Harald Schmidt (Hrsg.): "In der Frittatensuppe feiert die Provinz ihre Triumphe"

Thomas Bernhard. Eine kulinarische Spurensuche


Naturgemäß ein kulinarischer Wegweiser - nicht?

Da Harald Schmidt als ob seiner Wahl bekennend überraschter Herausgeber trotzdem zur Tat geschritten ist und sich zu Recherchezwecken ausgerechnet in Zeiten gastronomiefeindlicher "Pandemiemaßnahmen" immerhin unglaubliche drei Tage lang an bernhardschen Originalspeiseplätzen in Österreich aufgehalten hat, schlägt man das Buch ohne große Hoffnung auf. Warum dieses an und für sich reizvolle Projekt nicht einfach auf bessere Zeiten warten konnte, ist und bleibt ein verlagspolitisches Rätsel.

Doch ist der kluge Kopf Harald Schmidt selbstverständlich viel zu gewandt und lebenserfahren, um sich durch widrige Umstände oder nur typische österreichische Gepflogenheiten beeinträchtigen zu lassen, und so liegt mit "In der Frittatensuppe feiert die Provinz ihre Triumphe" ein netter, unterhaltsamer Band vor, der mit Beiträgen unterschiedlicher Qualität und großformatigen Fotos, Rezepten, seitengroßen Zitaten und Anekdoten aufwartet (wobei leider kaum Neues zum Vorschein kommt). Besonders ins Auge springt freilich die geradezu verschwenderische Seitengestaltung (soll heißen: die zahlreichen großen weißen Leerstellen prägen sich ein) - womöglich eine unabsichtliche Hommage an Thomas Bernhards weißgekalkte Wohnhauswände?

Ein witziger Einfall war es, Harald Schmidt in ähnlichen Posen wie einst Thomas Bernhard fotografisch festzuhalten. Überhaupt durchzieht Schmidts feiner Humor die Aussagen und Beiträge des Herausgebers, und so lautet denn der Titel seiner Einleitung "Mein Leben mit Thomas Bernhard. Eine Vorbemerkung" - wenn schon, denn schon!
Die weiteren Abschnitte:
Der deutsche Journalist und Autor Willi Winkler legt in "Thomas Bernhards maßloser Hunger" auf wenigen Seiten kurz und bündig seine Sicht der Dinge dar.
Margarete Affenzeller, 1971 geborene österreichische Journalistin, widmet sich in ihrem zunfttypischen Text "Blutwursttag und Soßenterror: Essen in den Theaterstücken Thomas Bernhards" ebendiesem Thema mit Zeitgeistlupe und Szenensezierbesteck.
"Ein Genussmensch war er nicht. Harald Schmitt trifft Claus Peymann im Gasthaus Eckel", eindeutig das hervorleuchtende Kapitel, präsentiert den Beinahemonolog des Regisseurs Claus Peymann, der die "wilden Wiener Jahre" revuepassieren lässt und während des gemeinsamen Speisens allerlei interessante Erinnerungen an Thomas Bernhard zum Besten gibt.
Alexander Rabl, ein weiterer Journalist, äußert sich in seinem Beitrag über "Existenzsuppen und Brrandteigkrrrapfen: Die legendären Speisen bei Thomas Bernhard", darunter Frittatensuppe und Fogosch, Essigwurst und Einbrennsuppe.
Die Kulinarikjournalistin Katharina Seiser präsentiert auf wenigen Seiten "Eine sichere Bank. Vom Wesen des Gasthauses"; ein wie nur zufällig hereingeschneit wirkender Beitrag.
Sodann folgt Stefan Schlögls (auch er ist übrigens Journalist) "Viel Geschirr für keine Gäste. Harald Schmidt kauft sich keine Hose und geht mit uns essen", jener launige Text, der endlich dem Buchuntertitel "Eine kulinarische Spurensuche" Rechnung trägt und auch den Herausgeber zu Wort kommen lässt: "'Die Verpackung geht ja mittlerweile klar vor Inhalt. Im Gegensatz zu Thomas Bernhard. Dieses Empörungsgehabe heutzutage ist nichts anderes als negativer Narzissmus.' Was nicht zuletzt an dem Trend abzulesen sei, Essen und Ernährung politisch und ideologisch aufzuladen. Low carb, glutenfrei, vegan. 'Das ist oft nur reine Distinktion, so wie die goldenen Steaks, die sich irgendein Fußballer in Dubai reinzieht.'" (S. 115)
Aufgesucht wurden z.B. der "Kirchenwirt" in Ohlsdorf, der "Gasthof Klinger" in Gaspoltshofen, das Restaurant des "Seehotels Schwan" in Gmunden und der "Gasthof Bader" in Laakirchen; überall wurde naturgemäß stilecht getafelt. Andere Stammlokale Thomas Bernhards existieren nicht mehr oder waren pandemiemaßnahmenbedingt geschlossen. Zu Orientierungszwecken findet sich eine grobe Landkarte mit den eingezeichneten Gastronomiebetrieben.

