Heinrich Steinfest: "Die Möbel des Teufels"
Frau Wolf und Cheng ermitteln. Von alten
Verbrechen, gegenwärtigen Verirrungen und künftigen Abhängigkeiten
"Trotzdem ist
wahrscheinlich ohnehin eins der stärksten Argumente." (S. 222)
Da es sich bei Heinrich
Steinfest um einen sehr produktiven Schriftsteller handelt, verwundert
es wenig, dass 2021 gleich zwei Bücher von ihm erschienen sind. Seltsam
mag es hingegen anmuten, dass das eine, die sogenannte "Amsterdamer
Novelle", vielerorts besprochen wurde (zurecht freundlich), während "Die Möbel des
Teufels" mit beachtlicher Konsequenz ignoriert wurden. Ob es daran
lag, dass der Verlag das Buch in die Markus-Cheng-Reihe einordnete und
somit als Krimi verkaufte? Der Untertitel "Frau Wolf und Cheng
ermitteln" fügt sich ja in der Tat diesem Vorhaben; jedoch nehmen im Gegensatz zu
früheren Büchern mit den beiden Detektiven deren Ermittlungen nur einen sehr
geringen Raum ein, andere Personen und Motive stehen durchaus im
Vordergrund. Lag es am Ende an zu provozierenden, dem Strom
öffentlicher Meinung trotzenden Haltungen des Erzählers in Zeiten einer immer stärkeren Unterwürfigkeit des Buchmarktes
dem gegenüber, was heutzutage als allein befürwortens- und
vermittelnswert gelten möchte? Oder hat man sich möglicherweise einfach
gegen das umfangreichere der beiden Bücher entschieden? In diesem und in
ersterem Fall eine schwere Fehlentscheidung, denn in "Die Möbel des
Teufels", Krimi her oder hin, findet sich, amüsant und kritisch,
anheimelnd und verunsichernd, wie sie sind, kaum eine nicht auf die eine
oder andere Weise mitreißende Seite, was in früheren Büchern des Autors
hin und wieder vorkommen konnte. Allen diesen, welchem Genre man sie
jeweils zuordnen möchte, eignen im übrigen gemeinsame Elemente in
allerdings unterschiedlicher Mischung und Qualität: Kriminelles,
Abenteuerliches, Übernatürliches und nicht zuletzt feine Beschreibungen
menschlicher Verhaltens- und Seinsweisen, auf
kritisch-ironische Art, wenn es dabei um spezielle Hervorbringungen der Gegenwart geht.
Der Ort der Handlung ist
derselbe, wo der Schriftsteller einst aufgewachsen ist, Wien an der Donau, und es scheint oder erweckt zumindest
gekonnt den Eindruck, als hätte der seit langem hauptsächlich in
Deutschland Lebende tatsächlich etliche Zeit während der ersten sich auf
den Coronavirus berufenden Schließungs- und Quarantänemaßnahmen des
Jahres 2020 in Wien verbracht, dieser absurd-realistische Rahmen findet
sich jedenfalls mit einiger Freude am Detail skizziert.
Leo Prager, so der Name des Anfang sechzig stehenden sympathischen,
gleichermaßen fast kindliche Unschuld wie Schläue und List verkörpernden
Helden, aus dessen Perspektive, wenn auch in dritter Person, erzählt
wird, hat die letzten Jahrzehnte im Dienste eines reichen Engländers auf
einer abgelegenen Südseeinsel verbracht. Nun, Dezember 2019, führt ihn
der traurige Anlass der Ermordung seiner Schwester Eva in die alte
Heimatstadt zurück, wo sie einst beide in einer Hietzinger Villa, nicht
irgendeiner, sondern einer von einem Spitzenarchitekten, wie es sie
Anfang des letzten Jahrhunderts noch gab (es gibt sie auch heute, allein die Aufträge
...), errichteten, einem Prunkstück der Moderne, einer wahren
Bombe guten Geschmacks, dadurch jedoch unvermeidlich im
unglückverheißenden dreizehnten Bezirk ihre Kindheit und Jugend
verbracht haben, ehe sich der achtzehnjährige Leo durch besondere
Umstände, die ihn dazu führten, mit seiner Super-8-Kamera eine sich just
in seinem Beisein vollziehende Großkatastrofe zu filmen ...
"Und zwar?", fragte Frau Wolf.
"Den Einsturz der Reichsbrücke", antwortete Leo.
