Alexander Moritz Frey: "Verteufeltes Theater"
Ein Faust-Roman
"(...) Ihr wißt, auf
unsern deutschen Bühnen
Probiert ein jeder, was er mag;
Drum schonet mir an diesem Tag
Prospekte nicht und nicht Maschinen.
Gebraucht das groß, und kleine Himmelslicht,
Die Sterne dürfet ihr verschwenden;
An Wasser, Feuer, Felsenwänden,
An Tier und Vögeln fehlt es nicht.
So schreitet in dem engen Bretterhaus
Den ganzen Kreis der Schöpfung aus,
Und wandelt mit bedächt'ger Schnelle
Vom Himmel durch die Welt zur Hölle."
(So spricht der Direktor in Goethes "Faust: Eine Tragödie" während des
Vorspiels auf dem Theater)
Die langerwartete Neuauflage eines belletristischen Gustostückerls
Alexander Moritz Freys vergnüglicher Roman schildert im Hauptstück den
Verlauf einer denkwürdigen Aufführung von Goethes
"Faust" in einem deutschen Provinztheater in einer Winternacht zu
Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Denkwürdig deshalb, weil offenbar
niemand Geringerer als der bzw. ein Teufel in unterschiedlichen
Erscheinungsformen mit von der Partie ist und mittels verblüffender
Aussagen und Handlungen für Aufsehen sorgt.
Bekanntlich arbeitete Goethe fast sein gesamtes Dichterleben lang immer
wieder am "Faust"-Stoff, seine in Knittelversen abgefasste Tragödie ist
weltbekannt.
Einfach so, womöglich aus Interesse oder aus purer Langeweile, schneit
also eine Mephistofigur in das biedere Theater, wo ein
ausdrucksschwaches Ensemble vor spießbügerlichem Publikum mehr schlecht
als recht durch die zeitlose Geschichte und die schlichten Kulissen
stolpert - der Abend verspricht somit, "vom Himmel durch die Welt
zur Hölle" zu führen ...
Die Welt des Theaters ist eine mit ganz speziellen Lebewesen und
Gesetzen, und nicht von ungefähr sind Theaterromane ein eigenes Genre.
Einige bekannte Beispiele aus jüngerer Zeit sind Michail
Bulgakows "Aufzeichnungen eines Toten" und "Das Leben des Herrn de
Molière", Harry
Mulischs "Höchste Zeit" und Martin
Walsers "Die Inszenierung".
Bei Freys Roman handelt es sich um ein Schmankerl deutscher Literatur,
das eine temporeiche, humorvolle Geschichte bietet, der
Theaterwirklichkeit abgeschaute Protagonisten und instinktlose
Milieuaufsteiger durcheinanderwirbelt und als besondere Zutat eine
würzige Teufelsfigur hinzufügt, die für entsprechende Schärfe und Feuer
sorgt. Entlarvt werden, wie es sich gehört, Scheinheilige und
Biedermänner, Lebenslügner und Wahrheitsverdränger beiderlei
Geschlechts.
"Verteufeltes Theater" ist erstmals anno 1957, im Todesjahr des Autors,
erschienen und erfuhr erst Ende des Jahres 2019 eine Neuauflage im
"Elsinor Verlag". "(...) in einigen Fällen wurden Schreibweisen und
Zeichensetzung behutsam modernisiert", verlautbart der Verlag,
bleibt allerdings nähere Details zur gewählten Vorgangsweise und deren
Auswirkungen anhand von Beispielen schuldig.
Auch mit Angaben zum geschmackvollen Buchumschlagmotiv geizt man: "Goethes
Faust: Gemälde von Büchel, Anfang des 20. Jahrhunderts".
Nun ja, ein bisschen genauer hätte man das doch ausführen können.
Trösten wir uns also damit, dass angeblich glücklich ist, wer vergisst,
was doch oder nicht mehr zu ändern ist, und tauchen wir fledermausgleich
lautlos in das Dunkel des Theaterraums ein, wo der junge Schauspieler
Matthias Müller auf der Bühne zum allgemeinen Erstaunen plötzlich und
unerwartet wahre darstellerische Glanzleistungen vollbringt. Kunststück:
Er ist es gar nicht! Doch als sich Direktor Bremse in einer langen Pause
Klarheit bezüglich diverser textlicher Abweichungen und sonstiger
Eigenmächtigkeiten wie auch Frechheiten des nicht von ungefähr wie
ausgewechselt wirkenden Matthias Müller verschaffen will, von denen ein
im Publikum sitzender Berliner Theatermacher ungemein angetan ist, trägt
der für die Turbulenzen Verantwortliche längst die Soutane eines
Jesuiten, hat eine Witwe nicht nur von ihrem Sitzplatz entfernt, die
Krawatte des neugierigen Plauderpartners aus Berlin und dessen Ego
dauerhaft beschädigt, einem recht verständigen Fräulein eine Brosche,
die ein betuchteres Fräulein bereits vermisst, geschenkt, den
Platzanweiser gehörig verstört und überhaupt mit scheinbaren
Taschenspielertricks, unüblichem Benehmen und teils verstörenden Reden
für allerlei Verwirrung gesorgt.
