Terézia Mora: "Auf dem Seil"
Abschluss der Trilogie um
Darius Kopp
Mit "Auf dem Seil" ist nun nach "Der
einzige Mann auf dem Kontinent" und "Das
Ungeheuer" der letzte Teil der Romantrilogie um den ehemaligen
IT-Experten Darius Kopp erschienen. Während im ersten Buch Darius Kopps
so geordnetes Geschäftsmodell an den Folgen der Globalisierung
zugrundeging, war es im zweiten Teil dann endgültig seine Ehe. Denn
Flora, die Liebe seines Lebens, hat sich das Leben genommen. In diesem
Band erfuhr er aus Floras Tagebuch, dass er vom Innenleben seiner Liebe
nichts mitbekommen hatte, schon gar nicht, wie suizidgefährdet sie
eigentlich immer gewesen war. Er begibt sich nach Ungarn, wo er auf
ihren Spuren eine lange Reise beginnt. Diese endete in Sizilien, wo
Darius die Asche seiner Frau in einem Krater der Monti Sartorius
verstreut hat.
Drei Jahre später setzt der Roman "Auf dem Seil" ein. Darius ist auf Sizilien
geblieben. Zuerst als Liebhaber Gabriellas, die einen Biohof
(Agriturismo) führt, dann, nachdem die Liebe vorbei ist, als
Hausarbeiter oder Mann für alles. Gegen Kost und Logis kümmert er sich
um Steckdosen, Einkäufe und andere Dinge, die akut anfallen. Er führt
ein genügsames Leben. Nebenbei arbeitet er als Fahrer für Francesco, der
Kratertouren für Touristen organisiert. Francesco war es auch, der den
gebrochenen Darius nach dem Verstreuen der Asche gefunden und mit
Gabriella bekanntgemacht hat. Als Darius bei einer Kratertour auf seine
Schwester trifft, kommen unerwünschte Erinnerungen in ihm hoch. Sein
mühsam neu aufgebautes Leben beginnt zu bröckeln. Er lehnt sich gegen
das strikte Regime Gabriellas auf und trifft dabei am Strand auf einen
alten Mann, der ihm wenig später, als er bei Gabriella auszieht,
anbietet, in seiner Wohnung zu leben und auf diese dabei aufzupassen.
Über Francesco findet er eine Anstellung als Pizzakoch.
"Es gibt Pizzen in drei Größen, auch der Teig für die 42-cm wird bei
uns nicht in die Luft geschleudert, wozu. Treib einfach den Teig aus,
gib die Soße drauf und den Belag. Das ist nicht langweilig, sondern
meditativ. Nicht, dass Kopp meditierte. Manchmal denkt er ans Meer,
manchmal an das Dach bei Itzehoe und manchmal an den Ätna. Das gibt
nicht mehr jedes Mal einen Stich, mit der Zeit wird es vielleicht noch
weniger werden. Ich denke nicht mehr jedes Mal daran, dass du dort
oben liegst. Weil es auch nicht stimmt. Es ist komplizierter als das.
Zum Glück so kompliziert, dass es leicht ist, sich davon wieder
loszumachen und sich nur noch dem zu widmen, was unmittelbar da ist.
In der Nähe von Lebensmitteln und Feuer zu sein ist gut." (S. 40)
Virtuos zieht Terézia Mora hier die Register und zeichnet diese
Veränderungen so logisch und klug konstruiert, dass man als Leser nicht
die zeitliche Abfolge im Fokus hat, sondern die persönliche Veränderung
des Darius Kopp. Wieder erreicht er eine Art ruhigen Lebensfluss. Er
lebt in der Wohnung des alten Mannes, hat einen illegalen Untermieter
(Matteo) und ist mit sich und seinem Dasein im Reinen. Jäh gestoppt und
über den Haufen geworfen wird alles, als plötzlich seine siebzehnjährige
(Lieblings-) Nichte in der Pizzeria steht.
Das zuerst vorläufige Asyl wird zum permanenten, bis Darius
herausfindet, dass Flora schwanger
ist. Und so kommt es, wie es kommen muss, Darius begibt sich mit seiner
Nichte Lorelei auf den Weg nach Deutschland.
"So kam es, dass Darius Kopp am Vormittag des 2. September das erste
Mal seit 3 Jahren wieder auf dem Alexanderplatz stand. Heiß, wie
mitten im Sommer. Berlin riecht auch, du hast es nur vergessen. Die
Bäume riechen, die Autos, die Steine. Die Menschen natürlich. Und,
ebenfalls natürlich, die Hunde. Die ersten Blätter werden schon gelb.
Die Linden kommen als Erste und gehen als Erste. Es gibt viele von
ihnen. Das ist schön." (S. 103)
In Berlin angekommen, beginnt Kopps Aufarbeitung seiner Vergangenheit,
die er so überstürzt verlassen hat. Schulden hier, Schulden da.
Eitelkeiten, Freundschaften, Gehässigkeiten alter Geschäftspartner, all
das soll schön langsam in Ordnung gebracht werden, während sie darauf
warten, dass Reisebekannte von Lorelei endlich nach Berlin kommen und
jene Wohnung mieten, in der Lorelei dann Untermieterin sein soll und
darf. Dieses Warten dauert immer länger, und so bekommt Darius Kopp
zahlreiche Möglichkeiten, seine alten Sachen ins Lot zu bringen.
Terézia Mora ist natürlich eine Autorin, die, während sie das Außenleben
der Protagonisten zeigt, in Wahrheit deren Innenleben ausleuchtet. So
ist dieser Roman eine Art Entwicklungsroman oder gar
Rückentwicklungsroman eines Mannes, der über die Verantwortung, die er
für Lorelei übernommen hat, wieder zu sich selbst findet, um am Ende zu
verstehen, dass alles so ist, wie es ist. Und dass man manche Dinge mit
seinem Willen verändern kann, andere eben nicht. Er begreift auch, dass
Glück eine sehr subjektive Sache ist, dass die Maßstäbe, die man anlegt,
dafür entscheidend sind, ob man glücklich sein kann oder nicht.
Prinzipiell wäre es nicht zwingend notwendig, für diese Erkenntnisse
einen 359 Seiten langen Roman zu schreiben bzw. zu lesen. Doch die
Autorin heißt Terézia Mora, und, wie bereits erwähnt, ist es die einfach
wirkende Oberfläche, die tiefe Einblicke in das Seelenleben der
Protagonisten gewährt.
Interessant ist auch die Erzählperspektive, die ständig zwischen einer
distanziert wirkenden auktorialen Stimme und einer Art aus dem Inneren
Darius Kopps kommenden Ich-Perspektive, die sich zeitweise auch direkt
an den Leser als Verbündeten wendet ("das wussten wir aber schon")
pendelt. Das ist virtuos und grundsätzlich überzeugend, auch wenn der
eine oder andere Dialog vielleicht mehr Schliff gebraucht hätte.
Alles in allem ist "Auf dem Seil" ein schöner Abschluss der "Darius
Kopp"-Trilogie, die man vorzugsweise chronologisch lesen sollte.
(Roland Freisitzer; 09/2019)
Terézia Mora: "Auf dem Seil"
Luchterhand Literaturverlag, 2019. 359 Seiten.
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