Susanne Fischer: "Mein Föhr"
"Jetzt glitzert das Wasser
wie Tausende kleine Scherben, und ich ahne, dass mein Leben sich ändern wird.
Föhr wird von nun an dazugehören." (S. 10)
"Heißen die Einwohner von Föhr nun eigentlich Föhringer oder Föhrer? Julia Jacobsen sagt, dass man auf
Friesisch Feringer sagt, also könnte man das wohl mit Föhringer übersetzen, aber im Hochdeutschen sei Föhrer auch in Ordnung." (S. 129)
"Mein Föhr" ist ein weiterer sehr gelungener Band aus der
ansprechend persönlichen
Reihe über Inseln. Die 1960 in Hamburg geborene Autorin,
begeisterte Leserin, Spaziergängerin, Radfahrerin und geruhsame Urlauberin Susanne Fischer ist
Föhr seit vielen Jahren verbunden und kennt die Insulaner sowie das Eiland folglich bestens.
Föhr, Deutschlands zweitgrößte Nordseeinsel, liegt im nordfriesischen
Wattenmeer südöstlich von Sylt und östlich von Amrum.
"Manchmal hat man Angst, dass das alles unter der Fuchtel der Zukunftsfähigkeit wegplaniert wird." (S. 77)
Auf die rund 83
Quadratkilometer große Insel gelangt man mit Fähren, die von Dagebüll ablegen, und so beginnt die ebenso informative
wie unterhaltsame Reportage mit den Kapiteln "Auftakt" und "Überfahrt". Die Autorin,
damals verheiratet, allerdings Hals über Kopf außerehelich verliebt, reist auf die Insel, um Zeit mit dem
"Mannunterdemschirm" in einer Ferienwohnung für eine Person zu verbringen
und Klarheit in ihr Gefühlschaos zu bringen. Diese Ausgangssituation bildet
gewissermaßen die erzählerische Rahmenhandlung, die schließlich im Kapitel
"Jahrmarkt" ihr Beinahe-Bilderbuch-Ende findet.
Zwischendurch sind immer
wieder Passagen eingestreut, die Inselbewohner zu Wort kommen lassen; darunter
eine junge Rückkehrerin, die Modegestalterin Katharina und ihr Partner Fabian,
Klaus Sander, Verleger von Audiopublikationen, Janne und Julia Jacobsen, Inhaber
eines Ferienhofs, sowie Jörg Stauvermann, nicht nur auf Föhr bekannter
Ausstellungsgestalter.
Doch zunächst stehen während der
Anreise bunt gemischte Erinnerungen, nostalgische Betrachtungen und kritische
Selbsterkundungen ebenso im Blickpunkt wie stimmungsvolle
Umgebungsbeschreibungen und von Mitreisenden Aufgeschnapptes.
Tapfer hält
sich der "Mannunterdemschirm" an das anfangs auferlegte Schweigegebot,
hat er doch ganz konkrete, ernsthafte Absichten, und der gemeinsame Weg führt in
das anno 1919 eröffnete "Café Steigleder", laut Susanne Fischer ein magischer
Ort, wo man unbedingt einen Fensterplatz ergattern und Friesentorte, Zitronenrolle oder Lübecker Nuss bestellen
sollte.
Im Kapitel "Wyk" steht die Inselhauptstadt im Mittelpunkt, mit der
großen Holzstatue Fiete Föhr, dem Rathaus, dem Nordseehotel, allerlei Läden,
Lokalen, mit räuberischen Möwen, Unmengen an Fischbrötchen usw.
Susanne Fischer
kommentiert die unerfreulich fortschrittsverpflichteten Bausünden der Vergangenheit
und Gegenwart kritisch und setzt sich mit nur selten glückenden Modernisierungen
auseinander (z.B. im folgenden Abschnitt, der wohl generell für Urlaubsregionen
gilt: "Kann es sein, dass die Infrastruktur für Touristen ständig verbessert
wird, während sie sich für junge Föhrer verschlechtert? Der Wunsch, dort, wo man
herkommt, wo man arbeitet, eine angemessene medizinische Versorgung und
bezahlbaren Wohnraum zu finden, eine gute Kinderbetreuung und Freizeitangebote,
die nicht nur auf zahlungskräftige Sommergäste zugeschnitten sind, ist nicht nur
berechtigt, sondern im Interesse aller: Eine Insel, deren Bevölkerung irgendwann
nur noch aus Touristen und Saisonarbeitskräften besteht, ist tot." S. 59).
Das nächste Kapitel befasst sich mit öffentlicher Beschallung, also im weitesten
Sinn "Musik", einst und jetzt, abseits von "Frisia non cantat", also z.B. der
einstigen Föhrer Gruppe "Kalüün", dem Hafenfestival und Klangteppichen von Hauke
Nissen.
