Sibylle Lewitscharoff: "Pong am Abgrund"
Das frauenlastige vierte Abenteuer des skurril-ätherischen Helden
Pong zum vierten: nach seinem
so siegreichen "Pong"-Erstauftritt beim Bachmann-Wettbewerb 1998, seiner unvermuteten
Wiederauferstehung als "Pong redivivus" anno 2013 und dem 2017
herausgekommenen "Pong am Erlebnishorizont" erscheint er nun abermals,
zur großen Freude all jener, denen der seltsame Held bereits ans Herz
gewachsen ist.
Wie schon in früheren Pong-Büchern untermalen zahlreiche Abbildungen,
diesmal Fotografien von Collagen und Objekten der Autorin selbst, die
Absonderlichkeit des Pong'schen Kosmos.
"Eine Frau war keine Maus. Weder so still wie eine Maus noch von einem so huschigen Wesen wie eine Maus. Eine Frau war unberechenbar, dürstend nach Anerkennung um jeden Preis, selbst wenn sie sich bei der ersten Inaugenscheinnahme gut zu verstellen wusste und Zurückhaltung mimte." (S. 16)
Già ognuno lo sa: Abgrund, dein Name ist Frau, und das Problem ist dabei weniger der Blick hinein, denn blickt Pong in den Abgrund, muss bekanntlich dieser auch in Pong blicken und wird angesichts der dort beheimateten Überfülle kosmischer Wahrheiten gewiss erschauern, das Problem - im übrigen ein typisches Pong-Problem - ist der Fall. Es verhält sich nämlich so, dass bei einem Besuch seines alten, nein - ehemaligen, Freundes Malincrodt nicht nur dessen abscheuliche, jeglichen Anstands entbehrende Frau, sondern auch eine zweite Evastochter anwesend war, die jedoch mit ihrer ruhigen, besonnenen Art, ihrer mit tiefgelegter Stimme gezeigten entzückenden und passenden Wortwahl und ihrem sehr gefälligen Äußeren einen gänzlich anderen, höchst anziehenden Eindruck hinterlassen hat.
Just diese bezaubernde Doris
meldet sich telefonisch und fragt vorsichtig und höflich an, ob er sich
denn eventuell vorstellen könne, dieses wunderschöne leerstehende Zimmer
im obersten Stock seines in einem
Berliner Villenviertel gelegenen Hauses
an sie zu vermieten. Vorbei ist's mit der abgeklärten Ruhe des
autodidaktischen Filosofen, Theologen, Erfinders und Astronomen (oder
schlicht Weltweisen). Allein schon
das Antwortenmüssen wirft ihn sichtlich aus
der Bahn sowie hin und her auf dem Nachtlager zwischen Ja und Nein und
eher Ja. Die erneute Besichtigung, die er ihr (und sich) gewährt,
bestätigt seinen überaus vorteilhaften Eindruck von ihr, die
darüberhinaus mit nahezu perfektem Geschmack bei ihrer Kleiderwahl
besticht.
Doch weiß der Frauenkenner, für den er sich, warum auch immer, hält,
ebenso um die schier endlosen Täuschungsmanöver der Frauen Bescheid, um
deren begnadete Fähigkeit zur Vorspiegelung falscher Emotionen, ihre
Neigung, Männer zunächst um den Finger zu wickeln und danach mit allen Listen der Psyche von sich abhängig zu
machen:
"Ein schleichender Vorgang, als würde man über einen langen
Zeitraum winzige Tropfen Gift
in die Getränke oder das Essen des Opfers tun, bis der Mann so
zermürbt war, dass er sich nicht mehr davonmachen konnte und als
Weichling früh verstarb." (S. 63)
Und
selbst wenn sie die große Ausnahme wäre, die ihm vorherbestimmte
Seelenverwandte, bestünde die Gefahr, seine ohnehin schwache
Zugehörigkeit zum Weltganzen sicher zu 75 Prozent zu mindern.
Andererseits die reizvolle, makellose Erscheinung, sodass sich Pong in seiner beachtlich entwickelten
Fantasie unwillkürlich schon als großer Frauenerzieher sieht, wovon
selbstverständlich auch, wenn nicht in erster Linie, seine Doris, wie er
sie für sich bald zu nennen beginnt, profitieren würde. Und wenn er sie,
Biochemikerin von Beruf, erst behutsam von
ihrer naiven oberflächlichen Anbetung wissenschaftlicher Fakten
abgebracht hätte, würde sie ihm gewiss als Assistentin beim Ausbrüten
einzigartiger Ideen zur Seite stehen.
Eine schwierige und hochbrisante Entscheidung, fürwahr.
Das Buch lebt natürlich von
der Komik, die von dem skurril-ätherischen Pong mit seinen
außergewöhnlichen Ansichten, die allzu oft unter dem Unbill der
Wirklichkeit leiden müssen, und dem von ihm nichtsdestoweniger
unbeirrbar verfolgten Lebensstil ausgeht. "Pong am Abgrund" ist nicht hauptsächlich das wenn auch noch so
karikaturenhafte Psychogramm eines in die höhere Welt reiner
Sternenschau verliebten Ästheten, dieser wirkt viel mehr als Träger
aller möglichen in Anderen oder der Autorin selbst geschauten
menschlichen Schwächen und Ungereimtheiten.
Sibylle Lewitscharoff kann mit ihren Einfällen, da sie keiner
realistischen Zensur unterzogen werden müssen, nach Belieben schalten
und walten.
Es hat ihr offensichtlich einiges Vergnügen bereitet, aus einer
Männerrolle heraus die Frauen zu beurteilen und gleichzeitig
indirekt Vorurteile und Ambivalenz
ihnen gegenüber zum Ausdruck zu bringen,
aber auch Beherrschungs- und
Größenwahn, Weltabgehobenheit, Eitelkeit
("Komplimente, die er nicht ohne Wirkung zu späterer Verarbeitung in
sich aufnahm"; S. 38) und
manches andere, worauf man, freilich
meist in geringerer Dosierung, auch in natura stoßen kann, als
humoristische Perlen aneinanderzureihen.
Da das Buch in der Gegenwart spielt, wird neben aktuellen Politikern
unvermeidlich auch "die Krönchenkrankheit" gestreift:
"Huflattichartig wucherten
die Assoziationen in seinem Hirn. Zwei sich bekämpfende Ameisenhaufen
rannten gegeneinander an. Eine Ja-Ja-Ja-Fraktion kämpfte gegen eine
HeHa-coro-kapores-kaputt-kokolores-Fraktion an. Erst als das Telefon
klingelte, fand Pong zur Besinnung zurück." (S. 83/84)
(fritz; 06/2021)
Sibylle
Lewitscharoff: "Pong am Abgrund"
Insel, 2021. 143 Seiten.
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