Nun ist Mephisto, der oder ein Teufel, allem Anschein nach selbst Teil
des göttlichen Plans, und Goethe verlieh dieser Figur schillernde
Eigenschaften, die auch Freys Teufelsfigur aufweist: (widerspruchs-)
geistreich, schalkhaft, emotionslos, klug, ironisch und sarkastisch
agiert Mephisto innerhalb eines eigenen Wertesystems, manipuliert seine
Gesprächspartner in dialektische Züge aufweisenden Unterhaltungen, die
mitunter wie Katz-und-Maus-Spiele wirken. Naturgemäß kann er ganz nach
Belieben plötzlich aus dem Nichts erscheinen und ebenso spurlos
verschwinden und selbstverständlich jederzeit passende Knittelverse aus
dem Ärmel schütteln.
Dass der "Faust"-Darsteller Pröbstel, der einzige Katholik weit und
breit unter Protestanten, durch einen "Zufall" gleich zu Beginn des
Theaterstücks (nicht zum ersten Mal in seinem Leben übrigens) mit seinem
eigenen Blut womöglich einen Pakt unterschrieben und, wie sich später
herausstellen soll, in seiner Jugend bei einem böse ausgearteten Streich
große Schuld auf sich geladen hat, passt perfekt ins Bild und erzwingt
eine läuternde Lebensbeichte, die von der anscheinend allwissenden
Gestalt in der Soutane gezielt vorangetrieben wird.
Während die wunderlichen Ereignisse auf und abseits der Bühne also ihren
Lauf nehmen, bahnt sich bereits die unausweichliche Katastrophe an, ist
doch einem lesenden Fräulein zu Beginn des sechsstündigen Theaterabends
ein brennendes Streichholz zu Boden gefallen ...
Das wahre Welttheater findet allerdings vor allem in den aufgrund
kurioser Umstände verlängerten Pausen statt, es ergeben sich
überraschende Parallelen zwischen den Ereignissen in Goethes "Faust" und
jenen im Publikum und unter den Schauspielern, und klarerweise ist der
Teufel-Jesuit Dreh- und Angelpunkt sämtlicher Entwicklungen.
Allerlei sonderbare Textabweichungen, Nervenkrisen der Darsteller und
Missgeschicke mit Requisiten erfordern höchsten Einsatz, in erster Linie
vonseiten des Theaterdirektors. Sogar eines der eigens für die
Aufführung vom Militär geliehenen Pferde namens Othello verschwindet von
der Bühne, was in den folgenden Tagen polizeiliche Ermittlungen auf dem
Land nach sich zieht. Freilich ahnt keiner der Ermittler, wer der
mutmaßliche Weltreisende mit dem vermeintlichen Malkasten war, der dem
Bauern Anschütz angeblich ein falbes Fell im Tausch gegen eine marode
Kuh überlassen hat. Selbst noch so spitzfindige Behördenorgane (Frey
hatte allen Grund, diese Spezies in kein gutes Licht zu rücken und sich
nach Kräften über sie lustig zu machen) können mit ihren bisweilen
anrüchigen Methoden die Angelegenheit nicht aufklären, sowohl Mann als
auch Pferd und Kuh bleiben verschwunden, Rätsel und Geheimnisse hingegen
bestehen, jedoch ergibt sich hinsichtlich der Zwillingsbrüder Müller ein
überaus erstaunliches Aha-Erlebnis.
Das Ende bietet einen ausführlichen Rückblick auf den nächtlichen
Theaterbrand, gegen den die Feuerwehr nichts auszurichten vermag. Vor
dem in Flammen stehenden Gebäude treffen alle Hauptfiguren ein letztes
Mal zusammen. Unter den zahlreichen Schaulustigen befindet sich auch
Fräulein Malz, die plötzlich ihre - allerdings verwandelte - Brosche
wieder an ihrer Brust entdeckt, was sich selbstverständlich der Präsenz
des Wandelbaren in der Soutane, der auch gar manches über den Brandherd
weiß, verdankt, Fräulein Anna beweist nach Überwindung einiger Hürden
immerhin ein wenig charakterliche Größe, ihrem nun recht aufgekratzten
Freund Pröbstel steht der Sinn allerdings vornehmlich nach raschem
Beischlaf, und dem vorerst beschäftigungslosen Theaterdirektor Bremse
dämmern langsam aber sicher einige Wahrheiten, doch ist er
verständlicherweise in erster Linie erschöpft und müde.
Frey hat einzelne Aspekte von Figuren und Handlungssträngen der Tragödie
Goethes in seinem Roman auf Menschen aus dem Publikum und der
Theatertruppe übertragen. Wunderbar individuell gezeichnete
Protagonisten und aufschlussreiche Dialoge zwischen dem spitzfindigen
Teufel-Jesuiten und zahlreichen überwiegend überforderten Kleingeistern
halten der Gesellschaft einen blankgeputzten Spiegel vor.
