Christoph Ransmayr: "Damen & Herren unter Wasser"
Eine Bildergeschichte nach 7 Farbtafeln von Manfred Wakolbinger
Der 7. Band aus Christoph
Ransmayrs genrevielfältiger Reihe "Spielformen des Erzählens":
Abtauchen in die Bildergeschichte eines allzu menschlichen Riffkalmars
Das hochpreisige Büchlein aus dem Jahr 2007 bietet auf lediglich 88
Seiten eine auf sieben Unterwasserfotografien des am 6. November 1952 in
Oberösterreich geborenen Fotografen und Bildhauers Manfred Wakolbinger
beruhende Geschichte, wobei die später nachgeschobene Digitalbuchausgabe
preislich leider kaum günstiger ist. Von "Damen & Herren unter
Wasser" wurde auch ein Klangbuch produziert (erschienen anno 2009,
"Mandelbaum Verlag, Bibliothek der Töne"), vorgelesen vom Autor, die
Töne beigesteuert hat der am 11. März 1963 geborene Trompeter Franz
Hautzinger.
Ein kurzweiliges kleines Büchlein ist es jedenfalls, es spielt gewollt
in einer gänzlich anderen Liga als Ransmayrs wortgewaltige Romane: Eine
aufgrund ihrer Entstehung von Erinnerungen an die Schulzeit, wie der
Autor im als "Brief aus der Wüste" bezeichneten Vorwort
ausführt, geprägte Geschichte, inspiriert von Bildern. Es handelt sich
um einen launigen Erlebnisaufsatz aus der Perspektive eines forschenden,
ungewöhnlich langlebigen, verliebten Großflossen-Riffkalmars, der vor
seiner Verwandlung zum Meeresbewohner in Gestalt eines Museumswärters
namens Blueher, geplagt von Schweißausbrüchen, in der Luftwelt
dahinvegetierte. Vom Vegetieren zu den Meerestieren also, und die
Schicksalsgefährten (denn nur wenige Unterwasserdamenundherren sind
ehemalige Menschen) verständigen sich untereinander in einer
Universalsprache mittels "Fischfunks", einer Art Telepathie.
Mit vom wichtigtuerischen Kalmar zugewiesenen (englischen, aber das ist
eine eigene Geschichte) Spitznamen ausgestattete Projektionskreaturen
werden vorgestellt, Klatsch und Tratsch aus der allzu menschlichen
Unterwasserfauna geboten, dazu bekommt man eine sagenhafte Evolutions-
oder gar Erlösungstheorie sowie Hypothesen bezüglich des
Verwandlungsfaktors und des Fortschritts an sich serviert. Doch geht der
spielerische Text weder hinsichtlich meereskundlicher Erkenntnisse, noch
bezüglich psychologischer Ansätze in die Tiefe, das Konstrukt bleibt
recht oberflächlicher Klamauk, ohne einen seriösen spirituellen
Hintergrund anzudeuten, mit Empathie zu punkten oder mitreißendes
naturwissenschaftliches Interesse zu präsentieren.
Ebenso unergründlich wie ärgerlich ist und bleibt übrigens auch, dass
manche Menschen andere Lebensformen auf dem Planeten Erde immer noch und
wieder als "Außerirdische" oder gar fremdsprachig (Barbarei?
Populismus? Ignoranz?) als "Aliens" bezeichnen, denn das ist
naturgemäß absolut unzutreffend.
Amüsant sind hingegen jene Stellen, an denen die verehrte, doch etwas
schlichte Frau Purpleheart dem begeistert Theorien absondernden
Riffkalmar nach
Loriot-Art oder
wie eine Figur von
Martin Walser wiederholt "Ach du" zufunkt, oder wenn
Taucher in das Revier des Erzählers vordringen.
Man lernt der Reihe nach folgende Schicksalsgefährten des Kalmars
aufgrund von mit dichterischer Freiheit vom Erzähler ausgeschmückten
Kurzporträts kennen, sowohl in vorheriger menschlicher, als auch in
nunmehriger tierischer Gestalt: Herrn Reddish, als Mensch
Wasserbettverkäufer und manchmal heimlich in Frauenkleidern posierend,
nunmehr fluchende bis schwadronierende schmucke Imperialgarnele, die
Kronenqualle Frau Horange, einst Schwimmlehrerin und Aquarellmalerin,
den Geisterpfeifenfisch Herrn Blackthorne, vormals branchenintern "Meister
Undicht" genannter Installateur, einen dauermonologisierenden
Flohkrebs, nämlich die frühere Fischereiministerin und Nichtschwimmerin
Frau Whitey, die ehemalige Schönheitskönigin Frau Purpleheart im Körper
eines Fledermausfischs, und - zumindest mittelbar - deren Ex-Partner,
den einstigen Dammbauer Herrn Greenfinch, der dem Vernehmen nach als
verführerische Nacktschnecke umherfließt. Sie alle vereint die besondere
Beziehung zu Flüssigkeiten in der früher bewohnten Luftwelt, ihre
Kurzbiografien stecken voller Ironie und kleiner Bosheiten.
