Heinrich Steinfest: "Gebrauchsanweisung fürs Scheitern"


Alltagsphilosophie zum Grübeln, Staunen und Schmunzeln

"Die Welt ist Scheitern.
Der Mensch ist Scheitern.
Und all das besitzt eine Schönheit, die zu definieren sich dieses kleine Buch auf den Weg macht. Wie auch einiges an Hässlichkeit."


Nachdem Heinrich Steinfest zur umfangreichen Reihe "Gebrauchsanweisung für ..." des "Piper"-Verlags vor einigen Jahren bereits den Titel "Gebrauchsanweisung für Österreich" beigesteuert hat, galt seine Aufmerksamkeit nun dem mitunter peinlichen bis heiklen Thema "Scheitern".
Der emsige Autor ist nicht von ungefähr auch dafür bekannt, in seine Romane immer pfiffige Feststellungen über Zeit(un)geistiges, kluge Sprüche und tiefsinnige Anmerkungen einzubauen. In seiner "Gebrauchsanweisung fürs Scheitern" stellt er seine diesbezüglichen Erlebnisse, Gedanken und Beobachtungen in den Mittelpunkt, angereichert mit zahlreichen autobiografischen Details sowie außergewöhnlichen Geschichten aus den Lebensläufen anderer Zeitgenossen (z.B. einem zeitweiligen Geschwisterinzest in der Wiener Brigittenau), stets behutsam, respektvoll und die Würde der anonym Bleibenden wahrend. Ebenso zieht Heinrich Steinfest Beispiele aus mehr oder weniger allgemein bekannten Büchern (z.B. von Kafka) und Filmen heran, um gewisse wiederkehrende Peinlichkeiten wie auch Momente des Scheiterns zu ergründen.

Über die Jahrzehnte hat sich naturgemäß einiges an Mitteilenswertem zu den Themen Misslingen und Fehlschläge angesammelt, und Heinrich Steinfest wartet in gewohnt charmantem Ton mit trefflich formulierten, nicht selten absolut zitierwürdigen Aussagen auf. Die großen Themen des Menschseins werden ebenso berührt wie im Alltag lauernde kleinere und größere Fallen (z.B. das weiche Ei!), wobei gelegentlich durchaus überraschende Verbindungen herstellt werden und der Autor dankenswerterweise niemals nach Art zahlreicher Pseudoratgeberschreiber ins moralisierend Belehrende entschwebt, sondern wohltuend hautnah bei sich und den Zeitgenossen mit jeweils spezifischen Stärken und Schwächen bleibt. Dadurch, dass sich Heinrich Steinfest an keiner Stelle dozierend über den Leser erhebt, sondern sympathisch ehrlich anhand von Beispielen auch aus seinem eigenen Dasein das Scheitern erläutert (Stichwort: Frittaten!), empfindet man eine Art innerer Verbundenheit und die Lektüre als erfreulich konkret.

Die verheißungsvollen und ihre Versprechen haltenden Kapitelüberschriften lauten: "Ein Nachwort als Vorwort oder Über den Christus an meiner Wand", "Die gescheiterte Hoffnung", "Bad luck und Very bad luck", "Ist Scheitern göttlich?", "Das Leben eine Krankheit", "Meine verzweifelten Versuche, Mr Ku beim Tischtennis zu schlagen", "Das Scheitern in Fragen der Kleidung und der Liebe", "Das Scheitern der Wahrheit", "Der Koch, das Ei, die Suppe und der Staub", "Porträt des Künstlers als ein Häufchen Elend", "Zehn", "Knochen und Raumschiffe", "Bahnhöfe, Flughäfen oder der grandiose Horror des Bauens", "Unglück" und "Glück".

In jedem Kapitel finden sich interessante Beobachtungen und Feststellungen, treffliche Beispiele und humorvolle Schlussfolgerungen. Eine ungewöhnliche Danksagung, bestehend aus Leseliste, Filmliste und Bilderliste, komplettiert die menschenkenntnisreich zusammengestellte und unterhaltsame "Gebrauchsanweisung fürs Scheitern".
Der solcherart bereicherte Leser weiß sich fortan beim Scheitern jedenfalls in großer Gesellschaft und im Besitz einer alltagstauglichen Gebrauchsanweisung ...

(kre; 10/2019)


Heinrich Steinfest: "Gebrauchsanweisung fürs Scheitern"
Piper, 2019. 240 Seiten.
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Leseprobe:

Ein Nachwort als Vorwort oder Über den Christus an meiner Wand


Dieses Buch begann mit einem Scheitern, bevor noch der erste Satz geschrieben war. Denn eigentlich sollte es ja ein ganz anderes Buch werden. Ich hatte mir überlegt, welches Thema in der Reihe der literarischen Reise- und Lebensführer unbedingt noch zu verfassen sei, und war zu dem Entschluss gekommen, es bräuchte eine Gebrauchsanweisung für das Leben nach dem Tod. Beziehungsweise für die Reise dorthin.

