Josef Váchal: "Der blutige Roman"
Versuch um den Typus des idealen Schundromans
"Sag
lieber, daß einer von uns sterben muß, wenn du es
dir schon so sehr wünschst, und dann auch einfach deshalb,
damit ein ordentlicher Mord diesen vorliegenden Krwak krönt,"
unterbrach Paseka den Meister, indem er sich den Motschger aus dem
Tiegel klopfte, was den angenehmen Umstand zur Folge hatte,
daß auf der Stelle ein Schwarm von Elementargeistern und
Larven entsetzt in alle Richtungen entfleuchte.
"Übrigens," fuhr Paseka fort, "ich werde es nicht sein, denn
das ist sicher, weil die Welt noch nie vernommen hat, daß der
Autor in seinem eigenen Romane getödtet worden wäre
und das Werck dennoch fertiggestellt hätte. Daß aber
dieser Roman fertiggestellt und von mir, hörst du, von mir
zuendegedruckt wird, dafür bürgst mir gerade du,
Meister, mit deinem Leben." (S. 293)
Der sprachverliebte Kultroman - endlich auch auf Deutsch!
Das gegenständlich besprochene Buch verkörpert das
beeindruckende Ergebnis einer jahrelangen
Mammutübersetzungsarbeit, die so nahe wie nur irgend
möglich am Original bleibt ("Alle Grammatik- und
Setzfehler ahmen das Original nach!"), und auch die
grafischen Kunstwerke fanden entsprechende Berücksichtigung.
Nicht zuletzt die Erkenntnis, dass derlei anspruchsvolle, zeitintensive
Liebhaberprojekte heutige Verlagsmenschen überhaupt nicht
interessieren, eher sogar abschrecken und überfordern, war
für den Altphilologen, Schriftsteller und Übersetzer
Ondřej Cikán ausschlaggebend, im Herbst 2018 einen Verlag zu
gründen, um neue und vergessene belletristische
Gustostückerl angemessen präsentieren zu
können.
So kann er abseits idealtypischer Betätigungsfelder der
primär profitorientierten Branchenriesen wohlverdiente
Lorbeeren genießen, und der des Tschechischen nicht
mächtige Leser sich über dieses verblüffende
Fundstück freuen, das mit mehr als 400 Seiten Umfang
unterhaltsame Lektüre, angereichert mit ausführlichen
Zusatzinformationen über Josef Váchals Leben und
Werk, für viele Stunden bietet. Man merkt diesem Buch an, dass
es von Anfang bis Ende mit Sorgfalt, Liebe zum Detail und Hingabe an
die Sache gestaltet worden ist. Ondřej Cikáns
Übersetzungswunderwerk verzückt nicht zuletzt auch
mit ausgefallenen Ausdrücken aus der Sprachschatztruhe und
Wortschöpfungen (darunter köstliche Bohemismen).
"Der blutige Roman" ist also Ondřej Cikáns
Erstübersetzung des im Original anno 1924 in einer Auflage von
lediglich 17 Stück gedruckten Gesamtkunstwerks ins Deutsche
und enthält alle Originalholzschnitte von Josef
Váchal.
Der tschechische Grafiker und Autor Josef Váchal wurde am
23. September 1884 in Milavče geboren, er starb am 10. Mai 1969 in
Studeňany und war offenbar ein schwieriger Charakter. Seine inzwischen
restaurierten üppigen, bunten Wandmalereien im "Portmoneum",
dem ehemaligen Haus seines Freundes Josef Portman in der
ostböhmischen Renaissance-Stadt Litomyšl
(Leitomischl), übrigens auch Bedřich
Smetanas Geburtsort, sind
einzigartige, komplexe Kunstwerke, zu besichtigen im "Josef
Váchal-Museum", das am 26. Juni 1993 eröffnet wurde.
"Das Portmoneum zeigt im kleinen Wohnhaus des Herrn Josef
Portman zwei merkwürdig ausgeschmückte
Räume. Der damals völlig unbekannte Künstler
Josef Váchal malte in den 1920er Jahren Teufel, Geister,
Puttchen, eine Kreuzigungsszene und verewigte Zitate aus
hinduistischen
Gedichten. Váchal selbst hat sich als Rattenfänger
verewigt. Er gestaltete auch mehrere Möbelstücke, die
an indische Schnitzereien erinnern. Doch sein Gesamtwerk entzieht sich
jeglicher Kategorisierung", ist im von Kerstin und
André Micklitza verfassten Reiseführer "Tschechien.
Unterwegs in Böhmen und Mähren", erschienen im
"Trescher-Verlag", zu lesen (S. 338, 339).
Übrigens kommen derartige Wandmalereien in "Der Blutige Roman"
vor, von listigen Jesuiten in Auftrag gegeben, um einen wohlhabenden
Grafen in den Wahnsinn zu treiben. Ebenfalls sehenswert sind die
Außenwandmalereien in der Váchalova ulice aus dem
Jahr 1998, die Darstellungen nach den Holzschnitten aus
Váchals Roman zeigen.