"Ach ja", sagte sie, wie man sagt: "Die Ufos fliegen dieses Jahr
ziemlich tief." (S. 177)
..., zu überstürzter Flucht genötigt sah.
"Wir könnten vielleicht
ohne eine wilde Schießerei auskommen, oder?"
"Aber gerne können wir das" ... (S. 361)
Die ermordete (erdolchte; viele Schüsse fallen nicht in diesem "Krimi") Schwester, mit der Leo die Jahre zuvor sporadischen E-Mail-Kontakt hatte, ist Stenografin mit Herz und Seele gewesen, hat lange, obwohl sie es nicht notwendig gehabt hätte, als solche für das Parlament und nach ihrer Pensionierung für diverse wichtige Persönlichkeiten gearbeitet. In einer Kurzschrift hat sie denn auch, wie sich herausstellt, eine wichtige Botschaft hinterlassen, welche auf eine Formel für künstliche Intelligenz (in der Hand des Besitzers ein ziemliches Machtinstrument - mehr sei hier zu diesem einstweilen noch mehr Zukunfts- als Gegenwartsmotiv nicht angemerkt) hinweist, doch just als Leo in Begleitung der ihn mit ihren roten Haaren, grünen Augen und scharfen Sinnen faszinierenden Polizistin Bregenzer der Formel habhaft geworden zu sein glaubt, kommt es zu einer ziemlich unsanften Begegnung mit einem fremden Automobil - Leo verliert das Bewusstsein, um erst dreieinhalb Monate später aus seinem Koma zu erwachen, in einem Krankenhaus, worin das gesamte Personal befremdlich anzusehende Masken trägt.
"Ihn beschäftigte dieser
eine Meter. Nicht nur die Frage, ob dieser eine Meter denn wirklich
ausreichte, sondern vor allem, was eigentlich in diesem einen Meter
geschah. Also, was sich in diesem Raum abspielte. Denn nie zuvor
hatten Menschen so sehr im Bewusstsein einer Ausdehnung gelebt, die
zwischen ihnen bestand. Ja klar, Boxer vielleicht, aber sonst doch
wenige." (S. 309)
Eine besondere Stärke
Heinrich Steinfests, neben seiner immer für einen originellen Einfall
guten Fabulierlust geradezu das Wertvollste an seinen Texten, besteht in
den genauen Beobachtungen aussagekräftiger Details seiner Umwelt und
seiner Mitmenschen. Aus der Perspektive seiner Helden, darin ganz
Stellvertreter ihres Autors, dass sie nämlich nicht daran denken, die
eigenen Sinne, den eigenen Geschmack und das eigene Urteilsvermögen zu
verleugnen, ergibt dies so treffliche wie hübsch formulierte
Beschreibungen einer Wirklichkeit, die auch in späteren Jahrzehnten mit
Genuss, in Bezug auf seinerzeitige Besonderheiten und Torheiten als
Wissenszuwachs zu lesen sein werden. Üblicherweise erscheinen die
wirklich guten, gültigen Texte (im Gegensatz etwa zu einer Vielzahl
bereits veröffentlichter recht uninteressanter Tagebücher) zu solchen
außergewöhnlichen Zeiträumen wie jenem des neuartigen Virus und der
angeblich gegenviralen Maßnahmen erst etliche Jahre danach - hoffentlich
sind die diesbezüglich in "Die Möbel des Teufels" eingestreuten
Randbemerkungen ein Vorgeschmack auf Kommendes.
