Lukas Maisel: "Tanners Erde"


Zwischen Scheinidylle, Untergangsstimmung und klischeestrotzender Eintönigkeit: Reden ist Silber, Schweigen ist Tod?

Man durfte ja auf Lukas Maisels zweite Publikation, nach dem zauberhaften "Buch der geträumten Inseln", gespannt sein, und im Juli des Jahres 2022 war es endlich soweit: "Tanners Erde" wurde veröffentlicht.
Allerdings ist dieser Zweitling sprachlich überraschend schlicht - forderte der Zweck etwa genau diese Mittel? - und zudem nicht gerade klischeevermeidend oder originell ausgefallen: Der Autor erzählt nämlich eine Geschichte von einem wohl mehr als verschrobenen Bauern, das Ganze spielt im zurechtfantasierten Schweizer Alpendorf Huswil.

Man liest von Glück und Ende einiger Milchkühe, von eintönigem Hofleben, von geerbtem Grund und Boden, von gehässigen (anscheinend weitgehend lediglich im Denken des Protagonisten existierenden) Dorfintrigen und selbstverständlich von allerlei Dorftratsch, der nicht nur in der Kirche und der örtlichen Gaststube stattfindet. Der Pfarrer, Dorfpolizisten, Kleinstpolitiker, lokale Medienmeuteleute und mehr oder weniger zuständige Wissenschafter geben sich ein nutzloses Stelldichein, bald nachdem die eigentlichen Hauptdarsteller des Romans, zwei Löcher nämlich, plötzlich auf der Bildfläche erschienen sind.

Es gilt, die tatsächlichen und die eingebildeten Leiden Ernst Tanners, des geradezu krankhaft wortkargen Bauern, den Maisel - womöglich als Ausgleich für die absolut ruinöse Schweigsamkeit - mit einem geringfügig gehaltvolleren Innenleben ausgestattet hat, was allerdings durchaus zu Lasten der charakterlichen Stimmigkeit geht, zu beobachten. Doch mag man dem Bauern nicht immer seine grüblerischen inneren Monologe glauben, zumal man ihn eben nicht beim (gesprochenen) Wort nehmen kann.
Sympathieträger ist er wahrlich keiner, dieser einsilbige Tanner, der Küheversteher, und man sieht ihm ohne gesteigertes Interesse dabei zu, wie er aufgrund der beiden tiefen Löcher auf seinem Grund aus dem behaglichen Alltagstrott gerät und zwischen die Mühlräder der bekannt feindseligen Gegenwart stolpert. Die Leidtragende ist allerdings zunächst seine unerklärlich anspruchslose Frau Marie, vor der Tanner mancherlei Geheimnisse hütet, was zum wachsenden Unheil beiträgt. Wobei jedoch auch Marie eine ernüchternd flache Figur bleibt.

Man lernt als Leser immerhin spezielle Schweizer Ausdrücke, Liedzeilen und Gebetabwandlungen kennen, verfolgt jedoch in erster Linie mit anhaltendem Kopfschütteln den absehbaren Niedergang des Bauern Tanner, der sich in sein zweifellos vorhandenes und garstiges Unglück nicht selten übertrieben hineinsteigert, dabei freilich zu seinem eigenen Schaden meistens wortlos bleibt, offenbar ohnedies nur zum Schein (so sind wir Menschen eben doch!) angebotene Hilfe vor allem aus Stolz ablehnt und letzten Endes - vermutlich nicht zum ersten, vielleicht aber zum letzten Mal in seinem Leben - erkennen muss, dass Lippenbekenntnisse wirklich nichts wert sind.

Das verblüffend hochpreisige Büchlein, als Novelle bezeichnet, ist also schnell gelesen und hinterlässt einen wahrhaftig schwachen Eindruck, zumal die wenigen Einschübe eines vielleicht gut gemeinten Erzählers zur Konstruktion der Geschichte nichts Rettendes an sich haben. Postmoderne Stilmittel passen nun einmal nicht in jede Umgebung und heben keineswegs zwangsläufig das literarische Niveau; leider.

(Felix; 07/2022)


Lukas Maisel: "Tanners Erde"
Rowohlt, 2022. 144 Seiten.
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