Heinrich Steinfest: "Der Chauffeur"
Rasante Unterhaltung mit
Witz und bemerkenswerten Untertönen
"Der Chauffeur" bietet eine vergnügliche, spannende Geschichte rund um
den ehemaligen professionellen Wagenlenker und Hotelier Paul Klee,
dessen Lebenslauf durch einen Autounfall in einem Tunnel eine
schicksalhafte Wendung erfahren hat. Wie üblich bei Heinrich Steinfest,
wartet auch dieser Roman mit haarsträubenden Krimielementen, pointierter
Gegenwartskritik, außergewöhnlichen Figuren und abwechslungsreichen
Szenerien auf, zusätzliche Würze verleihen absurde wie auch fantastische
Aspekte.
Nun besteht der Reiz dieses Romans freilich vor allem darin,
zeitübergreifende inhaltliche Zusammenhänge und Hintergründe erst nach
und nach zu enthüllen, weshalb an dieser Stelle nur einige
Konstellationen beleuchtet werden, um das nachfolgende eigene
Bucherlebnis des geneigten Lesers nicht zu schmälern.
Das Ende ist naturgemäß gewiss, doch der Weg dorthin ist von zahllosen
Entscheidungsvarianten, interessanten Begegnungen und unvorhersehbaren
Ereignissen gesäumt.
Vier Großkapitel ("Erster Faden" bis "Vierter Faden"), untergliedert in
lesefreundliche Abschnitte, fächern einmal behutsam, dann wieder Schlag
auf Schlag die Handlung auf:
Von seinem umtriebigen Chef, dem Politiker, Wirtschaftsjongleur und
späteren deutschen Kanzler Martin Rehberg, nach dem Autounfall und einer
folgenreichen Entscheidung zwar entlassen, doch mit einer satten
Abfertigung ausgestattet, verwirklicht Paul Klee seinen langgehegten
Traum vom perfekten Kleinhotel mit Weltklassefrühstück und famoser Bar,
diesbezüglich hat er schon lange absolut strikte Vorstellungen. Dass er
bei der Suche nach dem passenden Objekt auch gleich die Maklerin Inoue
Sander, deren kurioser Lebenslauf sogar eingefleischte Steinfest-Leser
verblüffen wird, als Gefährtin gewinnt, erweist sich umgehend als sehr
praktisch.
Doch ist die Idylle im Südwesten Deutschlands nicht von langer Dauer.
Das "Hotel zur kleinen Nacht" erlangt zwar schnell einen ausgezeichneten
Ruf, allerdings landet während der letzten Sommerferiennacht, zunächst
nur von den spontanobjektkunst- und lektürebegeisterten (und zwar wird
ausgerechnet Thomas Manns "Der Zauberberg", vorgelesen von der
rumänischen Hotelangestellten Klara Popa, zum Leitstern für die Kinder)
zehnjährigen Zwillingen Inoues aus einer früheren Beziehung, Uwe und
Iris, bemerkt, nach 62 Jahren im Weltraum der anno 1957 gestartete
sowjetische Satellit "Sputnik 2" in der Nähe des Hotels. Darin befindet
sich die seit dem Start um keinen Tag gealterte Hündin "Laika". Und die
Welt wandelt sich infolge der "Großen Rückkehr" langsam aber
stetig, als keimte eine geheimnisvolle Saat. In den diesbezüglichen
Passagen scheint Heinrich Steinfest bzw. der allwissende Erzähler seine
Vorstellungen von einer besseren Welt festgehalten zu haben,
beispielsweise gelten plötzlich alte Berufe und Einfachheit als
wertvoll, hingegen Mobiltelefone und Automobile als überflüssig.
Von wie üblich sensationslüsternen Medienleuten und naturgemäß
sonderbaren Wissenschaftern bedrängt, flieht Inoue mit ihren schlagartig
berühmten Kindern und Klara an einen unbekannten Ort. Die Beziehung mit
Paul Klee ist inzwischen zur freundschaftlichen Geschäftspartnerschaft
geworden.
Klemens Holl, ein nach einer politischen Ohrfeigenaffäre unrühmlich aus
dem Dienst geschiedener ehemaliger Kriminalpolizist, will einen alten
ungelösten Fall aufklären, bei dem die tückische reiche Witwe Eva
Gehring seiner Meinung nach die Fäden gezogen hat. Doch gerät auch er in
die Fänge der mehr als rüstigen Nachbarin des Hotels und verschwindet
bald spurlos.
Der neugierige Paul Klee begibt sich auf die Suche nach dem Sonderling,
findet sich jedoch alsbald geknebelt und gefesselt im Keller der "schönen
Eva" wieder. Die Art und Weise seiner unverhofften Rettung durch
einen Hotelgast, nämlich die Choreografin Sarah Scheer, schließt für
Paul Klee völlig überraschend einen schicksalhaften Kreis. Er reist nach
Passau, spürt dem verschwundenen Klemens Holl bis nach Österreich nach,
gerät in allerlei seltsame Situationen, begegnet hilfreichen
Zeitgenossen und wird "zufällig" in einer abgelegenen Kapelle und auf
einem verkommenen Gehöft beim genial zeichnenden Bauern Karl Meierhofer
fündig.
Ein tragikomisches Glanzstück ist jene Episode, in der Paul Klee unter
Einsatz seines Lebens eine rosarote Luxuslederhandtasche aus einem in
einen Fluss gerollten Kinderwagen "rettet".
Inoue und ihre Zwillinge haben inzwischen unter geänderten Namen in
einem Sanatorium in Dechla an der Rax ein neues Zuhause und neue
Lebensaufgaben gefunden, auch Klara hat sich in Österreich gut
eingelebt. Und Paul Klee findet in der Tennislehrerin Olga Stepanowa
beinahe eine Zukunftsperspektive, doch dann kommt alles ganz anders ...
Wer erfahren will, was es mit leichten und schweren Büchern auf
Beifahrersitzen, der Wirkmacht von Entscheidungen, mit Spirituosen und
Spirituellem, Schuldgefühlen, Vorherbestimmung, heilpädagogischen
Landschaftskunstobjekten und gewissen Bereichen des Kunstmarkts im 21.
Jahrhundert, mit Schicksalsträumen, dem vergänglichen Zauber des
Verliebtseins, irrlichternder Technikgläubigkeit, Tennis, Lokalkolorit,
der "Schönheit der Überlappung" und vielem mehr bei Heinrich
Steinfest auf sich hat, sollte sich den mitreißenden Roman "Der
Chauffeur" keinesfalls entgehen lassen!
(kre; 08/2020)
Heinrich
Steinfest: "Der Chauffeur"
Piper, 2020. 368 Seiten.
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Ein Buchtipp:
Thomas Mann:
"Der Zauberberg"
Geplant als Novelle, als heiteres Gegenstück zum "Tod in Venedig",
entstand mit dem "Zauberberg" einer der großen Romane der klassischen
Moderne.
Ein kurzer Besuch in einem Davoser Sanatorium wird für den Protagonisten
Hans Castorp zu einem siebenjährigen Aufenthalt, der Kurort wird zur
Bühne für die europäische Befindlichkeit vor dem Ersten
Weltkrieg. Im Juli 1913 begonnen, während des Krieges durch
essayistische Arbeiten, vor allem durch die "Betrachtungen eines
Unpolitischen", unterbrochen, konnte der Roman anno 1924 abgeschlossen
und veröffentlicht werden. (Fischer)
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