Mario Vargas Llosa: "Harte Jahre"


Zwei guatemaltekische Präsidenten der Fünfzigerjahre, wirtschaftsbedingter US-Interventionismus und eine femme fatale

Harte Jahre (nicht "duros", sondern mit Teresa von Avila gesprochen "recios") waren die Fünfzigerjahre in vielen Staaten Lateinamerikas, in Guatemala im besonderen. Zwei der damaligen Präsidenten des Landes, Jacobo Árbenz Guzmán (1951-1954) und Carlos Castillo Armas (1954-1957), bringt Mario Vargas Llosa in seinem neuen Roman noch einmal auf die Bühne, umreißt ihren politischen Werdegang und schildert zentral Gründe und Umstände ihres jeweiligen Sturzes aus den Höhen der politischen Macht. Des Autors Verständnis von historischem Roman war es dabei, sich an die bekannten Fakten zu halten, in guatemaltekischen und anderen Archiven fleißig nach weniger bekannten zu recherchieren und manche Leerräume im Tun und Lassen der historischen Personen, vor allem deren Gedankenwelt, Motivation und Privatleben betreffend, nach eigenem Dafürhalten und ohne klare Kenntlichmachung zu füllen.

Vargas Llosa erzählt den gewaltreichen Stoff bündig in einem Distanz wahrenden, gleichmäßig nüchternen, allenfalls manchmal in seiner Wortwahl persönliche Anteilnahme durchblicken lassenden Stil und mittels einer interessanten Darstellungsweise, einer raffiniert aus Zeit- und Perspektivenwechseln bestehenden, eine ausgewogenere Gesamtsicht ermöglichenden Abfolge von 32 Kapiteln, umfasst wiederum von zwei weiteren kürzeren Einzeltexten:
einem "Vorher", in welchem die "United Fruit", ein damals bereits stattlicher, auf Produktion und Import von Bananen fußender und in Guatemala über ein Monopol verfügender us-amerikanischer Konzern ("in ganz Mittelamerika La Frutera genannt und mit Spitznamen der Krake") sich entschließt, die Dienste und Ratschläge professioneller Öffentlichkeitsarbeit in Gestalt von Edward I. Bernays, mit seinem Buch "Propaganda" ein Vorreiter der "public relations", anzunehmen, womit denn systematisch die reichlich wirklichkeitsferne Gefahr einer kommunistischen Machtübernahme in Guatemala heraufbeschworen wurde und eine für das mittelamerikanische Land verhängnisvolle US-Außenpolitik ihren Anfang nahm.
Zuguterletzt erhält in einem in neueren Zeiten spielenden "Nachher" (Donald Trump weilt bereits im Weißen Haus; der Roman erschien 2019 in Barcelona) der Erzähler des Romans einen Termin bei seiner gemessen an der Seitenanzahl wichtigsten Romanfigur, literarisch ergiebiger als die beiden Präsidenten (vom einen war sie die Geliebte mit Ehefrau-Aussichten), einer veritablen femme fatale, und führt mit ihr - Don Mario mit der etwa gleich alten Doña Marta - in ihrem absonderlichen Haus unweit des CIA-Hauptquartiers unter permanentem Gekreische dutzender exotischer Vögel ein eher zähes und vermutlich beiderseits nicht ganz aufrichtiges Gespräch, um dieses danach noch mit den beiden Terminvermittlern, zwei Intellektuellen aus der Dominikanischen Republik, zu erörtern.

