Wolfgang Schwentker: "Die Samurai"


Von fernöstlicher Legende zu historischem Faktum

Wenn man in der westlichen Welt an Samurai denkt, weiß man, dass das Schwert nicht nur die bevorzugte Waffe eines Samuraikriegers ist, sondern auch seine Kampfkunst und seine Ehre in diesem Symbol gebündelt werden. Vielleicht sieht man auch prächtige und detaillierte Rüstungen mit Lederriemen und Metallplatten vor sich, mit denen die Samurai zu Pferd in diversen Kinofilmen entschlossen in die Schlacht ziehen. Die Gestalt des Samurai, so sagenumwoben und mystisch sie für manch einen Europäer erscheinen mag, ist ein Krieger, der die Loyalität zur Sache und zu seinem Herren über sein Leben stellt. Ein Ursprung dieses Bilds findet sich bei den Gräbern der 47 Samurai am Sengaku-ji. Bis heute kennt man sie als die 47 Ronin, jene herrenlosen Samurai, die sich aufmachten, ihren Herrn zu rächen, der einen ranghöheren Beamten beleidigt hatte und dafür mit seinem Besitz und seinem Leben bezahlen musste. Die 47 Samurai, deren Lebensgrundlage mit dem Tod ihres Herrn verschwunden war, bezahlten die Enthauptung des Beamten mit ihrem Leben durch Seppuku, durch Selbstentleibung. Sich ihres Schicksals bewusst, hatten sie die Loyalität zu ihrem Herrn und die Ehre der Samurai über das geltende Recht gestellt. Schwentker stellt klar: "Aus dem Verhalten der 47 Männer werden Mut, Besonnenheit und Loyalität, aber auch Opferbereitschaft einer Sache oder Person gegenüber herausgelesen, - Werte , die auch in der Gesellschaft des modernen Japan noch einen Platz haben. Die besondere Faszination, die von dieser Geschichte bis heute ausgeht, ist aber nicht nur mit einem spezifischen Tugendkatalog zu erklären, sondern sie verdankt sich wohl auch eigentümlichen sozialen Strukturelementen, die die frühneuzeitliche Gesellschaft ebenso geprägt haben, wie sie für die moderne Industriegesellschaft gelegentlich noch charakteristisch sind." (S. 10)

Schwentker macht seine Leser nicht nur mit faszinierenden Momentaufnahmen aus der Geschichte der Samurai bekannt, sondern verfolgt ihre Spuren zurück bis ins frühe Mittelalter Japans, wo die Samurai als berittene Krieger ihren Anfang nahmen. Erst mit der Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht bildete sich "jenes bedeutsame Zwischenglied in der Militärgeschichte des alten Japan, das die Tradition der frühen Reiterkrieger des Yamato-Staates mit den Samurai des Kamakura-Shōgunats im 13. Jahrhundert verbindet" (S. 29). Bevor die Samurai sich ihren Ruhm verdienten, der über Jahrhunderte fortbestehen sollte, galten sie in der vorherrschenden Trennung zwischen dem Hofadel und der sich herausbildenden Kriegerprovinzen der Heian-Zeit "als unkultivierte und brutale, bisweilen blutbefleckte Zeitgenossen" (S. 37), die sich Reinigungsritualen unterziehen mussten, wenn sie die Hauptstadt betraten.

Erst der Genpei-Krieg (1180-85) markiert den Beginn des Kriegeradels und der Samuraiherrschaft im Japan des Kamakura-Shōgunats. Im 15. Jahrhundert verlagert sich die Politik Japans schließlich von der Stadt in die Provinzen, in denen Krieger unter Anderem als Folge eines Machtvakuums gegeneinander kämpften, bis schließlich Oda Nobunaga die Reichseinigung einleiten sollte. Portugiesische Händler brachten 1543 Gewehre ins ferne Japan, die Nobunaga geschickt einsetzte, um das Land zu befrieden. Es wurden Gesetze erlassen, die den Auseinandersetzungen zwischen den Kriegerfamilien einen Riegel vorschoben und alle Beteiligten unabhängig von Schuld und Unschuld bestrafen sollten. Politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Neuordnungen stabilisierten das Land, das sich immer mehr zu einem absolutistischen Staat entwickelte.

In der Edo-Zeit hatten Samurai Macht und Ansehen inne, grenzten sich in dem noch immer feudalen System auch äußerlich von anderen Gesellschaftsschichten ab und traten weiterhin zusehends mit Stolz für den Erhalt einer relativ großen adeligen Schicht ein (im Vergleich zu Europa um 5-6 % mehr Bevölkerungsanteil). Doch bereits im 18. Jahrhundert verarmte der Kriegeradel und rentierte sich alsbald auch nicht mehr für den Staat. Schwentke nennt verschiedene Gründe für den Untergang der Samurai: doppelte Haushaltsführung aufgrund der Zeltregierung des Shōgun, wachsende Ausgaben unter veränderten Lebensbedingungen, Verlust der Ländereien, zu wenige Anstellungsmöglichkeiten in der Regierung, Naturkatastrophen, Inflation, hohe Ausgaben für Luxusgüter und für Unterhaltung. Die prekäre finanzielle Lage der Samurai hatte schließlich auch den Verlust an Ansehen zur Folge; Kredite konnten nicht zurückbezahlt werden, Reformen kamen zu spät oder waren nur wenig effektiv.

