Ulinka Rublack: "Der Astronom und die Hexe"
Johannes Kepler und seine Zeit
Wer
Johannes Kepler heute lediglich als Entdecker mathematischer
Zusammenhänge der ellipsenförmigen Planetenbahnen
nennt, schmälert die intellektuelle Leistung des
vielschichtigen protestantischen Theologen, Mathematikers und
Naturphilosophen. Die ewige und ubiquitäre Gültigkeit
der von ihm beschriebenen
Naturgesetze stand keineswegs im Gegensatz
zum Glauben an Gott, sondern war einleuchtender Gottesbeweis, zumal im
intellektuellen Klima der Renaissance und in der religiös
aufgeladenen Epoche der Reformation und Gegenreformation.
Doch zu seinen Lebzeiten (1574-1630), also vor rund 400 Jahren, hatten
das personifizierte Böse und der Glaube an die teuflische
Macht von Hexen auch in der allgemein anerkannten, sozusagen "normalen"
Weltanschauung und somit in der weltlichen Gerichtsbarkeit
protestantischer wie katholischer Landesteile ebenso ihren Platz, auch
wenn namhafte Theologen und fortschrittliche Philosophen den Hexen die
Fähigkeit absprachen, in der realen Welt Schaden anzurichten.
Missgunst, Neid und die Frage nach dem Warum des eigenen Leidens waren
allzu rasch Anlass zu Verdächtigungen, Anzeigen und
schließlich gerichtlichen Untersuchungen. Eine
Strafprozessordnung, deren Ziel es war, von Verdächtigen ein
Geständnis zu erhalten, nötigenfalls durch Folter zu
erpressen, tat ihr Übriges.
In diese historischen und religiösen Zusammenhänge
stellt Ulinka Rublack einen besonderen Aspekt im Leben ihres
Württemberger Landsmanns Johannes Kepler: Seine Mutter wird
1615 als betagte Frau der Hexerei bezichtigt und angeklagt. Mit
Akribie, genauem Quellenstudium und zahlreichen Vergleichen mit
ähnlichen Schicksalen zeichnet die deutsche, in Cambridge
lehrende Historikerin mit Schwerpunkt Frühe Neuzeit Anklage,
Prozess und besonders die vom Sohn Johannes genauestens geplante
Verteidigung nach. Auf den Tag genau lässt sie nachvollziehen,
wann er von Linz, wo er seit 1612 als Mathematiker arbeitete und lebte,
in seine Heimat Leonberg aufbrach, wem er welchen Brief schrieb, wen er
kontaktierte und letztendlich erfolgreich um Fürsprache bat.
Minutiöse Arbeit, historische Genauigkeit und ein angenehmer
Erzählstil machen das Buch gut lesbar. Für einen
österreichischen Rezensenten ist es von zusätzlichem
Interesse: Kepler verbrachte sechs Jahre in Graz und fünfzehn
Jahre in Linz. Doch hier schwächelt das Buch geografisch,
während Rublack sonst mit genauen historischen Darstellungen
und guter Kenntnis der südwestdeutschen Heimat
glänzt. Vom Grazer Hausberg Schöckl, den Johannes
Kepler bestieg und im Einklang mit dem Volksglauben als Hexenhort und
Wetterküche beschrieb, kann man zwar aus 1445 m
Seehöhe ins damalige Westungarn, das heutige Burgenland,
blicken, nicht aber bis ins türkische Gebiet, das wie auf der
Landkarte auf den Seiten 22/23 dargestellt erst am Südufer des
rund 200 km entfernten Plattensees begann, vgl. Seite 127.
Möglicherweise ist es ein Übersetzungsfehler, denn
Kepler schreibt in der von der Autorin zitierten Quelle "prospectus
patet longe in Ungariam et fines turcicos", also hin zu den
türkischen Grenzen. Auch verkam die bedeutende obersteirische
Bergbaustadt Eisenerz nach Belagerung und Plünderung durch
katholische Truppen nicht "zu einem unbedeutenden Dorf"
(Seite 139), sondern blieb bis in die jüngste Vergangenheit
Zentrum des Eisenbergbaus.
Die Frage nach der religiösen Zugehörigkeit war
für den protestantisch erzogenen Johannes Kepler
lebensentscheidend. Da er zum Übertritt zum Katholizismus
nicht bereit war, musste er Graz verlassen, ebenso wie zwölf
Jahre später Prag. Ob er, der sich durch calvinistische
Glaubensinhalte auch von den Lutheranern entfremdete, dadurch
seine
Mutter im streng lutherischen Württemberg gefährdete,
lässt Ulinka Rublack offen, ebenso allfällige
Unterschiede zwischen Protestanten und Katholiken im rasch um sich
greifenden Hexenwahn.
Ein aufschlussreiches und weitgehend gut recherchiertes Sachbuch, das
durch die personale Erzählperspektive und anschauliche Details
zu den Hauptpersonen, zur Mutter Katharina Kepler und zu ihrem Sohn
Johannes, besonders berührt.
(Wolfgang Moser; 01/2019)
Ulinka
Rublack: "Der Astronom und die Hexe. Johannes Kepler und seine Zeit"
(Originaltitel "The Astronomer and the Witch. Johannes Kepler's Fight
for his Mother")
Übersetzt von Hainer Kober.
Klett-Cotta, 2018. 409 Seiten. 2 s/w Karten und 41 Abbildungen.
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