Auf fünf Folgeseiten werden "Thomas Bernhards Leibspeisen. 6 Rezepte von Hedi Klinger" (ja, vom "Gasthof Klinger") geboten.
Der in Deutschland ansässige Koch und Autor Vincent Klink gewährt in seinem Beitrag "Das Wiener Kaffeehaus. Eine Erkundung auf den Spuren Thomas Bernhards nebst kleineren Abschweifungen" persönliche Einblicke und beschreibt diese Wiener Kaffeehäuser: "Bräunerhof", "Hawelka", "Sacher" und "Café Museum". Höflich ausgedrückt: Gänzlich wahrnehmungsbefreit wirkt Klinks Abschluss: "Das letzte Wort soll, nein, nicht Thomas Bernhard, sondern Stefan Zweig haben, der es in Die Welt von gestern, seinem Abgesang auf die k.u.k. Monarchie, auf den Punkt brachte: 'Unsere beste Bildungsstätte für alles Neue blieb das Kaffeehaus.' Ich würde sagen, so ist es nach wie vor." (S. 149) Interessant wäre hierzu die Ansicht des Herausgebers Harald Schmidt (gewesen).
Sodann meldet sich der österreichische Filmemacher und Autor David Schalko, seit einiger Zeit zudem praktischerweise Präsident der "Internationalen Thomas Bernhard Gesellschaft". Entsprechend bombastisch der Titel seines Texts: "Naturgemäß, ein Nachwort", doch immerhin erfährt man daraus, dass "naturgemäß" in Thomas Bernhards Werk achthundertachtunddreißigmal vorkommt. Und David Schalko führt auf drei Seiten Beispiele an.

Das letzte Wort hat Katharina Seiser, die ein kulinarisches Glossar ("Gerichte, Zutaten, Begriffe - Österreichisch-Deutsch für Feinspitze") für Bedürftige beigesteuert hat.
Kurztexte zu den Autorinnen und Autoren, Anmerkungen, Literatur und Nachweise komplettieren diesen Band, dem man unter besonderer Berücksichtigung seines Zustandekommens und seiner Machart zumindest viel Erfolg in Deutschland wünschen könnte.

(Felix; 06/2022)


Harald Schmidt (Hrsg.): "In der Frittatensuppe feiert die Provinz ihre Triumphe.
Thomas Bernhard. Eine kulinarische Spurensuche"

Christian Brandstätter Verlag, 2022. 173 Seiten.
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Ein Buchtipp:

André Heller (Hrsg.): "Thomas Bernhard. Hab & Gut. Das Refugium des Dichters"

Als Thomas Bernhard anno 1965 den Vierkanthof in Ohlsdorf, Oberösterreich kaufte, stand ihm die Vision eines zum "Denk- und Schreibkerker" geeigneten Wohnsitzes vor Augen. Das stark verfallene Gebäude aus dem frühen 14. Jahrhundert, das bereits zum Abriss bestimmt gewesen war, wurde von seinem neuen Besitzer über zehn Jahre hinweg bei Erhalt seiner Proportionen und Architektur zu etwas völlig Neuem: dem anspruchsvollen Landsitz eines exzentrischen Einzelgängers. Jeder Raum, jedes Möbelstück, jedes ausgewählte Buch darin diente der Inszenierung seiner, mit erlesenem Stilbewusstsein ausgestatteten, Person. Tief beeindruckt von diesem durchkomponierten Haus, versammelt André Heller namhafte Experten, die Bernhards Leidenschaft zur Inszenierung nachspüren. Welches Verhältnis hatte Thomas Bernhard, der ewige Provokateur und international gefeierte Schriftsteller, zu Fragen der Mode und des Stils? Wie hat er gewohnt, womit hat er sich umgeben? Wie war seine Schallplattensammlung? Welche Bücher wählte er für seine Bibliothek aus?
"In Österreichs literarischem Energiefeld der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war Thomas Bernhard die massivste Störung von nie versiegender Faszination. Er gehörte zu keinem Klub, keiner Gruppe, keinem Zirkel, keiner Glaubensrichtung, keiner Seilschaft, keiner wie immer gearteten künstlerischen Organisation. Er gehörte stets, nur aufs Äußerste, zu sich selbst und konnte daher mit einer Rücksichtslosigkeit agieren, die zumeist keine Gefangenen zuließ. Mit der Sprachmachete schlug er seinen brachialen Wahrheiten, genialen Lästerungen, grotesken Überhöhungen, anrührenden Liebesversuchen und anderen Fantasie-Eruptionen den Weg in die bleibende Gültigkeit frei. Bernhard war auch ein Lachfallensteller, ein hinterfotziger Watschenmeister und Erregungshochleistungsvirtuose. Alles in allem: ein Solitär, wie man ihn nur einmal alle unheiligen Zeiten findet." (André Heller)
(Christian Brandstätter Verlag)
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