Volker Reinhardt: "Voltaire"
Die Abenteuer der Freiheit. Eine Biografie.
Homme de lettre,
Philosoph und Aufklärer: ein abenteuerliches Leben auf "nur" 600
Seiten
Über François-Marie Arouet (1694 - 1778), der sich ab 1718 Voltaire
nannte, urteilten seine Lehrer im Jesuitenkolleg Louis-le-Grand, er sei
"vom Durst nach Berühmtheit zerfressen." Er selbst resümiert in
seiner ihm eigenen spöttelnden Art, er habe dort, in einer der
angesehensten Schulen Frankreichs, "außer Latein
nichts als Dummheiten" gelernt. Dieser Drang nach scharfzüngigem
und intellektuellem Hohn und mehr als landesweiter Bekanntheit durchzog
das gesamte Leben und spielte sogar in die Zeit vor seiner Geburt: Der
Sohn des bürgerlichen Juristen François Arouet und der adeligen Marie
Marguerite Arouet favorisierte ein früheres Geburtsdatum und damit eine
außereheliche Vaterschaft durch einen literarisch aktiven Adeligen.
Seine Moral beugt sich vor Renommee und Selbstbild - auch um den Preis
der Ehre seiner Mutter.
Am Ende von Voltaires langem Leben, das oftmals nahtlos zwischen der
Inhaftierung in der Bastille, der Aufnahme in Adelsschlössern und dem
Exil wechselte, schrieb er in einem philosophischen Dialog, dass er es
schätze, wenn Schneider, Kammerdiener und Ehefrau an Gott glauben, denn
so werde er weniger bestohlen. Zwei Monate vor seinem Tod erfuhr der
schon todkranke Voltaire eine weltliche Apotheose auf der Bühne des
Festsaals der Académie française, wo in seinem Beisein eine Büste von
jungen Schauspielerinnen und Schauspielern umtanzt und mit
Blumengirlanden umkränzt wurde. An seinem Todestag schließlich stößt er,
bereits nach Beichte und Absolution, auf die Frage, ob er die Göttlichkeit
Jesu anerkenne, den Geistlichen zurück. Er wolle in Ruhe sterben.
Dreizehn Jahre nach dem kirchlichen Begräbnis wurde er exhumiert und im
Panthéon, dem Tempel der revolutionären Vernunft, feierlich bestattet.
Spätestens ab hier ist sein Ruhm als Aufklärer Frankreichs unsterblich.
Was zwischen geleugneter Zeugung und Bestattung geschah und was Leben
und Werk des Freigeist Voltaire für das autoritätsgläubige Ancien Régime
und das vielleicht aufgeklärtere Heute bedeuten, beschreibt detailreich
Volker Reinhardt, geboren 1954, Professor für Allgemeine und Schweizer
Geschichte der Neuzeit an der Universität Freiburg in der Schweiz. Als
Historiker und Philologe verbindet er wissenschaftliche Tugenden und
Arbeitsweisen aus beiden Disziplinen. Der Philologe verlässt nie den
Bezug zu den Hauptquellen der Biografie, den Originaltexten - trotz
ihrer unglaublichen Menge. Von Voltaire sind mehr als 21.000 Briefe, 50
Theaterstücke, zwei monumentale Versepen, fünf umfangreiche
Geschichtswerke sowie unzählige Novellen
und - nicht zu vergessen - zahllose Kampfschriften erhalten. Der
Romanist Reinhardt findet für jeden Abschnitt im mehr als
achtzigjährigen Leben von der Epoche von Ludwig
XIV. bis zu den vorrevolutionären Krisen des französischen
Absolutismus unter dem glück- und später kopflosen Ludwig XVI. Texte mit
aussagekräftigen Stellen und Zitaten, die Seite um Seite das gesamte
Buch durchziehen. Der habilitierte Historiker, der schon für seine
Biografie "Machiavelli
oder Die Kunst der Macht" (2012) mit dem ersten "Golo-Mann-Preis für
Geschichtsschreibung" ausgezeichnet wurde, setzt nahezu jedes
Lebensereignis in einen historischen Kontext und oft in Bezug zu
späteren Lebensabschnitten.
Die Vielzahl an Textanalysen und geschilderten Begebenheiten im bewegten
Leben schafft eine literarisch-philosophisch orientierte und viel-seitig
aufschlussreiche, oftmals im Ton unterhaltsame Biografie, deren Lektüre
auch in Ausschnitten erhellend sein kann. Damit sich die Leser in den
Volten von Voltaires Leben nicht verlieren, ergänzte der Autor das Buch
mit einer Zeittafel, einer Landkarte mit den Wohn- und Aufenthaltsorten
Voltaires und einem kommentierten Literaturverzeichnis mit Empfehlungen
und ebenso eindeutigen Warnungen vor unbrauchbaren Büchern. Es bleibt
die Verwunderung, dass solch ein Leseerlebnis auf "nur" 600 Seiten
möglich ist.
(Wolfgang Moser; 04/2022)
Volker
Reinhardt: "Voltaire. Die Abenteuer der Freiheit. Eine
Biografie"
C.H. Beck, 2022. 607 Seiten, mit 52 Abbildungen, einem farbigen
Frontispiz und zwei Karten.
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