Sheikh Nefzawi: "Der parfümierte Garten"
Ein Handbuch arabischer Liebeskunst
"In jedem Land, ob groß oder klein, haben Reiche wie Arme eine Neigung zu diesen Büchern, die vielleicht mit dem Stein der Weisen verglichen werden können, der die Macht besitzt, gewöhnliches Metall in Gold zu verwandeln." (S. 173)
Unzählbar sind in der Tat die
Werke erotischer Literatur, vor allem von Erzählungen, obwohl mindestens
seit dem 20. Jahrhundert der Anteil an diesbezüglichen Ratgebern
verschiedenster Art zunimmt. Ein Mann, der sich im 15. Jahrhundert
sammelnd und verfassend mit beidem beschäftigte, war Sheikh Nefzawi.
Wenig ist über ihn bekannt, aus dem Süden Tunesiens soll er stammen, mit
einiger Sicherheit hat er den Beruf eines Richters ausgeübt und sein
Handbuch für niemand Geringeren als den Großwesir von Tunis verfasst.
Allerhand Zufällen und verwachsenen Pfaden verdanken wir es, dass das
Buch auf uns gekommen ist und nun auch wieder in deutscher Übersetzung
vorliegt. Zunächst wurde ein arabisches Exemplar, vermutlich eine bereits
vielfach veränderte Abschrift des Originals, Mitte des neunzehnten
Jahrhunderts von einem in Algerien stationierten französischen Offizier
entdeckt und voll Begeisterung - die große Ernsthaftigkeit Nefzawis
lobend, wenn auch mit spürbarem Bedauern,
dass darin viele Spielarten der Liebe, Päderastie, lesbische Liebe,
Liebe zwischen Mensch und Tier (was allerdings für vorliegende Ausgabe
nicht ganz zutrifft) etc. unerwähnt geblieben seien - gleich übersetzt. Diese Übersetzung wiederum fiel Jahrzehnte später
dem britischen Weltreisenden und Privatgelehrten Richard
Francis Burton in die Hände, der sich seinerseits an eine Übersetzung machte,
unter Zuhilfenahme arabischer Fragmente und Varianten und geradezu
besessen von dem überlangen, angeblich besonders verruchten 21. Kapitel
(welches, soweit von ihm rekonstruiert, seine Witwe und
Nachlassverwalterin dann größtenteils verbrannt hat). Die deutsche
Übersetzung von Alfred Goubran hat sich in erster Linie auf die von
Burton gestützt und bemüht, eine gute Mischung aus vermuteter
Originaltreue und Leserfreundlichkeit zu finden.
Sheikh Nefzawi selbst hat im übrigen ebenfalls fleißig auf die Arbeiten von Vorgängern, vor allem aus dem arabischen Raum, aber auch dem indischen zurückgegriffen und baut deren Empfehlungen, Verse und Geschichten immer wieder in sein Werk ein. In 21 Kapiteln widmet er sich den verschiedensten Aspekten der körperlichen Liebe in ihrer klassischen Form, also der Liebe zwischen Mann und Frau in ausschließlich jener Spielart, bei welcher mitunter Kinder gezeugt werden. Obwohl der Koitus im Zentrum steht, wird indessen immer wieder unermüdlich auf die Wichtigkeit eines ausgedehnten Vorspiels hingewiesen, und ohne Nachspiel sei es auch nicht das wahre. Nefzawi zählt elf klassische Stellungen für den Beischlaf auf, fügt dann jedoch zahlreiche weitere in Indien gebräuchliche, wo man in diesem Wissen weit fortgeschrittener sei, hinzu. Freilich solle es dabei nicht um gymnastische Übungen, sondern um geschlechtliche Lust gehen, für welche, wie er schreibt, zwar jedes Wesen empfänglich sei, doch nur der Mensch finde darin höchste Seligkeit. Für die experimenteller Veranlagten gilt außerdem: "Ist aber nun jemand der Ansicht, daß die Stellungen, welche ich beschrieben habe, ihm nicht genügen, so soll ihn nichts davon abhalten, neue zu erfinden." (S. 105) Und natürlich sei es sinnvoll, Verschiedenes auszuprobieren, so könne man schließlich einwandfrei herausfinden, was ihr und ihm die größte Lust bereitet.