Schon anno 2007 widmete sich Christoph Ransmayr dem erst viel später bei
zahllosen öffentlich belobigten Schriftstellern in Mode gekommenen
Geschlechtsoptionthema (so fragt sich der Riffkalmar an einer Stelle: "Bin
ich männlich? Bin ich weiblich?"), jedoch noch ohne absichtsvolle
Verwirrung des Konsumentengemüts. Längst liefern sich Autoren kuriose
Wettrennen ohne Rücksicht auf Verluste, wer die meisten zeitgeistigen
Entwicklungen und literarischen Marschbefehle von einer anscheinend im
Verborgenen existierenden Liste der vorgeschriebenen Pflichtelemente in
seinen Werken unterzubringen oder auch abzuarbeiten vermag, sei das nun
innerhalb des jeweiligen Texts sinnstiftend oder nicht. Das erinnert ein
wenig an, wie es einst genannt wurde, Pflicht (heutzutage "Kurzkür") und
Kür im Eiskunstlauf, und da wie dort sind durchaus auch Präsentation und
künstlerischer Ausdruck von Belang, sonst landet die allzu gewollte
Darbietung prompt nach bemühter Ablieferung sämtlicher Pflichtelemente
unelegant und unvermeidlich auf dem Allerwertesten. Das mag zwar für
gewisse Zeitgenossen von vergänglichem Unterhaltungswert sein, der
interessierte Leser giert jedoch wohl nicht nach derlei zwangsweise zur
Schau gestellten Blamagen, sondern schätzt Stilsicherheit in Kombination
mit fundierten Inhalten von bleibendem Wert.
Man hat hier also eine Spielerei vor sich, eine kleine, wenn man so will
auch lässige, Fingerübung des weltkundigen Schriftstellers Christoph
Ransmayr, nicht mehr und nicht weniger. Diese "Spielform des Erzählens"
ist ein stellenweise recht witziger Pausenfüller, der wahre Stellenwert
und das außergewöhnliche Können des Autors zeigen sich dem Leser
allerdings in seinen wunderbaren Romanen, darunter: "Die
Schrecken des Eises und der Finsternis", "Die
letzte Welt" und "Morbus
Kitahara".
(kre; 01/2020)
Christoph Ransmayr: "Damen & Herren
unter Wasser.
Eine Bildergeschichte nach 7 Farbtafeln von Manfred Wakolbinger"
S. Fischer. 88 Seiten.
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Eine weitere "Spielform
des Erzählens" von Christoph Ransmayr:
"Arznei gegen die Sterblichkeit. Drei Geschichten zum Dank"
Christoph Ransmayr verwandelt Erinnerungen in Erzählungen und bedankt
sich mit diesen Geschichten für die Auszeichnungen nach seinem großen
Erfolg "Cox
oder Der Lauf der Zeit". Man erlebt den Schriftsteller in drei
Reden sehr persönlich, fast privat. Zugleich bezieht er vehement
Stellung gegen Barbarei, Populismus und Ignoranz. In "Arznei gegen die
Sterblichkeit" fügt er seiner Reihe "Unterwegs nach Babylon", nach der
Bildergeschichte, der Tirade, dem Duett und vielen Anderen, die
Danksagung als eine weitere Spielform des Erzählens hinzu.
Ein Junge schlägt den Fußball aus dem Morast eines Spielfeldes und
schießt ein fatales Eigentor. Ein Mädchen im gelben Kleid schleppt einen
schweren Wasserkanister durch eine afrikanische Einöde. Ein Vater kämpft
verzweifelt um die Wiederherstellung seiner Ehre. (S. Fischer)
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Roger Hanlon, Mike Vecchione, Luise Allcock: "Octopus & Co.. Die
faszinierende Welt der Tintenfische, Kraken und Kalmare"
Faszination Tintenfisch: Alles über Krake, Octopus und Co.
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Heinz Krimmer: "Aliens
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Man muss die Außerirdischen nicht im Weltraum suchen, sie sind bereits
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Die Begegnung mit Kraken in
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