Die Föhrer Friedhöfe besuchte Susanne Fischer erstmals mit ihrem
neuen Partner, und die verwitterten Inschriften weckten anhaltende Neugier für
die Lebensgeschichten der Bestatteten (darunter Kapitäne und Walfänger).
Wohnen ist selbstverständlich ein Thema von allgemeinem Interesse;
Ferienwohnungen und Hotels, die Tücken gewisser Unterkünfte und die steigenden
Immobilienpreise ...
Auch der Strand und das Seebad sind wichtige
Inselthemen, denen sich Susanne Fischer mit historischen Betrachtungen widmet: Promenaden,
Wassersport, Strandcafés, Strandkörbe, Sanatorien, ein "verwunschener" Kurpark, ...
"Föhr war
lange dänisch, wobei die Verwaltungsverhältnisse nicht unkompliziert waren:
Westerland-Föhr gehörte zur dänischen Krone, Osterland-Föhr dagegen zum
Herzogtum Schleswig, das aber wiederum auch zur dänischen Krone gehörte, weil
der dänische König zugleich Herzog von Schleswig war. Dennoch wurden beide
Inselteile getrennt verwaltet - die Grenze ging mitten durch das Dorf Nieblum.
Noch heute werden als Folge der historischen Trennung zwei friesische Dialekte
auf Föhr gesprochen." (S. 75)
Dem Hallenbad "Aquaföhr" ist ein
eigenes Kapitel gewidmet, auch dem gezeitengeprägten Watt, diesem einzigartigen
Ökosystem, bevor der Abschnitt "Mandränke" die Geburt der Insel als Folge einer
gigantischen Sturmflut sowie archäologische Funde und Sicherungsmaßnahmen für
die Insel erläutert. Sodann wird der "November in Goting" geschildert, die Zeit
des Saisonendes mit speziellem Reiz, wobei dann monatelang fast alle Lokale
geschlossen bleiben.
Der Abschnitt "Utersum" stellt den im Inselwesten gelegenen
Ort vor, wo seinerzeit Hans Rosenthal wiederholt Urlaub gemacht hat.
Nicht nur Bernsteinfunde behandelt "Spülsaum", denn "Der Spülsaum ist die
magische Linie zwischen Strand und Meer, auf der sich herrenloses Gut finden
lässt." (S. 130); heutzutage wird nämlich bedauerlicherweise viel Müll
angeschwemmt.
"Die Godel", ein Marschenbach, gestaltet einen ganz besonderen
Naturraum, ideal für ausgedehnte Spaziergänge und Radausflüge.
Susanne
Fischer beschäftigt sich auch mit jenen Inseldörfern, die Touristen nicht selten
gänzlich verborgen bleiben: Nieblum, Witsum, Hedehusum, Dunsum, Borgsum,
Alkersum und Wrixum.
Bezüglich "Essen und Trinken" gibt die Autorin
detaillierte Empfehlungen und Ratschläge, wo man auf Föhr wohlschmeckende
Mahlzeiten genießen kann.
Besonders eigentümlich sind wohl die evangelischen
"Freizeitbegleiter", die sich allen Ernstes um diesbezüglich bedürftige Urlauber
kümmern! Susanne Fischer hat freilich stets individuelle
Freizeitgestaltungspläne.
Die Autorin hat auch Museen besucht und ihre
Eindrücke aufgezeichnet - und dann folgt bereits das romantische Ende.
"Mein Föhr" macht Lust auf die Insel! Susanne Fischer hat diese Lust quasi
vorgelebt und in ihrer wunderbaren literarischen Reportage festgehalten.
(kre; 10/2024)
Susanne Fischer: "Mein Föhr"
mare, 2024. 192 Seiten.
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Weitere Buchtipps:
Sina
Beerwald: "22 Touren auf Föhr, die man gemacht haben muss"
Wunderschöne Ausblicke, interessante Einblicke und garantierte Aha-Effekte:
Man sagt, wer zum ersten Mal auf die Insel reist, föhr-liebt sich sofort in die
friesische Karibik und kommt immer wieder auf das vielfältige Eiland. Selbst
Insulaner und Stammgäste werden auf diesen Touren bestimmt noch neue
Entdeckungen machen und spannende Hintergründe erfahren. Was hat es mit dem
Wyker Wetterfrosch auf sich? Was sind Oterbankis, welche Geschichten erzählen
die sprechenden Grabsteine, und wo findet man Colakraut? Entdecken Sie auf 22
Touren zu Fuß oder mit dem Fahrrad geheimnisvolle, versteckte, malerische und
genussreiche Wege und Orte auf Föhr. (Emons)
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Sina Beerwald: "111 Orte auf Föhr, die man gesehen haben muss"
Föhr gilt als die friesische Karibik, und wer die Tage dort am Strand verbracht
hat, stimmt begeistert zu. Doch die Insel hat noch viel mehr zu bieten als
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