Ganz verliebt in diese Idee, meldete ich dem Verlag meine Pläne, um zu erfahren, dass bereits Bruno Jonas an einem diesbezüglichen Werk arbeite und es demnächst erscheinen werde. Und das war nun auch der Fall: Bruno Jonas, Gebrauchsanweisung für das Jenseits, Piper, München 2018.

Ein österreichisches Schicksal!

Denn ich bin ja Österreicher.

In jener berühmten Travnicek-Doppelconférence von Gerhard Bronner und Helmut Qualtinger gibt es eine Szene, in welcher der von Qualtinger gespielte Travnicek davon spricht, die Schiffsschraube erfunden zu haben. Sein Gesprächspartner entgegnet, diese sei doch schon längst erfunden. Woraufhin Travnicek antwortet, ja, das habe er leider nicht gewusst. Und folgert: "Ein österreichisches Schicksal."

Ein österreichisches Schicksal, das ziemlich gerecht über die ganze Welt mit ihren vielen irgendwie Zuspätgekommenen verteilt ist. Travniceks "Schiffsschraube" ist geradezu ein Symbol für all die Leider-nein-Millionäre und die kleinen und großen Bankrotteure, für Leute mit grandiosen Ideen, aber weniger grandiosen Umsetzungen, nicht zuletzt aber auch für die Zufrühgekommenen, für Leute, die Schiffsschrauben in die Welt gesetzt haben, bevor noch das Schiff erfunden wurde.

Okay, meine Gebrauchsanweisung für das Leben nach dem Tod konnte ich also im wahrsten Sinne "abschreiben", weshalb ich zu überlegen begann, wovon ich sonst noch mindestens so viel Ahnung besitze wie vom Jenseits. Und kam rasch auf das Thema der Niederlage. Um aber festzustellen, dass, sobald ich Leuten von diesem Vorhaben erzählte, viele mich erstaunt fragten, ob denn nicht schon längt eine Gebrauchsanweisung für Holland auf dem Markt sei. Es bestand ein akustisches Missverständnis: Niederlande statt Niederlage. Darum wechselte ich in der Folge zum Begriff des Scheiterns, ohnehin das sehr viel bessere Thema. Die Niederlage scheint vor allem im Politischen, Militärischen und Sportlichen beheimatet und ist einer der Pole allerlei Wettbewerbe, das Scheitern aber ist fundamentaler, alltäglicher, "menschlicher", es verbindet uns alle, basiert nicht immer nur auf Tatsachen, ist oft ein Gefühl. Niederlagen müssen wir erst einmal erleiden, um zu wissen, was das ist. Mit dem Gefühl des Scheiterns - zumal als sterbliche Wesen - werden wir bereits geboren und reagieren mit verständlicher Empfindlichkeit auf alles, was dieses Gefühl bestätigt.

Dennoch, diese Gebrauchsanweisung will natürlich auch ein lustiges Buch sein, weil in nichts so sehr wie im menschlichen Scheitern eine ungeheure Komik steckt, eine befreiende Kraft des Negativen, des Fragilen und Verbesserungswürdigen. Ein göttliches Zwinkern, das sich auf unsere niedergeschlagenen Lider senkt.



Ich weiß nicht so recht, warum, aber an dem Nachmittag, als ich die ersten lektorischen Kommentare zur Rohfassung dieser Gebrauchsanweisung erhalte und rein gar nicht weiß, wie ich es schaffen soll, die bereits bestehende Überlänge des Manuskripts mit all dem unter einen Hut zu bringen, was laut meinem Lektor noch fehlt oder anders besser wäre - also eine Hecke so zuzuschneiden, dass trotz faktischer Reduktion die Masse zunimmt -, in diesem Moment größter Unsicherheit fotografiere ich den Arbeitsraum in meiner Stuttgarter Wohnung, um das Foto an meine in der Wiener Heimat lebende Mutter zu schicken. Das Bild eines sehr ordentlichen, disziplinierten Raums: ein leer geräumter Tisch, dazu die brav in Reih und Glied dastehenden Bücher, natürlich auch akkurat gestapelte Türme von Manuskripten, die kein Karatemeister durchschlagen und kein Wrestler zerreißen könnte. Nicht zuletzt an der Wand eine leicht gelbliche, hölzerne Christusfigur sowie eine mit Goldfarbe bestrichene Schutzmantelmadonna.

Ich bin in einem atheistisch geprägten Haushalt aufgewachsen. Es war kein militanter Atheismus, der da gepredigt wurde, kein linker, kein philosophischer, mehr ein Atheismus der Verwunderung darüber, dass Menschen auf die Idee kommen, in einer sichtbaren Welt Vorstellungen über das Unsichtbare zu entwickeln. In erster Linie aber bestand ein Aufbegehren gegen den Umstand, aus einer Kirche austreten zu müssen, in die man willentlich ja noch gar nicht eingetreten war. Und im Falle der katholischen Kirche auch gar nicht wirklich austreten kann, der Austritt ist nur eine Illusion jener ewig Getauften, die sich quasi das Begehen ihrer kirchenrechtlichen Straftat - der Apostasie - dadurch versüßen, in Zukunft keine Kirchensteuer mehr bezahlen zu müssen. Nur logisch, dass meine Eltern mich gar nicht erst taufen ließen.

