Christoph Hein: "Guldenberg"
Und wieder wurde ein Beweis
dafür, dass gesteuerte Masseneinwanderung tendenziell zu schlechten
Büchern führt (möge sie sich auf die Musikszenen vorteilhafter
auswirken!), erbracht, diesmal von einem namhaften Schriftsteller, der
sich den Roman "Guldenberg" offenbar - bewusst oder unbewusst - gegen
seine wirkliche Meinung abgerungen hat und dadurch weit unter seinen
(und des Themas) Möglichkeiten geblieben ist. Bereits nach wenigen
Seiten gerät man ins Überlegen, ob man diese blutarme, durchsichtige
Stimmungsmache weiterlesen soll, hegt jedoch die vage (vergebliche)
Hoffnung, der Autor hätte wenigstens den Mut zum Kitsch aufgebracht und
einen entsprechenden Genreroman geschrieben, beispielsweise den edlen
syrischen Held die einzige Tochter eines erbitterten Migrantengegners
(höchstwahrscheinlich Nachfahre fanatischer Nazis) vor dem Ertrinken
retten und verstockte Bösewichte beschämte Gesichter zu einem
glücklichen Ausgang machen lassen, oder dergleichen.
Ein Karl
May etwa - um im schönen Sachsen zu bleiben - hätte so eine Arbeit
in wenigen Wochen, wenn nicht Tagen tadellos ausgeführt, falls er denn
eine Wette (nein, der hat ja aus Prinzip nicht gewettet), falls er
speziell in Hinblick auf die heutige Situation eine große Versöhnung von
Orient
und Okzident hätte feiern oder einfach nur für die Renovierung
seiner Villa Geld verdienen wollen:
Siehe - Edle und Unedle gibt es hier (unter Deutschen) wie dort (unter
Orientalen), ebenso gute und böse Absichten, Trennendes kann (zum
Beispiel durch wahre Liebe oder durch Bewunderung der hochentwickelten
deutschen Kultur, Technik und Fußballkunst) schrittweise überwunden
werden, Gemeinsames findet sich in dem einen Gott (dass sich die Bibel
womöglich eine Spur näher an der Wahrheit befindet als der Koran, muss
ja nicht so deutlich ausgesprochen werden), die handelnden Schurken
werden schlussendlich besiegt, üble mafiöse Schlepperstrukturen, die
auch in andere kriminelle Geschäfte hineinspielen, aufgedeckt,
politische Fädenzieher im Hintergrund allenfalls sehr behutsam
angedeutet (oder auch nicht), dazu abenteuerliche Verwicklungen mit für
die große Mehrheit befriedigendem Ausgang, und fertig ist die G'schicht,
Teil eins, wenn der Leser es möchte.
Bei Christoph Hein wird Kitsch nur in kleinen (wie unverdient gut es den
einen, wie schlecht es den anderen geht, unterstreichenden) Dosen
verabreicht. So handelt es sich bei dem guten Dutzend syrischer und
afghanischer Asylanten (oder Asylwerbender, dergleichen bleibt offen),
die gegen den Willen der meisten Einwohner in einem leerstehenden Haus
der irgendwo im Süden des deutschen Ostens liegenden Kleinstadt
Guldenberg untergebracht werden, selbstverständlich durchwegs um
Minderjährige (mit welchem Argument die Unterstellung eines
Einheimischen, da hätte man sich womöglich Salafisten und Islamisten in
die Stadt setzen lassen, sofort widerlegt ist), die den Autor allerdings
überhaupt nicht als Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen,
Charakteren und Zukunftsvorstellungen, sondern lediglich als Beispiele
für schlechte Behandlung seitens der Guldenberger wie der
bundesdeutschen Bestimmungen insgesamt interessieren.
Ein Syrer namens Adil, der von allen Fremden noch die relativ meisten
Zeilen erhält, sehr gerne nach Berlin gelangt wäre, wo ihm ein Freund
seines (im Krieg getöteten) Bruders behilflich hätte werden können,
stattdessen aber von den zuständigen Bürokraten in den
fremdenfeindlichen Süden verfrachtet wird, hat sich bestens auf
Deutschland vorbereitet, wundert sich deshalb, dass er, obwohl es in der
deutschen Sprache doch angeblich eine Höflichkeitsform gibt, ständig
geduzt wird, und im weiteren Verlauf über die Gitter, mit welchen das
Heim vor dem aufgebrachten Guldenberger Pöbel geschützt werden muss (das
Gerücht einer Vergewaltigung bestimmt den Haupthandlungsfaden), wo doch
in seiner alten Heimat Gitter ausschließlich dazu eingesetzt würden, um
Leute einzusperren.
