Michel Houellebecq: "Einige Monate in meinem Leben"
Oktober 2022 - März 2023
"Die Gründe für mein
eigenes Handeln sind vielfältig. Ich weiß seit Langem, dass Rache und
Hass ein wirksamer Antrieb sind, oder ich hörte eher davon, ohne
Gelegenheit zu haben, es direkt zu erproben." (S. 88)
"Es war ein quälender Gedanke, dass die einzige Aufzeichnung, die
von meinem Geschlechtsleben bliebe, dem lebendigsten Teil meines
Lebens, ein mittelmäßiger Koitus mit einer trägen Sau sein sollte,
gefilmt von einem degenerierten Kakerlak, das Ganze unweigerlich von
absoluter Hässlichkeit. Ich verdiente etwas Besseres; jeder verdient
etwas Besseres." (S. 72)
"Wie man sieht, hatte sich meine Situation in den französischen
Medien verschlechtert: Meine Feinde waren noch erbitterter geworden,
meine Freunde hatten mich zum Teil verraten, vor allem aber stand es
außer Frage, mir das Wort zu erteilen. Über Ereignisse im Zusammenhang
mit mir konnte noch berichtet werden, solange sie ungünstig für mich
waren, aber mein eigener Standpunkt interessierte niemanden mehr. Doch
das war nicht das Merkwürdigste." (S. 100)
Ein Schriftsteller korrigiert sich - und schlägt auf Augenhöhe
zurück: Schluss mit lustig (?)
Zu verdauen gab es für Michel Houellebecq zuletzt nicht wenig, und so
begab er sich in eigener Sache auf die Suche nach der verdorbenen Zeit.
Im bis Seite 49 reichenden Kapitel "2022" analysiert Houellebecq
eingehend u. A. juristische Folgen einiger seiner Gespräche, Interviews
und Artikel zum Thema Muslime in Frankreich und liefert
Richtigstellungen zu von ihm stammenden Textpassagen ab.
Doch bereits ab Seite 17 legt sich der Schatten des von Houellebecq so
bezeichneten "Kakerlak" über den Rest des Buchs.
Dieses wurde am 16. April 2023 beendet. Wenige Wochen später konnte
Houellebecq im Amsterdamer Berufungsverfahren einen Teilerfolg erzielen,
denn "Kirac" muss ihm nun den Film vor Veröffentlichung präsentieren.
Houellebecq hatte vorgebracht, dass, falls sich "Kirac" nicht an die
Vertragsvereinbarungen gehalten habe, der Rufschaden bereits eingetreten
sei, sobald dieser Film im Internet verfügbar wäre.
Denn es ist keine von ihm ersonnene Romanfigur, deren Haut da zu Markte
getragen werden soll, sondern der sich betrogen fühlende Autor
höchstpersönlich. Als unmittelbar Betroffener agiert und formuliert man
bekanntlich anders als aus Romanerzählerperspektive, das gilt es
angesichts der Beschimpfungen mildernd zu berücksichtigen. Der mit
jemandem vom niederländischen "Kunstkollektiv Kirac" abgeschlossene
verhängnisvolle Vertrag, der rückwirkend (!) galt, ist übrigens im Buch
abgedruckt. Michel Houellebecq gibt an, bei Vertragsunterzeichnung unter
dem Einfluss von Beruhigungsmitteln und Wein gestanden, überhaupt
aufgrund seiner Schriftstellereitelkeit und Leichtgläubigkeit in diese
"Sexfalle" getappt zu sein.
Kaum zu beneiden ist Stephan Kleiner, der tapfere Übersetzer, musste er
doch die recht weitschweifige Nabelschau des fransigen Franzosen von A
bis Z abarbeiten. Abgesehen von einigen durchaus unterhaltsamen Passagen
handelt es sich bei "Einige Monate in meinem Leben" überwiegend um
sprachlich hübsch gestaltete, niveauvolle Selbstmitleidserkundung und
allerlei Rechtfertigungsansätze im Zusammenhang mit der außerhalb
Frankreichs und der Niederlande wohl nur - wenn überhaupt - mit
Kopfschütteln zur Kenntnis genommenen "Pornofilmaffäre".
Houellebecq, Jahrgang 1958, mutierte eigenen Aussagen zufolge ungewollt
zum Stachel in seinem eigenen Fleisch. Wie auch immer, das
zwischenmenschliche und juristische Hickhack mit einem niederländischen
Filmemacher ist hoffentlich inzwischen Geschichte, wie so viele andere
unter medialem Sirenengesang verbreitete Peinlichkeiten ab einer
gewissen Prominenzstufe. Nicht genug betonen kann der Autor seine
weithin bekannten Ansichten zu seiner eigenen lebenswichtigen
Sexualität, wobei er sich da womöglich mit heiklen Vergleichen erneut in
die Nesseln gesetzt hat. Provokationsversuch oder Interpretationsirrtum?
Das bleibt häufig die Frage.
Zahlreiche der von Houellebecq geschilderten Ereignisse,
Intellektuellenduelle und Begebenheiten mit Journalisten sind wohl
ausschließlich für Franzosen oder Zeitgenossen mit innigem
Frankreichbezug in voller Tragweite verständlich.
Abschließend eine kurze Anmerkung zur aktuellen Preisgestaltung gewisser
Verlage:
Der Preis pro bedruckter Buchseite verursacht manchem Käufer heutzutage
nicht selten Groll. Man zahlt unterschiedlich viel - die Betonung liegt
auf "viel" - je nachdem, wer die Buchseite befüllt hat. Das
gegenständlich besprochene Büchlein hat lediglich 107 Seiten, die
gebundene Ausgabe kostet in Österreich stolze 21,5 Euro, also rund 0,2
Euro pro Houellebecqseite. Ähnlich kurios ist der Preis für den
ebenfalls im Jahr 2023 erschienenen Band mit drei Erzählungen von
László Krasznahorkai mit dem Titel "Im Wahn der Anderen", nämlich
wuchtige 40,5 Euro in Österreich für die gebundene Ausgabe mit 256
Seiten. Somit kostet eine Krasznahorkaibuchseite rund 0,16 Euro.
Auffallend ist, dass die zweitgenannte Publikation als Digitalbuch in
Österreich "nur" 22,99 Euro kostet.
Ein Schelm, wer hierzulande überhaupt noch denkt, nicht wahr!?
(Felix; 12/2023)
Michel
Houellebecq: "Einige Monate in meinem Leben. Oktober 2022 - März
2023"
(Originaltitel "Quelques mois dans ma vie")
Übersetzt von Stephan Kleiner.
DuMont, 2023. 107 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen
Digitalbuch bei amazon.de
bestellen