Christoph Nußbaumeder: "Die Unverhofften"
Wirtschaftlicher Aufstieg und Verbrechen. Große über mehr als ein deutsches Jahrhundert gehende Familiensaga
Gewalt ist eine Konstante des
Romans und steht gleich an seinem Beginn. Eine Arbeiterin rächt ihre
Vergewaltigung mit der Brandlegung an einer Glashütte in dem unmittelbar an der böhmischen Grenze gelegenen
bayrischen Ort Eisenstein, wird
dadurch zum Ausgangspunkt einer großen Familiensaga und läutet parallel
dazu das Ende für die reiche Tradition der Glashütten ein.
In sieben in der Zeit langsam voranschreitenden Großkapiteln entwickelt
sich das eng mit der Wirtschaft der Region verknüpfte Schicksal der von
Ehrgeiz getriebenen Familie. Ihr wichtigster Spross, Georg
Schatzschneider, auch er Ergebnis einer besonderen Zeugung, wird weit
auf der Karriereleiter nach oben klettern, wozu das westdeutsche
Wirtschaftswachstum den Rahmen bildet.
Mehr
als hundert Jahre Familiengeschichte und deutsche Geschichte im
allgemeinen erzählt Nußbaumeder auf siebenhundert Seiten. Dabei zeigt er
die Prägungen auf, die aus den Veränderungen des Zeitgeists, vor allem
der stetigen Änderung der Arbeitswelten auf die Personen einwirken, von
Generation zu Generation oder, wie im Fall von Georg Schatzschneider,
von Epoche zu Epoche. Er behandelt auch ausgiebig die Zeit der
Wiedervereinigung der deutschen Staaten und endet beinahe in der
Gegenwart mit uns vertrauten Entwicklungen: den üblen Praktiken von
Großkonzernen, Profitmaximierung und Spekulation im großen Stil. Und
nicht nur in dieser unserer Zeit erhebt sich immer wieder die Frage, ob
die seelischen Auswirkungen auf die Familienmitglieder die geschäftliche
Skrupellosigkeit wert waren. Außerdem führt Christoph Nußbaumeder
überzeugend vor, wie sehr lange verborgene Lebenslügen
innerhalb einer Familie das Leben nachhaltig vergiften können .
Christoph Nußbaumeder glänzt in seinem Roman mit geschichtlichem
Hintergrundwissen, verpackt in facettenreichen, mit Worten gemalten
Bildern. Fesselnd und mit Tiefgang erzählt er von einzelnen Fügungen.
Würde man dabei behaupten, dass dieses Buch auf einer wahren Begebenheit
beruhe, wäre dies absolut glaubwürdig.
Mit "Die Unverhofften" gelingt ihm ein Werk, dessen schicksalhafter
roter Faden die Charaktere verfolgt und auch einholt - Traumata und
deren Auswirkungen werden aufgezeigt und man wird mit fesselnden
Lebensgeschichten konfrontiert, die das Leben selbst erzählt haben
könnte. Mit diesem Roman trifft er ins Schwarze, wenngleich dies auch
eine etwas schwerer verdauliche Abendlektüre ist.
(M. Krammer; 10/2020)
Christoph Nußbaumeder: "Die Unverhofften"
Suhrkamp, 2020. 700 Seiten.
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Christoph Nußbaumeder, 1978 im niederbayerischen Eggenfelden geboren, studierte Rechtswissenschaften, Germanistik und Geschichte in Berlin. Seine Stücke wurden u. A. bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen, an der Berliner Schaubühne, am Schauspielhaus Bochum und am Schauspiel Köln uraufgeführt. Christoph Nußbaumeder lebt in Berlin.