Die
Afghanen
wiederum werden überhaupt keines Textes für würdig befunden, ebensowenig
der Leser einer Erklärung, warum diese sich mit den Syrern (es handelt
sich ja nicht gerade um Nachbarvölker mit blutiger Geschichte) in die
Haare geraten.
Die Guten: die sich im Seglerheim um die Fremden kümmernden Frauen,
allen voran Marikke, die Leiterin, ob ihrer mütterlichen Fürsorge nach
und nach zur Mamarikke aufsteigend, der vorbildlich auf
bundesrepublikanischer Linie liegende, sich bezüglich einer Wiederwahl
keinen Illusionen hingebende Bürgermeister und der katholische Pfarrer,
welcher, nachdem einem Versetzungsgesuch nicht stattgegeben wird, sich
gleichsam zu wahrer christlicher Größe (nie und nimmer würde man in dem
Autor einen Pastorensohn vermuten), der redlich verdienten Beschimpfung
seines Pfarrgemeindevorstehers, einem zielgenauen Zitat aus der
Apostelgeschichte über Pöbelzusammenrottung und eine kluge Intervention
bei der Polizei, aufschwingt.
Die Bösen: die meisten männlichen Guldenberger, vor allem zwei
gescheiterte Unternehmer (warum nicht, wenn man schon so in Schwung ist,
ein weiteres Stereotyp bedienen?), während ein dritter, erfolgreicherer,
grundsätzlich nichts gegen die Fremden hat, zumal er diese gern als
Arbeitskräfte ausbeuten würde.
"Für meinen Besuch nur das Beste, die älteren Jahrgänge halte ich
gerne unter Verschluss. So demokratisch sind wir hier dann auch wieder
nicht."
Er lachte kurz auf." (S. 99/100)
Misslungen auch die meisten, wie am Reißbrett entworfenen, Dialoge
(vielleicht schon zur Verfilmung gedacht; öffentlich-rechtliche Sender
würden wirklich gut mit der Zwanghaftigkeit von Thema und Bearbeitung
harmonieren).
Positiv die wenigen sich vom sonstigen Mattschwarz und Mattweiß
wohltuend abhebenden, realistischeren Grautöne, der erregende Schock für
die jungen Orientalen, in einem Schwimmbad beinahe
nackter
Frauen angesichtig zu werden, dümmlich-paternalistische
Verhaltensweisen, wie jemanden, der aus seiner inferioren Position
heraus nicht die Möglichkeit zur Verneinung hat, zu fragen, ob er
einverstanden sei, oder die Skizzierung der Guldenberg genannten
Kleinstadt anhand einigermaßen repräsentativ ausgewählter Einwohner und
sonstiger aktueller Problemlagen (Arbeitslosigkeit, eine mit
EU-Fördergeldern wieder in Stand gesetzte, als Kulturtempel dienende,
aber schwer zu erhaltende Jugendstilvilla etc.).
Schwer übertrieben vermutlich die geschilderte Fremdenfeindlichkeit
(schwer untertrieben, da nicht vorhanden, die angegebenen Gründe
hierfür), welche sich nicht nur über aus tausende Kilometer entfernten
Regionen herbeigelockte Menschen von anderer Religion und recht
unterschiedlicher Kultur ergießt, sondern offenbar nicht einmal vor
Niederländern Halt machen würde:
"Man störte sich an der unverständlichen Sprache und der Art, wie
die Fremden kampierten und geradezu in aller Öffentlichkeit hausten
und scheinbar keinerlei Scham kannten. An den Fenstern ihrer Wohnwagen
gab es keine Gardinen, es schien ihnen nichts auszumachen, ihre
Lebensweise und ihre Armseligkeit vor aller Augen auszubreiten."(S.
9)
Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, hätte sich der Autor, wie er es
zur Sicherheit ja auch pro forma gehandhabt hat, tatsächlich auf ein
Porträt seines Guldenberg, angeblich der Kleinstadt, in welcher er
selber lebt, nachempfunden, beschränkt, wäre dabei jedoch weit mehr in
die Tiefe gegangen und hätte das Migrantenthema nur nebenbei einfließen
lassen. Doch dafür ist es nun zu spät.
Insgesamt ist es also eine ziemlich abgeschmackte Sache geworden, dieses
"Guldenberg", als Stück Literatur geradezu ein Ärgernis, tauglich
immerhin als starkes Indiz, dass jene, welche den Sommer 2015 wie auch
insgesamt die europäische Asylpolitik der letzten eineinhalb Jahrzehnte
bejubelt, unterstützt und beschönigt haben und zum Teil noch immer darin
fortfahren, entweder sehr naiv sind oder, wie viele Künstler,
Journalisten und Politiker, wider besseres Wissen agieren.
(fritz; 08/2021)
Christoph Hein: "Guldenberg"
Suhrkamp, 2021. 284 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen
Digitalbuch bei amazon.de bestellen