Wie die meisten Menschen ringt der erfrischend unvoreingenommene und
unverbildete Leo weniger mit der Krankheit selbst als mit den Maßnahmen
und geweckten Befürchtungen. Geldsorgen plagen ihn dank seines
ehemaligen Dienstherrn nicht, doch mit der vielen Zeit daheim, in der
Zurückgeworfenheit auf sich selbst muss er sich sehr wohl bewähren, was
er ganz passabel meistert, indem er sich alsbald in einem der neuartigen
Situation angepassten Lebensstil so behaglich wie möglich einrichtet, sich
eine verhältnismäßig heimelige Atmosfäre schafft. Leo zieht vom Hotel
(bzw. vom Krankenhaus) in die nun leerstehende (nun ja, nicht ganz)
Wohnung seiner Schwester, freundet sich in gebührender Distanz mit
seiner Nachbarin, Frau Wessely, die sich als gute Freundin Evas und
Besitzerin eines exquisiten Dessous-Geschäfts (sowie zu seinem Leidwesen als Ehefrau eines wenig
sympathischen und eifersüchtigen französischen Germanisten) erweist, an und sattelt ihretwegen bei den
Qigong-Übungen, mit welchen er in seiner Isolierung begonnen hat (für
die er sich im übrigen nicht unbegabt erweisen und später auch für
andere Zwecke als zur bloßen Gelassenheitsgewinnung gute Verwendung
finden wird), auf die von ihr empfohlene Lehrerin um. Darüberhinaus
beginnt er den wohldosierten Genuss diverser kleinerer Delikatessen zu
kultivieren (für anregenden Kaffee sorgt beispielsweise die sogenannte
Tänzerin) und treibt sich viel im großen weiten Netz herum, sei es im
Kontakt mit der Polizistin oder der von ihm in der Reichsbrückencausa
engagierten Frau Wolf (der fürs erste noch unentwickelte Film hat
übrigens die Zeit auf der Insel gutgekühlt überstanden), sei es in
selbsttätiger Recherche oder zum puren Vergnügen, in der täglichen
Einnahme der monothematischen Staatsfernsehensnachrichten (lobenswerterweise
in Kurzzusammenfassungen; lediglich der Ostererlass des damaligen
Gesundheitsministers bekommt die zweifelhafte Ehre eines gesonderten
Kommentars), oder indem er sich in den alten Sendungen des seligen Club
2, jenen Operetten des Diskursiven, wie es heißt, verliert, all dies in
anrührender und, falls der Leser es ähnlich erlebt hat, bestens
nachvollziehbarer Echtheit.
Krimi oder nicht - recherchiert wird
in
"Die Möbel des Teufels" äußerst fleißig,
nicht nur in den Hauptfällen Schwesternmord, künstliche
Intelligenz und Reichsbrückeneinsturz, welcher letzterer ja seit je nicht frei vom
Verdacht einer absichtlich herbeigeführten Sprengung war. Dazu
heißt es unter anderem: "Der Journalist meinte, es sei eine geradezu brillante
Großtat österreichischer Entscheidungsträger gewesen, im
Zusammenspiel mit Behörden, Gutachtern und Medien die Hinweise auf
ein Attentat zu ignorieren." (S. 304).
Ebenfalls zum Gegenstand von Nachforschungen werden eine Büste, die von
Brancusi oder eine sehr gekonnte Fälschung sein könnte (neben zwei
ebenfalls eine Rolle spielenden garantiert echten Bildern von Braque und
Parmigianino),
der Autor eines 1965 erschienenen Krimis namens "Die Möbel des Teufels",
in welchem der Reichsbrückeneinsturz elf Jahre später profetisch
vorweggenommen scheint; und auch auf einen möglicherweise noch lebenden
Verwandten, einen gleichermaßen der katholischen Kirche wie der
kommunistischen Partei ergebenen Onkel setzt Leo Frau Wolf und Herrn
Cheng an.
Bei seinen Eigenaktivitäten stößt Leo außerdem auf die Rede von einem wirkmächtigen Club unterhalb des
Ottakringer Yppenplatzes, Studio 45 genannt
(... "was nach seiner Auffassung
einerseits auf den ehemals berühmten Nachtclub Studio 54 in New York
anspiele, andererseits auf den zumindest in Wien noch berühmteren ehemaligen Club 45, einen dubiosen Herrentreff
im Obergeschoß ausgerechnet einer Konditorei, wo zwischen 1973 und
1992 die sozialdemokratische Elite mit den Wirtschaftsführern des
Landes zusammengetroffen war, um sich gerüchteweise das Land
aufzuteilen."; S. 231). Überhaupt
streift er immer wieder an unlautere Praktiken der Gemeinde Wien und
kommt mit dunklen Stellen der Vergangenheit des Landes in Berührung, dem
Noricum-Skandal oder dem unaufgeklärten Tod eines ehemaligen
Verteidigungsministers, ob ihres
Alters bereits zu "Verschwörungsfolklore", wie es heißt, herabgesunkenen
Fällen, aber ebenso mit eigenen Gedächtnislücken bezüglich seines
scheinbar zufälligen Auftauchens zur rechten Zeit am Einsturzort (noch
ein Glück, dass das Unglück, welches sich für Manche freilich, wie es
nun einmal so ist, als Glück herausgestellt hat, in einer sehr frühen
sonntäglichen Morgenstunde passiert ist).
Ob die "Anakonda", so der
Name des auf ewige Abhängigkeiten abzielenden Unterwelt-Clubs bei
Steinfest, etwas
damit zu tun hat, dass die Mittelschicht in Wien wie in der
sogenannten westlichen Welt insgesamt immer stärker nach Luft ringt?