Interessanterweise ist es in der Literatur nicht selten gerade der bzw.
ein Teufel, der die Menschen auf innerste unbequeme Wahrheiten
anspricht, ihr Verhalten und ihre Gedanken analysiert und deren Irrwege
aufzeigt. Ebenso belesen wie wortgewandt treten diese Figuren in
Erscheinung, wobei kaum jemals einer bemerkt, mit wem er es tatsächlich
zu tun hat. Ausnahmsweise erkennt in Bulgakows "Der
Meister und Margarita" ein Lokalbetreiber, wer da sein Unwesen
treibt, und sucht mitsamt einem Stör von zweitem Frischegrad schleunigst
das Weite ...
Das ob seiner bedauerlichen Belanglosigkeit in gelehriger Maskerade
befremdliche achtseitige Nachwort zu "Verteufeltes Theater" stammt von
zwei als Professoren an einer kanadischen Universität Tätigen. Wie in
aller Welt und warum gelangte man seitens der Nachwortschreiber zu der
anmaßenden Ansicht, deutschsprachigen Lesern die Mehrdeutigkeit der
Wörter "verteufelt" und "Theater" darlegen zu müssen? Sogar unter der
Annahme, das Nachwort könne auf ungelenke Weise auch nur rudimentär
mephistophelisch gemeint sein, wäre es nichtsdestoweniger gründlich
missraten. Zumal die typischen eigenen Knittelverse fehlen.
Doch lassen wir das seichte Nachwort beiseite, Freys wunderbares Werk
verkraftet, nein: überstrahlt diesen fruchtlosen Appendix mit
Leichtigkeit. Schließlich ist in diesem Fall die Hauptsache, dass der
unterhaltsame Roman "Verteufeltes Theater" endlich wieder erhältlich ist
und quasi im zweiten Anlauf seinen Weg zu möglichst vielen Lesern
findet!
Immerhin warten die Nachwortschreiber aus dem fernen Kanada mit der
nützlichen Information auf, Frey habe diesen Roman im Jahr 1949 beendet.
Seit 1938 befand sich der verarmte, staatenlose Schriftsteller im
Schweizer Exil. Frey war anno 1933 vor den vereinnahmungswütigen
Nationalsozialisten, die der überzeugte Pazifist zutiefst verabscheute,
übrigens war Hitler einer seiner Regimentskameraden während des Ersten
Weltkriegs gewesen, zunächst nach Österreich geflohen. In der Schweiz
wurde Frey mit Berufsverbot belegt und über die Jahre anhaltend
fremdenpolizeilich schikaniert. Erst kurz vor seinem Tod erhielt er
endlich die so lange Zeit erhoffte Schweizer Staatsbürgerschaft.
In seinem im Salzburger Exil (um 1935) entstandenen, aus politischen
Gründen erst 1945 veröffentlichten Roman "Hölle und Himmel" hat Frey
über allerlei Höllenspuk geschrieben, es geht einerseits um ein Gemälde,
das möglicherweise von Hieronymus
Bosch stammt, andererseits um die damaligen politischen
Ereignisse, kurz vor dem "Anschluss" Österreichs. Doch
darüber ein Andermal mehr ...
(kre; 01/2020)
Alexander
Moritz Frey: "Verteufeltes Theater. Ein Faust-Roman"
Mit einem Nachwort von Paola Mayer und Rüdiger Mueller.
Elsinor, 2019. 204 Seiten.
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Ein Buchtipp:
Johannes Anderegg: "Transformationen. Über Himmlisches und Teuflisches
in Goethes 'Faust'"
Von der abgründigen Fragwürdigkeit des Himmlischen in Goethes "Faust"
handelt dieses Buch und vom sogenannten Teuflischen. Im Zentrum des
Interesses steht darum nicht Faust, sondern Mephistopheles, der -
verkörperte Widersprüchlichkeit - zwar seine eigene Abschaffung als
Teufel zum Thema macht, aber dessen ungeachtet das Spiel dominiert.
In den Transformationen, die beide Figuren, Faust
und Mephisto, im Verlauf des Dramas erfahren, manifestiert sich,
wie auch im intertextuellen und intermedialen Spiel, Goethes vehement
antiklassische Konzeption.
Ausgerichtet auf die Frage nach Quellen und Anregungen hat die Forschung
früh intertextuelle Bezüge thematisiert. Diese Untersuchung verfolgt
eine andere Perspektive. Sie macht inszenierte, heute allerdings wenig
beachtete Vernetzungen mit biblischen Texten und religiösen Narrativen
sichtbar, befasst sich mit der zitathaften Einbindung von Motiven aus
der religiösen Kunst und erläutert deren kontrastive Funktion. Dabei
wird erkennbar, dass das Drama - in mehreren Hinsichten ein erstaunlich
aktuelles Spiel um und an Grenzen - nicht nur tradierte Gattungsnormen
unterläuft, sondern auch seine eigenen Grenzen aufhebt. (Aisthesis
Verlag)
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