Mohammed Hanif: "Rote Vögel"
Über die Sinnlosigkeit des
Kriegs
Es gibt viele Möglichkeiten, über den Krieg zu schreiben. Eine der
selten gewählten Varianten ist jene, das Wesen des Kriegs in einer
überspitzt satirischen, sarkastischen Weise zu erzählen, dass die
Grausamkeiten dem Leser mehr oder weniger über sein ihm gefrierendes
Lachen vermittelt werden. Jener Roman, der in diesem Metier vielleicht
bisher der zu Recht berühmteste ist: Joseph Hellers "Catch 22". Nun ist
an seiner Seite Mohammed Hanifs "Rote Vögel" gelandet, dessen Parallelen
weit über den Roman hinausgehen. Beispielsweise waren beide Autoren in
ihren jungen Erwachsenenjahren Piloten ihrer Streitkräfte bevor sie sich
dem Schriftstellerdasein gewidmet haben. Abgesehen davon sind die
Parallelen im Tonfall frappierend, auch wenn die beiden Autoren
stilistisch sehr unterschiedlich schreiben.
"Rote Vögel" wird in abwechselnden Kapiteln von Major Ellie, dem
Halbwüchsigen Momo, dem Hund Mutt und später auch von Lady Flowerbody
und Mother Dear erzählt.
Major Ellie ist auf seiner Mission, ein Flüchtlingscamp irgendwo in der
Wüste eines nicht näher definierten Landes im Nahen Osten mit seinem
Kampfflieger zu "beglücken", verunglückt. Mit dem Fallschirm gerettet,
ist das Flugzeug verloren. Er irrt in der Wüste herum, findet erst am
dritten Tag das Wrack des Flugzeugs, während er seine Gedanken schweifen
lässt. Da ist einerseits seine Situation, ohne Wasser, ohne Verpflegung
und in brütender Hitze herumirren zu müssen, andererseits beginnt er
bereits hier die Sinnhaftigkeit seiner Mission zu hinterfragen.
"Sie geben dir einen 65-Millionen-Dollar-Flieger, dazu eine
supersmarte leitstrahlgelenkte Bombe, an der irgendein
Lichtwellenreiter in Salt Lake City jahrelang herumgetüftelt hat, du
verbrennst knapp sechzig Liter Treibstoff pro Sekunde, aber wenn du am
Arsch bist, erwarten sie von dir, dass du mit vier Energieriegeln und
einem Bio-Smoothie durchkommst. Und, schau an, mit einer Minipackung
After Eight. Da hat sich aber jemand wirklich Mühe gegeben, mir den
Komfort eines Drei-Sterne-Hotels zu bieten. Noch ein Handtuch? Bitte
sehr, natürlich. Und jetzt hau ab und stirb."
Der Auftrag lautete, ein Camp mit dazugehörigem Hangar zu bombardieren.
Der einzige Beweis der Existenz des Feindes an diesem Ort: das
Vorhandensein auf der Karte. "Erledige die Ziegenficker, aber pass
auf unsere eigenen Leute auf. Wir sind hier."
Dazu ein Lehrgangsmodul "Einführung in interkulturelle Sensibilität",
das natürlich weit entfernt von jeglicher Sensibilität im Umgang mit
anderen Kulturen aufgebaut und abgeliefert wird. Bereits in den ersten
Kapiteln aus der Sicht von Ellie, ist klar, wie abstrus das Feindbild
ist, das die us-amerikanischen Streitkräfte zeichnen. Dort, wo der Feind
sein soll, befinden sich schlichtweg Flüchtlinge, die einfach herhalten
müssen. Ellies Erzählung ist so etwas wie ein Entwicklungsroman, die den
eher durch Zufall Kampfpilot gewordenen jungen Mann, der außer der
unrealistischen Schnelleinführung zu Beginn nicht mehr als die
geografische Lage seines Ziels weiß und im Zug seiner Entwicklung immer
besser versteht, welcher Irrsinn Krieg in Wahrheit ist.
"Da hätten wir sie also. Die fremde Kultur. Scheiße. Der ganze Stuss
aus 'Interkulturelle Sensibilität'. Eltern, die über ihre Kinder
stöhnen. Ehefrauen, die über ihre Männer meckern. Man könnte genauso
gut zu Hause bleiben."