Dass sie kein reines Hirngespinst ist und nicht nur würgen, sondern
durchaus töten kann, verdeutlicht unter anderem der allzu frühe Tod
eines Bruders von Frau Wessely:
"Thomas Bernhard, sagte
Wessely, habe doch so gerne erklärt, dass die Wirklichkeit viel
schlimmer sei als das, was die Schriftsteller schreiben würden, und
dass sich diese schlimme Wirklichkeit gar nicht beschreiben ließe.
Aber genau das hätte Alexander im Sinn gehabt, die Beschreibung einer
schlimmen Wirklichkeit." (S. 248)
Im übrigen scheint es der Autor bei den angedeuteten Machenschaften und
Verbrechen ähnlich zu halten wie sein Held, der mit der Qigong-Übung
"den Bogen spannen und auf einen
großen Vogel zielen" gegen Ende des Buches einen unerwarteten
Erfolg feiern kann. Natürlich sind dem
Buch in dieser Hinsicht nur
Teilerfolge beschert, manches wird aufgeklärt, anderes wie etwa der
gewaltsame Tod von Karl Lütgendorf naturgemäß nicht, doch wird
solcherart auf einige alte und neuere blinde Flecken spielerisch,
indessen nachdrücklich genug hingewiesen.
"Pure Zufälle sind der
Aberglaube der Aufklärung." (S. 277)
Kein purer Zufall war es, dass sich Leo am 1. August 1976 kurz vor fünf
Uhr früh in unmittelbarer Reichsbrückennähe aufgehalten hat. Vermutlich
ist es auch keiner, dass sogenannte Verschwörungstheorien in letzter und
vorletzter Zeit einerseits Hochkonjunktur haben, andererseits
hochverpönt sind und schon der Begriff als Keule dient. Und ebensowenig
Zufallskinder sind wohl einige verstreut in dem Buch auftauchende Motive
und Namen: nicht nur Bernhard,
auch Elfriede Gerstl (die Lieblingsdichterin Evas), Ingeborg
Bachmann (der Autor scheint der Ansicht zu sein, dass man den
meisten Menschen ziemlich viel Wahrheit zumuten kann) und Heimito
von Doderer werden öfter als einmal erwähnt. Letzterer
beispielsweise, weil sich das noble Dessous-Geschäft nahe der
Strudlhofstiege befindet, anlässlich einer präpotenten Kulturlosigkeit,
die sich Hans-Joachim Kulenkampff einst im deutschen Fernsehen geleistet
hat, zu dessen Schande für die Nachwelt in diesem Buche festgehalten,
und vor allem mit seiner Formulierung eines tief in sein inneres
möbelhaftes Schweigen versunkenen Palais.
Auch Möbel sind übrigens so ein unscheinbar
wiederkehrendes Motiv, immer wieder
stößt der Leser auf solche, darunter auf ziemlich prominente. Und der Teufel?
Fliegen braucht er gewiss keine zu fressen.
Es wird jedoch keineswegs nur
in der Vergangenheit gestöbert, gerne lenkt Steinfest die Aufmerksamkeit
auch sanft auf Verirrungen des Geistes unserer Zeit ("so weit von
einem solchen die Rede sein kann" - noch einmal Doderer mit einem
in Bezug auf die künstliche Geschaffenheit des heutigen eigentlich schon
verharmlosenden Zitat aus "Die Merowinger"), lässt ihm hie und da ein
wenig die Luft aus, indem er ihn humorvoll, mit einigem Vergnügen und
meist im Kleinen mit dem gesunden
Menschenverstand seiner eigenen
Sichtweise schneidet, lieber in spitzem Winkel als in offenem
Widerspruch. Als Beispiel für solch
indirekte Direktheit heißt es über den stattgefundenen Rollentausch
zwischen Wolf und Cheng:
"Was rein gar nichts mit Frauenbewegung und Quotenregelung und einem
Jetzt-sind-halt-mal-die-Frauen-dran oder einem
In-Matriarchaten-sind-die-Leute-glücklicher zu tun hatte, sondern eben
einer Einsicht in ein vernünftiges Grundmuster. Ein Muster, das
bedeutete, dass Frau Wolf die bessere Detektivin war und Markus Cheng
der bessere Sekretär und Assistent. Es hatte wirklich etwas
mit Biologie zu tun. Die Biologie ist unbestechlich." (S. 8)
Eine ganz spezielle Handlung mit überragender Symbolik setzt Leo allerdings, wie sie widerständischer nicht sein könnte (und zwar von
der Premiere an dreimal täglich), ein
beinahe archimedisches Hebelmanöver.
