Hartmut Lange: "Der Lichthof"

Vier Novellen und ein autobiografischer Text


Hartmut Lange ist ein Schriftsteller, der im Grunde bestätigt, was von Schriftstellern gemeinhin behauptet wird: Er schreibt ständig an ein und demselben Buch! Und in seinem Fall gibt es viele wunderbare Variationen davon. Das Buch seines Schriftstellerlebens könnte einfach "Vom Verschwinden" heißen. Nach Meinung des Rezensenten wäre das ein treffender Titel.

Denn auch in "Der Lichthof" wird das Verschwinden zu einer Konstante. Es verschwinden Frauen und Männer gleichermaßen. Eine Geschichte gemahnt stark an eine der vielleicht besten Novellen von Hartmut Lange, nämlich an "Die Wattwanderung". Jeder Leser dieser kleinen Meisterwerke wird eine Lieblingsgeschichte haben. Nun, die des Rezensenten ist jene von Ronnefelder, einem einst hochgeachteten Professor und Politologen. In seiner wohlverdienten Pension führt er ein verstecktes Leben, aus dem er auch gar nicht auftauchen will. Er erfreut sich an der Ruhe, die ihm an einem kleinen See gegönnt ist. Und doch treibt es ihn nach Indien, weil er dort dem Buddhismus näher kommen will. Er liebäugelt ein wenig mit dem Buddhismus, der für ihn vielleicht mehr Philosophie als Religion ist. Aber ihm begegnet in Indien ausgeprägte Frauenfeindlichkeit. Die Männer finden nichts dabei, dass Frauen vergewaltigt werden. Frauen haben in Indien offenbar überhaupt keinen Wert. Darüber ist Ronnefelder so entsetzt, dass er viel früher als er wollte wieder nach Hause zurückkehrt. Wie kann es sein, dass der Buddhismus, der die Aufhebung des Leidens anstrebt, in einem Land Bedeutung hat, wo Frauen wie Dinge behandelt werden? Niemand weiß, wohin Ronnefelder schließlich verschwand. Buddhist ist er dann eher nicht geworden.

Was dieses Büchlein stark kennzeichnet, ist "In eigener Sache". Darin tritt der Schriftsteller selbst vor den Vorhang. Hartmut Lange erzählt vom Weihnachtsfest, das er 1944 erlebt hat. Er erzählt von der Flucht, von der Erschießung seines Vaters, der als Gendarm gewirkt hatte, von seiner Mutter, die ihre beiden Söhne immer wieder schlug, von seinem Bruder, der ermordet wurde. Hartmut Lange tut dies mit großer Meisterschaft. Am Ende ihres Lebens war seine Mutter sehr liebevoll geworden, und er trauerte sehr um sie. Er hat ihr sicher ihre Fehler verziehen. "In eigener Sache" kann aber wohl nur in seinen Details verstanden werden, wenn dem Lebenslauf Hartmut Langes nachgegangen wird. Und die berührendste Szene ist jene, in welcher der kleine Hartmut die weihnachtliche Bescherung 1944 nicht erwarten kann. Und als es dann soweit ist, brechen alle Dämme. Sein Bruder hatte ihm eine wunderschöne Burg aus Sperrholz gebaut!
"Da standen Ritter, Pferde, Knechte, die einem Burgfräulein mit einer Sänfte behilflich waren, es gab Zugbrücken, einen Graben, der die Festung umzog, Türme mit Zinnen, darauf Standarten, alles war bunt und liebevoll bemalt. Ich erinnere mich, dass ich vor Freude minutenlang auf dem Boden herumtobte, bis mich mein Vater zur Ordnung rief, so vollkommen war die Überraschung gelungen."

Schreiben ist nichts Anderes als die Fortsetzung des kindlichen Spielens. Sinngemäß hat das einst Sigmund Freud formuliert. Und hatte damit wohl recht. Hartmut Lange ist ein wunderbares Beispiel dafür. Er erschafft sehr real anmutende Fantasiewelten, in denen alles möglich ist. Menschen verschwinden, und das Spiel beginnt von vorn. Das ist die hohe Kunst der Schriftstellerei.

(Jürgen Heimlich; 03/2020)


Hartmut Lange: "Der Lichthof. Vier Novellen und ein autobiografischer Text"
Diogenes, 2020. 96 Seiten.
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Hartmut Lange, geboren am 31. März 1937 in Berlin-Spandau, studierte an der Filmhochschule Babelsberg Dramaturgie. Für seine Dramen, Essays und Prosa wurde er vielfach mit Preisen ausgezeichnet.