Ich schicke also dieses Foto meines Arbeitsplatzes und Arbeitsraums an meine Mutter, wie um mir zu beweisen, dass, obgleich Chaos in meinem Kopf herrscht, in meiner Wohnung Ordnung und Übersicht walten. Vielleicht auch bin ich ihr einfach mal wieder eine Nachricht schuldig, habe mich aber völlig leer geschrieben. Darum ein Foto, das zwar nicht mehr als tausend Worte sagt, ein paar aber schon.

Ein Foto, das in der Folge auch meine Mutter zu ein paar Worten anregt.

Dass in meiner Wohnung ein Christus hängt, irritiert sie natürlich. So wie alle Eltern, die sich fragen, was sie bloß falsch gemacht haben in ihrer Erziehung. Der Friedensaktivist, dessen Sohn Offizier wird, mag es so wenig fassen wie die Immobilienmaklerin, deren Tochter eine Karriere beim Mieterschutzbund anstrebt. Umgekehrt wundert es kaum jemanden, wenn Kinder aus einer Familie, in der die Erwachsenen ständig alle Zimmer vollqualmten, froh sind, wenn sie den Rest ihres Leben in raucherfreien Zonen verbringen können.

Meine Mutter ist mir nicht böse. Sie wundert sich nur, umso mehr, als ich noch immer ungetauft bin, noch immer konfessionslos, aber zu Hause einen Christus hängen habe. Die goldene Schutzmantelmadonna kann man noch verstehen, sie ist aus Mariazell und vermittelt schon sehr stark dieses "Wenn es nichts nützt, schadet es zumindest nicht". Einmal in Mariazell gestrandet - Atheist hin oder her -, nimmt man halt gern ein Andenken mit.

Der einfache, fast weiße Christus hingegen, in seiner Haltung des Gekreuzigten, aber ohne Kreuz, ist zu fundamental, zu ernst, zu schmucklos. Noch dazu in diesem Arbeitszimmer hängend, über den Stößen von Manuskripten.

Meine Mutter schreibt mir dazu das Folgende: "Welche Beziehung hast Du zum Jesus? Imponiert er Dir als Mensch? Oder ist es das Leid, welches man ihm angetan hat?"

Eine wirklich gute Frage. Ist es das Leid, an dem ich so hänge?

Man denkt nur selten daran, weil man sich derart an den Gekreuzigten gewöhnt hat. Aber es ist doch verwunderlich, dass die Menschheit, die so gerne in Heldenposen und Siegesräuschen, in Triumphgesten und Führerkulten denkt, einen ihrer wichtigsten "Superhelden" in einem Moment schrecklichster Demütigung und offenkundiger Hilflosigkeit zeigt. Ihn im Augenblick seines Scheiterns dokumentiert, ja, dieses Scheitern zum grundlegenden "Markenzeichen" macht: das Kreuz (immerhin das Todeswerkzeug der Feinde) sowie den gekreuzigten Menschen. Statt etwa die so viel würdevollere, geradezu triumphatorische Auferstehungsszene. Abgesehen von all den für einen Superhelden typischen Handlungen des Übermenschlichen, übers Wasser laufen und Ähnliches.

Aber nein, es ist der ans Kreuz Genagelte, Verblutende, Sterbende, der zumindest nach Markus und Matthäus seinen Gott fragt, warum er ihn verlassen hat, und den es laut Johannes ganz menschlich dürstet und welcher laut dem späten Lukas - schon etwas übermenschlicher - um Vergebung für jene bittet, die ihn überhaupt erst in diese Lage gebracht haben. Dieser wunderfähige Mann, der auf dem Kreuz verbleibt, anstatt von ihm herunterzusteigen, wie von einigen erwartet und erhofft. Und den wir Abertausende Male verbildlicht genau in diesem Moment seines Scheiterns festhalten.

Ist das der Grund, dass er hier an meiner Wand hängt? Gottes Sohn als ein an der Menschheit Gescheiterter. Der dabei aber - ich muss es einfach sagen - eigentümlich schön ist. Bei aller Qual, bei aller Erniedrigung, bei allem geradezu anmaßenden Gewicht, das darin besteht, die Sünden der Menschen auf die eigenen Schultern zu nehmen. Und zwar gleich mal für die nächsten zweitausend Jahre, in denen ja einiges geschehen wird abseits von Liebe und Fürsorge und freundlichem Umgang beim Anstellen an den Futtertrögen der Welt. (...)

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