Neben den beiden Präsidenten und der in dem Buch meist Miss Guatemala genannten Marta fällt das kapitelweise Nahaufnahmelicht auch auf den perversen Johnny Abbes García, erst Militärattaché, dann Sicherheitschef der Dominikanischen Republik, vorzugsweise der Dominikaner genannt, auf den guatemaltekischen Sicherheitschef Oberstleutnant Enrique Trinidad Oliva (von seinem Präsidenten Castillo Armas mit dem Spitznamen "Grobklotz" versehen) sowie auf den bald geschiedenen Ehemann Martas, Arzt und ehemaligen Freund (bis zur Bekanntwerdung der Schwängerung nämlich) von Martas Vater. Außerdem tragen (bzw. trugen) nur von der Seite gestreifte Romanfiguren wie der US-Botschafter in Guatemala von 1954, John Emil Peurifoy, mit dem kurz zuvor während des griechischen Bürgerkriegs erworbenen Titel "Schlächter von Griechenland" (welchen der Autor offenbar besonders unsympathisch findet und als begriffsstutzigen und zähgeistigen McCarthy-Verschnitt bezeichnet), Rafael Leónidas Trujillo Molinas, Diktator der Dominikanischen Republik und Auftraggeber des Dominikaners (beide wurden von Mario Vargas Llosa schon ausgiebig in dem Roman "Das Fest des Ziegenbocks" "gewürdigt"), meist einfach Chef oder Generalissimus genannt, mit hoher dünner Stimme und intensivem Blick, einige Militärs, Geheimagenten und Hausangestellte das Ihre zur thrillerhaften Handlung bei.
Vom damaligen Wissensstand ausgehend zeichnet Vargas Llosa mit kundiger Hand den Charakter, Ehrgeiz und Verrat, Überzeugungen, Hoffnungen, Ängste und Selbstrechtfertigungstendenzen, Problemlagen, Bündnisse und Intrigen der Beteiligten nach. Manches, wie der Zustand der guatemaltekischen Gesellschaft, oder dass dem US-Präsidenten Eisenhower von den eigenen Leuten ein unzutreffendes Bild der Situation vermittelt wurde, wird nur angedeutet, anderes wie Hintergrundberatungen und das Erwägen alternativer Handlungsmöglichkeiten bleibt ganz im Dunkeln, hingegen erzählt der Autor die Viten der Hauptbeteiligten, sofern schon zu Ende gegangen, in gestraffter Form zu Ende, nicht immer ist die Todesursache klar.

Zentrales Ereignis in "Harte Jahre" bildet sicherlich die unter massivem äußeren Druck erfolgte Abdankung von Präsident Árbenz und damit verbunden die Rücknahme seiner Agrarreform, welche brachliegendes Land im Besitz der "United Fruit" zu dem von dieser der Steuer gegenüber angegebenen Wert zurückgekauft bzw. enteignet und langfristig an Indio-Bauern verpachtet hatte.
Allein durch sein Erzählen, indem er die Geschehnisse für oder vielmehr gegen sich sprechen lässt, macht Mario Vargas Llosa deutlich genug, dass er das Ausmaß des Interventionismus seitens der USA und die Wahl ihrer Methoden zur Erreichung der Ziele für inakzeptabel hält, überdies für höchst kontraproduktiv, denn, so lautet sein Resümee in "Nachher", erst durch die damaligen Geschehnisse in Guatemala habe die Idee des Sozialismus in Lateinamerika, wo sich kaum jemand für Marx und Genossen interessierte, ungeahnten Aufschwung genommen und sei zum Mythos geworden, hätten sich Militärdiktatoren bestätigt gefühlt und unerbittliche Denkweisen kommunistisch gesinnter Revolutionäre auf Kuba und anderswo durchgesetzt. Diese These des der Neigung zum Sozialismus unverdächtigen Autors - sinnvolle Agrarreformen fallen nicht darunter - mag zweifelhaft sein, seine scharfe Kritik indessen besteht wohl zurecht.
Der letzte, zu wenig Optimismus Anlass gebende Satz des Buches lautet: "Mindestens drei Generationen von jungen Menschen töteten und wurden getötet für einen weiteren unmöglichen Traum, radikaler noch und tragischer als der Traum von Jacobo Árbenz." (S. 409)

(fritz; 06/2020)


Mario Vargas Llosa: "Harte Jahre"
(Originaltitel "Tiempos recios")
Aus dem Spanischen von Thomas Brovot.
Suhrkamp, 2020. 411 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen

Digitalbuch bei amazon.de bestellen