Sheikh Nefzawi zeigt sich in seinem Buch am sexuellen Wohl aller Mitmenschen interessiert, häufig Liebenden rät er zu bestimmten Speisen (Fleisch, Honig, Eiern, besonderen Aromen wie Zimt, Ingwer, Kardamom, Mastixöl etc.), aber auch zu einer gewissen Mäßigung. Für in der Liebe auf irgendeine Art Eingeschränkte, Schwangere, besonders dicke, große, kleine, in irgendeiner Weise missgestalte (bucklige) Menschen hält er besonders viele Empfehlungen bereit, gibt Anleitungen gegen vorzeitigen Samenerguss und Unfruchtbarkeit, für die Vergrößerung des Penis, die Verengung der Vulva, das Beseitigen unangenehmer Körpergerüche durch afrodisierende Düfte, aber auch erfolgreich durchgeführte Abtreibungen (so es Gottes Wille ist).
Manche seiner Empfehlungen
muten durchaus modern an (potenzgefährdend sei beispielsweise, ausschließlich die Lust
der Partnerin im Sinn habend die eigene unberücksichtigt zu lassen),
manche naheliegend (die gewisse Mäßigung, nicht mit vollem Magen, das
Betonen des Individuellen, dass man beim Küssen, wenn man es nicht zu
löschen gedenke, kein Feuer entfachen solle etc.), manches wiederum
erweist sich als sehr zeit- und kulturgebunden und dient allenfalls als
Anlass zum Schmunzeln. So meint Nefzawi, ein wilder Löwe könne dadurch
in die Flucht geschlagen werden, dass der Mensch vor ihm sein Geschlecht
entblöße (oder - falls die Umstände dies ungeziemlich erscheinen
ließen - laut den Namen des Profeten Daniel ausspreche). Mit einer
älteren Frau zu schlafen, würde den Liebhaber an Lebenskraft einbüßen
lassen, und die ideale Frau, die von allen Männern geschätzt werde, wie
es bei Nefzawi heißt, welche sich unter anderem durch dralle Arme, kräftige Schultern, markanten, eingesunkenen
und schön gewachsenen Nabel, gänzliche
Ungeschwätzigkeit und Hingabe auszeichne, würde konsequenterweise kein
anderer als ihr Ehemann je zu Gesicht bekommen.
Dass es in der Wirklichkeit weit weniger ideell zugeht, belegen die vielen eingestreuten, seine Thesen, Empfehlungen und Warnungen unterstreichenden Geschichten, einige vorwiegend beispielgebend, andere hübsche erzählerische Preziosen im Stil von Tausendundeiner Nacht, und häufig heißt es am Ende: "Lerne daraus, wie verlogen Frauen sein können und wozu sie fähig sind." Denn in Listenreichtum (und nicht nur darin), gibt Sheikh Nefzawi unumwunden zu, seien die Frauen den Männern überlegen, und erzählt die Geschichte eines Mannes, der damit prahlt, über alle weiblichen Schliche Bescheid zu wissen, nur um von einer Frau, der das zu Ohren kommt, statt einer Liebesnacht eine Lektion fürs Leben zu erhalten, eine Geschichte übrigens, die Balzac Jahrhunderte später ganz ähnlich erzählen wird.
"Der parfümierte Garten. Ein
Handbuch arabischer Liebeskunst" von Sheikh Nefzawi ist ein umfassender,
amüsanter Ratgeber voll zarter wie direkter Verse und geschmackiger
Geschichten, der jeder erotischen Bibliothek zur Zierde gereicht.
(fritz; 01/2021)
Sheikh Nefzawi: "Der parfümierte Garten.
Ein Handbuch arabischer Liebeskunst"
In der Fassung von Richard Francis Burton, übersetzt von Alfred Goubran.
Braumüller Verlag, 2020. 240 Seiten.
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