Des Weiteren erzählt Momo, ein Halbwüchsiger, dessen Bruder verschwunden
ist, nachdem er eine Stellung im Hangar erhalten hatte. Er erinnert als
Figur am ehesten an diverse Figuren aus "Catch 22". Momo ist ein
durchgeknallter Kapitalist, der aus allem Gewinn schlägt, mit einem
ergatterten Jeep herumfährt, obschon er nicht einmal so richtig über das
Lenkrad hinaussehen kann. Sein Englisch ist mit einem absurden
us-amerikanischen Akzent versehen, so wie alles an diesem abgebrühten
Halbwüchsigen absurd ist. Momo ist klug, raffiniert und überaus
ambitioniert, aber auch auf abgehobene Art witzig. Als Figur in jedem
Fall eine kongenial geglückte Erfindung. Momos Psyche ist das Ziel von
Lady Flowerbody, einer im Auftrag von "USAID" agierenden Psychologin,
welche die muslimische Seele und Gedankenwelt erforschen soll. Lady
Flowerbody inspiriert den jungen Momo allerdings zu seinem Alter
gerechten pubertierenden Träumen. So führen seine gefühlsverwirrten
Antworten dazu, dass das Bild, das sich ihr bietet, noch absurder
scheint, als es in Wahrheit ist. Der Leser ist jedenfalls immer daran
interessiert, tiefer in die Seelenwelt des jungen Protagonisten
vorzudringen.
"Ich versuche, mir eine Welt vorzustellen, wo Leute ein Buch über
einen Ort lesen, an dem der Autor nie war, und dann beschließen, dort
hinzufahren und die Psyche der Jugendlichen zu studieren. In genau
dieser Welt leben wir. Eigentlich ganz ähnlich wie bei den weißen
Männern (und Frauen, aber meist sind es Männer), die um die halbe Welt
geflogen sind, um uns zu bombardieren, weil wir, auch wenn wir keine
bösen Araber sind, sicher trotzdem irgendwas aushecken."
Die vielleicht interessanteste, weil ungewöhnlichste, Erzählperspektive
in diesem Roman ist jene von Mutt, dem Hund, der eine Art Stoiker mit
philosophischen Ideen und Sichtweisen ist. Darin gibt es herrliche
Szenen im Minutentakt, die oft nur knapp an Slapstick-Einlagen
vorbeischrammen. Nichtsdestotrotz ist der Hund die philosophische
Komponente des Romans, das allein ist jedenfalls schon eine ziemliche
Leistung. Er ist dafür verantwortlich, zu hinterfragen, zu überdenken -
all das, was die zweibeinigen Protagonistinnen und Protagonisten in
ihrer Naivität oft übersehen.
"Frauen verirren sich nie in
der Wüste. So lange es diese Wüste gibt - und glauben Sie mir,
es gibt sie schon lange -, hat sich noch nie eine Frau dort verirrt.
Die Wüste wirft sie raus, sie lässt Frauen nicht eine Nacht dort
verbringen. Sie sorgt dafür, dass die Frauen bei Sonnenuntergang
wieder draußen sind.
Vielleicht haben Frauen einen besseren Orientierungssinn. Oder sie
sind einfach nicht so dumm, einfach loszurennen, ohne vorher genau auf
die Karte zu gucken."
Später, im letzten Teil des Romans, dürfen auch Mother Dear, Momos
Mutter, und Lady Flowerbody Einwürfe in diesen herrlich satirischen
exaltierten Wortschwall von sich geben, was das Gesamtbild um einige
Facetten bereichert.
Mohammed Hanif nutzt literarische Elemente aus Ost und West, die er
überzeugend kombiniert und mit bitterböse beißendem Humor versieht.
Gleichzeitig eine Tragödie, ein Antikriegsmanifest und Kritik an der
Rolle der Vereinigten Staaten von Amerika bei der Destabilisierung des
Mittleren Ostens. Der
philosophische Hund, der Straßenbandensprache sprechende
Halbwüchsige, der naive unbedarfte Kampfpilot - sie alle leisten ihren
Beitrag in diesem kongenial übersetzten Roman, der vielleicht der
beeindruckendste Antikriegsroman der letzten Jahrzehnte ist. Auch wenn
er in seiner erzählerischen Exaltiertheit nicht immer leicht zu verdauen
ist.
Als die Mutter gegen Ende einfach ihren Sohn zurückhaben will, verstummt
der Roman. Ein Moment, der, ebenso wie der ganze Roman, schlicht
grandios gelungen ist.
(Roland Freisitzer; 05/2019)
Mohammed Hanif: "Rote Vögel"
(Originaltitel "Red Birds")
Aus dem Englischen von Michael Schickenberg.
Hoffmann und Campe, 2019. 317 Seiten.
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Mohammed Hanif wurde 1965 in Okara in Pakistan geboren.