Jemand, der in seinem Buch so
viele starke Frauen auftreten lässt, braucht mit der Darlegung seiner
Ansichten über sogenannte ausgewogene Frauen in mittleren oder schon ein
wenig darüberhinausgehenden Jahren nicht zurückzuhalten und kann
eigentlich gar nicht anders, als seinem Helden auch ein bisschen Liebe
in Zeiten der Corona zu gönnen:
"Mein Gott", sagte sie, "wir stehen
sowieso schon viel zu lange viel zu nahe beieinander. Und letztlich
zählt nur, dass, wenn wir uns küssen, es dabei bleibt und wir nicht
anfangen, auch noch andere zu küssen." "Vollkommen richtig", sagte Leo
..." (S. 318)
Sprachlich sind "Die Möbel
des Teufels" ein unkompliziertes
Lesevergnügen in einer guten
Durchmischung dialogischer, erzählerischer
und reflexiver Abschnitte. Absätze und Kapitel lesen sich leicht und
natürlich, als wäre spontane, sich der zu
vermittelnden Sinneinheiten gewisse
mündliche Rede, die sich nicht
scheut, einem Punkt einen Nebensatz folgen zu lassen, direkt aufs Papier übertragen
worden (was dem Autor wohl seine Vielschreiberei ermöglicht), ein harmonischer Fluss des Erzählens. Und erst
recht ein sehr origineller - Frau Wolf hat klug gehandelt, ihren
seltsamen Kunden nicht danach zu fragen, wie er denn auf seine Insel
gekommen sei. Und wo bekommt man im
übrigen schon ein ausführliches Verkaufsgespräch über luxuriöse
Herrenunterhosen zu lesen? Bei Péter Nádas natürlich, aber sonst?
Dass der Autor nicht frei von höherem
literarischen Ehrgeiz ist, belegt gleich die Anfangsszene, eine
glänzende, im Äußeren das Abbild des Inneren sichtbar machende
Beschreibung Frau Wolfs beim Friseur, einem von jenen türkischstämmigen
Meisterfriseuren, die einem, wenn man ihnen nicht Einhalt gebietet,
stundenlang an der Aura herumzuschnipseln imstande sind, wofür die
modebewusste Wolf nun freilich nicht die Zeit hat (überdies die Sorge,
sich mit allzu häufigen Besuchen lächerlich zu machen). Aus einer
anderen, am Westbahnhof spielenden Szene, wo Leo erst der Zeitreise
verdächtigt wird (verständlich, nach 44 Jahre Abwesenheit), um dann in
einer Begegnung mit einer jungen Sandlerin nach anfänglichen
Missverständnissen gemeinsam mit
dieser nicht nur in die Zeit vor den
Maßnahmen, sondern gleichsam direkt ins 19. Jahrhundert abzudriften,
spricht eine gehörige Dichte und legt nahe, dass Steinfest die magisch
zu nennende Durchdringung verschiedener Ebenen, ohnehin Teil seines
Kosmos, auch sprachlich noch eindrucksvoller gestalten könnte. Und
nachdem es dem Autor ja nicht um Realismus geht, sondern um Verweise und
Anspielungen auf Realitäten, hätte er die Szene des Zusammenprallens mit
höchsten Mafiakreisen (die bestimmten, "was zu einem Skandal wurde
und was nicht, was das Licht der Öffentlichkeit erblickte und was im
Verborgenen gut gehender stiller Geschäfte verblieb."; S.
367) ruhig mit ein paar persiflierenden, wenn nicht Agentenfilme
parodierenden Einfällen (es muss ja nicht unbedingt ein mit einem in
Ungnade gefallenen Stadtrat gefüttertes Anakondaweibchen sein) würzen
können.
Insgesamt sind "Die Möbel des Teufels" jedenfalls ein sehr
vergnügliches, ja entzückendes Buch mit einem liebeswürdigen Helden und
vielen ernsten aktuellen Fragestellungen geworden, welches eine
möglichst breite Leserschaft verdient hat. Am besten im Rahmen von "Eine
Stadt. Ein Buch".
(fritz; 07/2022)
Heinrich Steinfest: "Die Möbel des
Teufels"
Piper, 2021. 430 Seiten.
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