Sibylle Lewitscharoff: "Warum Dante?"
Kluge und amüsante
Ausführungen zur "Commedia" des altitalienischen Klassiker
Dante Aligihieri würde heuer seinen siebenhundertsiebenundfünfzigsten Geburtstag feiern, wenn er nicht vor siebenhundert Jahren und ein paar Monaten gestorben wäre. Als äußerst langlebig hat sich indessen sein Werk erwiesen, insbesondere seine "Commedia", nicht nur als vollendetes Sprachkunstwerk an sich, auch als geistiger Meilenstein zwischen Spätmittelalter und Frührenaissance und außerdem als unerschöpfliche Inspirationsquelle für spätere Dichtergenerationen, deren nächstfolgende in der Gestalt von Francesco Petrarca dem Werk das Attribut "divina"-"göttlich" verliehen hat; man hat ihm nicht sehr heftig widersprochen.
Um die "Commedia" geht es auch in "Warum Dante?", nicht um Dantes frühe Liebesgedichte, ebensowenig darum, warum seine Eltern beschlossen haben, miteinander Kinder in die Welt zu setzen, und kaum auch um die Person des großen Dichters selbst; nur die eine oder andere kurze Imagination des aufgrund politischer Parteinahme in Ungnade gefallenen Florentiners, wie er etwa im Exil mürrisch oberflächliche Höflinge über sich ergehen lassen muss, hat Eingang in das Buch gefunden.
Einführung
und Appetitanreger will es sein, wozu etliche Abbildungen berühmter
Gemälde aus
vielen Jahrhunderten zu Motiven der Commedia nicht
unerheblich beitragen. Vor allem aber begleiten wir den in eine andere
Dimension entrückten Dante, seinen längst im Totenreich heimisch
gewordenen Führer, den römischen Dichter Vergil, sowie Sibylle
Lewitscharoff mit ihren thematischen Ausführungen und Anmerkungen
durch die drei jenseitigen Welten, die Hölle, das Fegefeuer und den
Himmel.
Ersterer ("Laßt, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren!") wird
besondere Aufmerksamkeit zuteil, Lewitscharoff gerät ins Schwärmen
angesichts der enormen Bestrafungsenergie, die sich an so gut wie
jedem Leibfitzel, wie es heißt, der zu Bestrafenden austobt
(andererseits gilt: "die Verse konterkarieren hinterrücks das
ganze Bosheitstheater") und in ihrer Radikalität nicht einmal
vor Päpsten Halt macht. Dante hatte, werden wir aufgeklärt, guten
Grund, nicht nur manche Päpste, sondern auch etliche sonstige
Zeitgenossen in die Hölle zu versetzen, dies freilich nicht nur (aber
auch) aus persönlichen Gründen, sondern durchaus wohlbegründet.
Besonders hingewiesen werden wir desgleichen auf einige
Höllenversetzungen, die man aus heutiger Sicht vielleicht,
wahrscheinlich, als himmelschreiende Ungerechtigkeit empfinden könnte,
bei denen sich nämlich durchaus edle Seelen, die sich dereinst
allerdings irgendeiner unverzeihlichen Straftat schuldig gemacht
haben, in der Hölle wiederfinden müssen, allen voran das
ehebrecherische, durch gemeinsame Lektüre von Liebeslyrik zu seinem
sündhaften Treiben aufgestachelte Liebespaar, dessen tragische
Geschichte den lauschenden Dante so schmerzlich anrührt, dass er
kurzerhand in Ohnmacht fällt - zarter Hinweis auf eine als
unerträglich empfundene Strenge, gleichzeitig literarische List, auf
diese Weise seine Empörung darüber nicht offen ausdrücken zu müssen,
könnte man interpretieren.
Dante
selbst hat sich gern als Filosof bezeichnet und solcherart vermutlich
vorsichtig Vorschub zu sich ändernden theologischen und irdischen
Bewertungen menschlichen Tuns geleistet. Lewitscharoff lobt ihn
darüberhinaus als großen Menschenkenner, der seine Charaktere
unverhohlener, - die Individualität steht ganz im Vordergrund - als
sie im Diesseits üblicherweise erscheinen, wiedergibt, sowie die
"angemessenen", in ihrer ausweglosen Wiederholung besonders höllischen
Bestrafungsarten, welche sich aus dem Wesen der jeweiligen Todsünde
wie von selbst ergeben. Überhaupt ist die ganze Jenseits-Geografie der
Commedia in schlüssige, wenn auch mittelalterliche Bildform gefasst.
