass eine mehrbändige Serie folgte, die inzwischen auch verfilmt worden ist.
Lien zur Netzpräsenz der Übersetzerin:
https://ekamiku.com
Das erste Buch der Reihe:
"Das Restaurant der verlorenen Rezepte"
Nagare
Kamogawa und seine zwanzigjährige Tochter Koishi betreiben ein kleines Restaurant
in Kyoto. Kaum jemand kennt das Lokal, doch wer es dringend
braucht, findet es. Neben den traditionellen Köstlichkeiten der japanischen
Küche bieten Nagare und Koishi ihren Gästen nämlich einen besonderen Service an:
Sie kochen Gerichte nach, die man irgendwann einmal gegessen hat und deren
Rezept man nicht kennt. Mit detektivischem Spürsinn finden sie heraus, wie die
verstorbene Ehefrau ihre Udon-Nudelsuppe kochte, beschwören die verschüttete
Erinnerung an eine große Liebe herauf oder schenken mit dem Geschmack eines
Kindheitsessens Trost. (List)
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