Leonardo Padura: "Die Durchlässigkeit der Zeit"
Eine
Suche in der Vergangenheit
25 Jahre ist es nun her, dass Mario Conde im Zusammenhang mit einem
Skandal um seinen verehrten Chef den Polizeidienst verlassen hat, um zu
schreiben, um mit antiquarischen Büchern zu handeln, und um
gelegentlich als Detektiv tätig zu sein. Die meiste Zeit
verbringt er entweder mit seinen alten Freunden oder mit seiner
großen Liebe Tamara, die ihn immer wieder zu
gesunder
Ernährung anhält, wie etwa der sehr
verdächtig wirkenden Spargelcremesuppe mit Grünzeug,
die ihm gar nicht wie richtige Nahrung vorkommt. Tja, und am
schlimmsten von allem: Condes 60. Geburtstag nähert sich mit
großen Schritten. Ein Datum, das er am liebsten ignorieren
würde. Und das "Häschen", einer seiner
ältesten Freunde, plant einen Verwandtenbesuch in Miami, mit
der Option, dort zu bleiben.
In diese eher negative Grundsituation stößt Condes
alter Schulkamerad Bobby, der seinerzeit allen Altersgenossen
tendenziell homosexuell erschienen war, bis er eines Tages mit einer
Freundin auftauchte. Nun sieht Bobby nicht nur homosexuell
aus, sondern
gesteht dies auch offen ein. Nach einer Alibi-Ehe mit zwei Kindern hat
er sich durch bestimmte Umstände doch schließlich zu
seiner wirklichen sexuellen Neigung bekannt und sogar einen
Lebenspartner gefunden. Aber dieser ist nun leider verschwunden,
zusammen mit dem Toaster, einigen Bildern, Haushaltsgeräten
und insbesondere einer überaus wertvollen schwarzen Madonna,
die zunächst als eine Madonna von Regla bezeichnet wird,
obwohl die Holzfigur auf einem Foto absolut nicht wie eine solche
aussieht, und Bobby seit einiger Zeit ein aktiver Santero ist (was aber
nicht notwendigerweise gegen die Jungfrauenverehrung spricht).
So taucht Conde in die Welt der kubanischen Kunst- und
Antiquitätenhändler ein, eine Welt voller
Lügner und Betrüger, zu denen auch sein Auftraggeber
gehört, weswegen er jene Informationen, die er zwecks
Auffindens der Statue bekommen hat, nur eingeschränkt glauben
kann. Und dann taucht auf einmal die Leiche von Bobbys
abgängigem Freund auf, übel zugerichtet von jemandem,
der anscheinend dringend Informationen von ihm haben wollte. Nun muss
Conde plötzlich mit seinen ehemaligen Kollegen und den
Nachfolgern anderer Ex-Kollegen zusammenarbeiten, um die Ermittlungen
wegen der Madonna voranzutreiben.
Diese führen ihn in Ecken von Kuba, die er bisher noch nicht
gekannt hat und zeigen ihm, dass er die gesellschaftlichen
Entwicklungen auf der Insel in den letzten zehn bis fünfzehn
Jahren gänzlich verpasst hat, weil er seinen eigenen engen
Lebenskreis nie verlassen hat, was wohl auch erklärt, dass er
so negativ reagiert, wenn seine alten Freunde dies tun. Ja, einige
seiner Altersgenossen wissen sogar schon, wie man mit dem Internet
umgeht.
Die fragliche schwarze Madonna im Zentrum der sich entwickelnden
Ereignisse hat selbst eine überaus bewegte Geschichte, die
mindestens bis ins zwölfte Jahrhundert
zurückzureichen scheint, und ein Teil dieser Geschichte wird
in kurzen Einschüben über die Zeit vor und
während der Kreuzzüge sowie zu Revolutionszeiten in
Spanien im 19. Jahrhundert erzählt. Diese Ereignisse scheinen
die Heiligkeit der Statue immer und immer wieder zu bestätigen.
"Die Durchlässigkeit der Zeit" ist eine sehr dichte
Doppelerzählung, die einen Conde zeigt, der sich mental und
körperlich nahe seinem 60. Geburtstag
von allen ihn umgebenden
Menschen überholt - und dadurch auch ein wenig verraten -
fühlt und nun gezwungen ist, sich langsam aus der bequemen
Isolation seines privaten Elends zu lösen, um Teil der
zeitgenössischen Welt zu werden.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 01/2019)
Leonardo
Padura: "Die Durchlässigkeit der Zeit"
(Originaltitel "La Transparencia del Tiempo")
Übersetzt von Hans-Joachim Hartstein.
Unionsverlag, 2019. 342 Seiten.
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