Elizabeth Strout: "Alles ist möglich"
In
einem Geschichtenreigen erzählt die Autorin die
Lebensgeschichten verschiedener Bewohner einer us-amerikanischen
Kleinstadt im Mittleren Westen
Strouts Roman verknüpft viele verschiedene Lebensgeschichten
und Schicksale; hier ein kurzer Auszug:
Tommy Guptill, ehemaliger Milchbauer und nach dem Untergang seines
Betriebs viele Jahre lang Hausmeister einer Schule, ist in Carlisle
unterwegs, um Besorgungen für seine Frau zu machen. Dabei
trifft er auf Marilyn, die Witwe eines Vietnam-Veteranen, deren Leben
gar nicht so glücklich verlaufen ist, wie sie es sich
gewünscht hatte. Einer plötzlichen Eingebung folgend
besucht er Pete, das älteste der Barton-Kinder, mittlerweile
längst erwachsen geworden und völlig
zurückgezogen in seinem Elternhaus wohnend. Tommy
fühlt sich für das Schicksal der Familie
verantwortlich, verknüpfen ihn doch viele Ereignisse in seinem
langen Leben mit den Bartons. Doch Pete reagiert auf Tommys
Fürsorge äußerst befremdlich.
Patty Nicely arbeitet nach dem Tod ihres Ehemanns als Beratungslehrerin
in einer Schule. Sie genießt wenig Respekt bei den
Schülerinnen und wird von Lila, der Nichte der erfolgreichen
Autorin Lucy Barton, die als Schwester von Pete Barton in Carlisle
aufgewachsen ist, auf schmerzliche Weise mit dem großen
Geheimnis, das ihre Ehe mit Sebastian geborgen hat, konfrontiert.
Trotzdem unterstützt sie das seltsame Mädchen dabei,
dessen Traum vom Ausstieg aus den kleinstädtischen
Verhältnissen zu verwirklichen.
Das kunstinteressierte Ehepaar Linda und Jay Peterson-Cornell
beherbergt für eine Woche die Künstlerin Yvonne, die
sich zu ihrem Bedauern jedoch nicht für ihre Gastgeber zu
interessieren scheint. Plötzlich steht eines Nachts die
Polizei vor der Tür, und Yvonne belastet mit ihrer Aussage Jay
schwer. Doch Linda findet eine Lösung für diese
schwierige Situation, die das Ehepaar für die Zukunft noch
enger aneinander bindet.
Charlie Macauley trifft sich seit Jahren hinter dem Rücken
seiner Ehefrau mit Tracy, einer Prostituierten, die seine
große Liebe ist. Doch als Tracy von ihm Geld fordert, um
ihrem Sohn aus einer schwierigen Situation zu helfen,
verändert sich für Charlie schlagartig alles an
seiner Beziehung zu ihr.
Mary Mumford hat im Alter nach vielen unglücklichen Ehejahren
Carlisle den Rücken gekehrt, um in
Italien mit einem um einige
Jahre jüngeren Mann ihren Lebensabend zu verbringen. Ihre
jüngste Tochter Angelina besucht sie, weil sie diesen
drastischen Schritt ihrer Mutter nicht verstehen kann. Doch ihre Mutter
so verändert zu erleben verunsichert Angelina zutiefst und
lässt sie an der Liebe ihrer Mutter zu ihr zweifeln.
Lucy Barton, Petes Schwester und erfolgreiche Autorin in New York,
kommt in die Heimatstadt der Geschwister, um ihn und ihre Schwester
Vicky nach vielen Jahren der Abwesenheit zu treffen. Alle Drei haben
Angst vor dieser Begegnung, gibt es doch viele schreckliche Erlebnisse
in ihrer gemeinsamen Kindheit, die durch ihr Zusammentreffen an die
Oberfläche zu kommen drohen. Ihr Aufeinandertreffen offenbart
ihnen mit unverminderter Brutalität die traumatischen
Erlebnisse ihrer Kindheit und birgt die Gefahr, sie endgültig
voneinander zu trennen.
Dottie betreibt eine kleine Frühstückspension und
kümmert sich aufopferungsvoll um ihre Gäste. Aber das
Ehepaar Small bringt sie an den Rand ihrer Toleranz und
Nächstenliebe. Sie muss erleben, wie ihre Bemühungen
völlig ohne Dank bleiben und ihr Vertrauen missbraucht wird.
Annie Appleby liebte es als Kind, sich stundenlang im Wald
herumzutreiben. Ihre strengen und bigotten Eltern zwängten sie
und ihre Geschwister in ein enges Korsett aus Regeln und Verboten. Als
ihr Vater ihr den Aufenthalt im geliebten Wald verbot, verstand die
fünfjähre Annie die Welt nicht mehr. Erst viele Jahre
später weiß sie, welches Geheimnis ihr Vater
hüten wollte, als er ihre Streifzüge durch den nahen
Wald verboten hatte. Plötzlich erscheint ihre Kindheit in
einem ganz anderen Licht.
Abel Blaine, Dotties erfolgreicher Bruder, eilt zur Aufführung
seiner Enkelkinder ins Littleton-Theater. Gestresst von zeitraubenden
Besprechungen und einem erlittenen Herzinfarkt plagen ihn
körperliche Schmerzen, Müdigkeit und Zweifel an
seinem Leben. Sophia, seine Lieblingsenkelin, vergisst nach der
Aufführung ihr Lieblingspony im Theater. Abel fährt
dorthin zurück, um es zu holen. Im Theater
trifft er auf Linck
McKenzie, den Darsteller des "Scrooge" in der Aufführung.
Dieses Zusammentreffen zieht ihm völlig den Boden unter den
Füßen weg.
Elizabeth Strout verwebt in ihrem Roman die Lebensgeschichten und
Schicksale der verschiedenen Bewohner der us-amerikanischen Kleinstadt
Carlisle zu einem bunten Teppich aus Erinnerungen, traumatischen
Erlebnissen, Hoffnungen und Enttäuschungen. Alle haben sie mit
den Bürden ihrer Kindheit zu kämpfen, und alle haben
sie unterschiedliche Wege gefunden, damit zurechtzukommen. Trotzdem
bleibt auch noch im Alter immer wieder ein bitterer Zug, der sich durch
ihre Lebensläufe zieht.
Angesichts so zahlreicher Charaktere muss man als Leser gut aufpassen,
um den Überblick zu behalten.
(Alexandra Gölly-Liebich; 11/2018)
Elizabeth
Strout: "Alles ist möglich"
(Originaltitel "Anything Is Possible")
Aus dem amerikanischen Englisch von Sabine Roth.
Luchterhand, 2018. 250 Seiten.
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Elizabeth Strout wurde 1956 in Portland, Maine, geboren. Für ihren Roman "Mit Blick aufs Meer" bekam sie 2009 den "Pulitzerpreis". Sie lebt in Maine und in New York City.