Die Ankunft us-amerikanischer Schiffe zwang Japan im 19. Jahrhundert dazu, die Grenzen nach außen zu öffnen, einen Freundschaftsvertrag und bald auch ein Handelsabkommen mit dem Westen einzugehen. Die Meiji-Restauration und Modernisierungen durch westlichen Einfluss beendeten schließlich den privilegierten Stand der Samurai in der japanischen Gesellschaft. Was Schwentkers Analyse der Meiji-Zeit aber deutlich werden lässt, ist, dass die vorgenommenen Reformen es den Samurai erlaubten, sich in die neue Ordnung einzugliedern. Die freie Berufswahl ermöglichte es zum Beispiel Samurai wie Shibusawa Eiichi, einen nicht unbeträchtlichen Beitrag zum Aufbau des japanischen Finanz- und Industriewesens zu leisten. Andere gliederten sich in die Verwaltung des Landes ein und konnten die Reformen dazu nutzen, sich von ihrer Schuldenlast zu befreien. Die Tatsache, dass sich nur eine Minderheit gegen die Modernisierungen auflehnte, spricht für den Erfolg der Eingliederung der Samurai in die moderne Gesellschaft.

Obwohl die politische Geschichte ein großes Augenmerk Schwentkers ist, so wirft er für die Leser auch einen Blick auf Familienleben, Alltagsgeschehen, Wohnverhältnisse. Auch das Privatleben der Samurai wird beleuchtet und für den Leser entmythologisiert. Das Leben der Samurai ist nicht mehr länger ein fernöstliches intransparentes Mysterium, sondern wird fundiert mit Forschungserkenntnissen und Quellen zu einem ganzheitlichen und nachvollziehbaren historischen Faktum. Auch Bushido, der Weg des Kriegers, wird untersucht und zu seinen möglichen Ursprüngen zurückverfolgt. Es gelingt schließlich auch, die frühneuzeitlichen Grundsätze des Kriegeradels mit der Gegenwart zu verbinden und den Einfluss dieser wesentlich von Uchimaro Kanzōs "Bushido. The Soul of Japan" geprägten Morallehre auf unser heutiges Bild der Samurai zu beleuchten.

Fazit: Schwentker überwindet die Lücke zwischen mittelalterlichem Japan, frühneuzeitlicher Gesellschaft und Industriegesellschaft des 21. Jahrhunderts und zeichnet ein Bild der alten Samurai und ihres Einflusses in der Gesellschaft. Pointiert erklärt er den Stand der wissenschaftlichen Forschung und stellt verschiedene Forschungsansätze sowie geschichtswissenschaftliche Oppositionen gegenüber, um ein vollständiges Bild der Samurai zu zeichnen. Auch ohne tiefgehende Vorkenntnisse ist dieses Werk eine faszinierende und empfehlenswerte Einführung, nicht nur für die legendenumwobene Geschichte der Samurai, sondern auch die Geschichte Japans selbst.

(Sabrina Brugner; 07/2019)


Wolfgang Schwentker: "Die Samurai"
C.H. Beck, 2019. 133 Seiten, mit 3 Abbildungen und 3 Karten.
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Wolfgang Schwentker war bis 2018 Professor für vergleichende Zivilisationsgeschichte an der Universität Osaka.

Noch ein Buchtipp:

Roger Diederen, Gabriel Barbier-Mueller (Hrsg.): "Samurai. Pracht des japanischen Rittertums"

Über Jahrhunderte prägten die Samurai die Geschichte Japans - nicht nur als Krieger, sondern auch als politische Elite. Ihr Mythos erzählt von Tapferkeit und Loyalität, aber auch von Intrigen und erbarmungsloser Gewalt. Ihre mit höchster Handwerkskunst hergestellten Rüstungen waren ebenso wirkungsvolle Schutzpanzer wie imposante Statussymbole.
Anhand von mehr als 100 Stücken aus der Sammlung Ann und Gabriel Barbier­Mueller in Dallas sowie vertiefenden Aufsätzen zu den Samurai lässt der opulent bebilderte Band die spannungsvolle Geschichte des japanischen Rittertums lebendig werden. Präsentiert werden aufwändig aus kostbaren Materialien gefertigte Rüstungen, die mit Motiven wie Drachen und Dämonen, buddhistischen Schutzgöttern, Glückssymbolen oder siegverheißenden Pflanzen verziert sind. Außerdem sind extravagante Helme und Masken, Pferdeausrüstung sowie Waffen aus der Zeit vom 13. bis 19. Jahrhundert zu bestaunen. (Hirmer)
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