Das gilt für die Hölle mit ihren Abteilungen, dem tief im Eis
feststeckenden Obersatan ganz zuunterst, es gilt umso mehr und höchst
anschaulich für das Fegefeuer, wo die Seelen bei fortschreitender
Läuterung über verschiedene Ebenen allmählich einen Berg in Richtung Himmel emporzusteigen
vermögen (mit Ausnahme eines laut Lewitscharoff sympathischen
Faulpelzes, der aus naheliegenden Gründen auf der untersten Ebene des
Fegefeuers hocken bleibt).
Schließlich wartet die große Weite und Freiheit des Himmels; Vergil,
der Heide, musste in der Zwischenzeit längst zurückbleiben und die
Führung an Beatrice, die frühverstorbene Jugendliebe Dantes abgeben,
welche dem Dichter nun eine Ahnung von der Herrlichkeit des Himmels
vermittelt. Engelschöre, einige große Heilige, die zuguterletzt ihre
wahre Heimat gefunden habenden Seelen, die frei und doch irgendwie
notwendig, vom Schöpfergott angezogen, schwerelos schwebend größte
Seligkeit genießen. Glück, Leichtigkeit und sogenannte Schwirrnis
allüberall, kosmische Erklärungen und eine Vision des Allerhöchsten,
gleißender Lichtpunkt, unbewegter Beweger, Hort der Liebe und
Erkenntnis, Zentrum von allem.
Immer
wieder wird währenddessen auf die unterschiedlichen Bedeutungsebenen,
poetischen Verfahren und das kunstvolle Italienisch der Commedia
hingewiesen. Da es jedoch, wie man schon bei
Cervantes nachlesen kann, nichts nutzt, Klassiker mit dem
schönsten Italienisch im Regal stehen zu haben, wenn man es nicht
versteht, und zumal Sibylle Lewitscharoff eine ausgewiesene
Liebhaberin besonderer, seltener Wörter ist, gelangen in "Warum
Dante?" etliche Übersetzungen ins Deutsche ausführlich zur Sprache.
Mehr als fünfzig seriöse solche Versuche gibt es, freilich nicht alle
von Vollständigkeit gekrönt, einige von großen Schriftstellern. So zum
Beispiel Stefan George, der sich viel auf seine äußere Ähnlichkeit mit
Dante Alighieri zugute hielt und seine Übertragungen wie ein heiliges
Ritual vor ausgewählter Zuhörerschaft vortrug, so auch dessen
einstiger Schüler Rudolf Borchardt, der nach dem Bruch mit dem Meister
(George, nicht Dante, des Zweiteren wegen jedoch nicht zuletzt der
Bruch) die wohl außergewöhnlichste ("ein bisschen verwegene",
so Lewitscharoffs schwere Untertreibung) Übersetzung vorgelegt hat,
worin er versucht, der alten Sprache und längst vergangenen Welt ihres
Entstehens mit teils erfundenen "deutschen" Wörtern Entsprechung und
neue Heimat in der Gegenwart des zwanzigsten Jahrhunderts zu schaffen.
Neben einigen Beispielen des nicht ganz Unverwegenen, einer längeren
Liste der Namen von Unterteufeln (mit "Bückeschnurbs" als dem großen Liebling der
Autorin)
und sonstigen Bemerkungen zu Freud und Leid des Übersetzens wird eine
Passage - wir befinden uns in der Vorhölle - zur Veranschaulichung in
den höchst unterschiedlichen Ansätzen von Philalethes (Pseudonym König
Johanns von Sachsen), Stefan
George, Georg van Poppel, Rudolf Borchardt, Friedrich von
Falkenhausen und Hermann Prietze dargeboten.
Hier die altbewährte Version des verdienstvollen Dante-Forschers Karl
Witte:
...
Hier tönten Seufzer, Schluchzen, laute Klagen
erschütternd durch die sternenlose Luft,
so daß zu Anfang ich mitweinen mußte.
Verschiedne Zungen, grauenvolle Sprachen,
des Schmerzens Worte, zornentbrannte Töne,
erstickt' und laute Rufe, Schlag der Hände,
sie bildeten ein wildverworrnes Tosen,
das in der ewig düstren Luft sich umtreibt,
wie bei des Wirbelwindes Wehn der Sand tut. ... (aus dem Dritten
Gesang)
Während
der erste der 100 Gesänge der Commedia noch auf Erden spielt, verteilen sich die
übrigen zu je 33 auf die Hölle, das Fegefeuer und den Himmel. Sibylle
Lewitscharoff: "Die drei Teile des Poems, der Dreiklang der
Terzinen, in denen es voranschreitet, sie befinden sich in Einklang
mit der Dreifaltigkeit, gebildet aus Vater, Sohn und Heiligem Geist.
Damit schmaust das Poem in seinen drei Abteilungen am Heilsgeschehen
nach dem Tod." (S. 53)
Nimmt man die Commedia zwar nicht buchstäblich, aber ernst, dann nicht
nur damit.
(fritz; 03/2022)
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