"Der blutige Roman" füllt im gegenständlich
besprochenen Buch die Seiten 64 bis 304 und schüttet ein
Füllhorn an außergewöhnlichen
Skurrilitäten, lustvoll übersteigerten Klischees und
höchst unterhaltsamen Ideen vor dem Leser aus, bietet neben
europäischen auch exotische Schauplätze,
lässt eine Vielzahl an Figuren auftreten, von denen manche
auch noch miteinander verwandt sind, oder eigennützig
vorgeben, es zu sein. Abwechslungsreichtum und
Überraschungsfeuerwerke prägen diesen "idealen
Schundroman".
Josef Váchal hat diesem, seiner Freundin Anna
Macková ("der Feindin schlechten Lesestoffs")
gewidmeten, Roman ein launiges Vorwort (S. 13 bis 63) mit auf den Weg
gegeben, worin er den Stellenwert der oftmals verunglimpften
"Volksromane" beleuchtet und die Entstehungs- sowie
Rezeptionsgeschichte der beliebten Lektüre erläutert.
Allein die Kapitelüberschriften sprechen sozusagen
Bände, beispielsweise: "Der verhaftete Geldfälscher",
"Der Schatz im Klosterkäse", "Flucht aus dem Irrenhause", "Die
aus dem Meere ausgeworfne Frau" und "Des Freudenmädchens
Bekenntnis", um nur einige zu nennen.
Die zahlreichen Handlungsfäden, in lesefreundlichen
Kurzkapiteln dargeboten, sorgen für vergnügliches
Tempo, und dankenswerterweise fassen Schundromane, die zu ihrer
Blütezeit nicht selten Tausende Seiten in Fortsetzungsheftchen
erreichten, immer wieder das bisher Geschehene bündig
zusammen, indem sich ein hilfreicher Erzähler an den
Leser wendet, sodass man nie Gefahr läuft, den
Überblick zu verlieren.
Adlige, erbschleicherische Jesuiten, bestens vernetzte Freimaurer,
modische Geisterbeschwörer, kindervertauschende Zigeuner,
gierige Piraten und Räuber, holde Jungfrauen und abgefeimte
ältere Semester, tapfere Jünglinge, Alkoholiker und
ihre erbitterten Feinde, einfältige Insulaner, zeitweilig Irre
und sonderbare Mediziner sowie mancherlei abergläubisches Volk
- sie alle werden in entlarvenden, satirestrotzenden Situationen
gezeigt.
Wüste Morde,
Beinahemorde und grausige
Verstümmelungen passieren, Leichen werden geselcht, ein Ballon
aus menschlichen Harnblasen dient als Fluchtgefährt, ein
erschwindeltes Testament löst eine Schatzsuche aus, in deren
Verlauf sogar der Teufel
erscheint, selbstverständlich gibt es
auch die eine oder andere Liebesgeschichte, ein schwer verwundeter,
nichtsdestotrotz vorbildlich pflichtbewusst agierender Polizist
fällt als vermeintlicher Werwolf in die Hände der
Inquisition - und es gibt noch wesentlich mehr!
Das Ende kommt dann allerdings doch überraschend schnell und
lässt gewissermaßen alle Erscheinungen in den Autor
und Drucker Paseka, ein alter ego Váchals, der den Roman aus
Kostengründen drastisch kürzen muss,
zurückströmen ...
Josef Váchal hat absichtlich Fehler in seinen Text eingebaut
und gewisse mehr oder weniger deutlich erkennbare Zeitgenossen in
seinem anspielungsreichen Roman parodiert, woraus sich
zusätzliche Aha-Erlebnisse, amüsante Entdeckungen und
Wiedererkennungseffekte für Kenner ergeben können,
wie das umfangreiche Nachwort des Übersetzers (S. 306 bis
348), der sich darin erfrischenderweise auch kein Blatt vor den Mund
nimmt, was die zeitgenössische
Bücherschreibwirtschaft und das inzestuöse
Preisvergabegebaren angelangt, belegt. Im Nachwort finden sich, wie
bereits erwähnt, Details zu Leben und Werk Josef
Váchals, Informationen über die Buchgestaltung,
übersichtlich geordnete, aussagekräftige Kommentare
zu Vacháls Vorwort und Roman, eine Bibliographie und andere
Angaben, die zum Weiterforschen einladen.
Auf Seite 462 taucht eine humorvolle "Bemerkung des Verlagskassiers
Physeter Musaios Hecht" auf, die sich stimmig in das Gesamtkunstwerk
einfügt.
"Don Drabanto hatte dieses Rezept einst von einem
Bibilothekar aus Dankbarkeit erhalten, weil er ihn vorm Tode und dem
einen oder andern Buche von Váchal verschont hatte."
(S. 227) Besagtes Grogrezept ist nicht in allen Einzelheiten
überliefert, Josef Váchals
ideensprühender, genreplündernder Roman
glücklicherweise schon!
Ein großes Dankeschön an den Verlag "Kētos" und vor
allen Dingen an Ondřej Cikán, dessen spürbare
Begeisterung sich mittels des vorliegenden Buchs auf den Leser
überträgt.
(kre; 04/2019)
Josef
Váchal: "Der blutige Roman. Versuch um den Typus des idealen
Schundromans"
(Originaltitel "Krvavý román")
Übersetzt und kommentiert und mit Nachwort versehen von Ondřej
Cikán.
Ketos, 2019. 464 Seiten.
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