Peter Rosei: "Karst"
Conditio
humana
Dieser Roman des österreichischen Autors Peter Rosei ist ein
bitterböses Kammerspiel, das die Begleiterscheinungen unserer
neoliberal ausgerichteten Weltordnung schonungslos aufzeigt. Ein Roman,
der interessanterweise darauf verzichtet, auch nur einen einzigen
Sympathieträger unter seinen Protagonistinnen und
Protagonisten aufzubieten. Die darin versammelten Figuren, vor allem
das spielbestimmende Quartett, sind im wahrsten Sinn des Wortes
Opportunisten, Egomanen, durchgehend korrupt und
rücksichtslos. Empathie und Verantwortung sind de facto nicht
vorhanden. Auch wenn das vielleicht nicht besonders einladend klingt,
so ist "Karst" sehr gelungen und unterhaltsam. Eine Art der
Unterhaltsamkeit, die allerdings irgendwie die Kehle
zuschnürt, weil man merkt, dass Rosei gar nicht viel erfinden
musste, um diesen Zustand literarisch festzuhalten.
Bereits der Vater der schönen Jana ist während des
kommunistischen Regimes opportunistischer Parteimann und Hoteldirektor
in einem Kurort in der slowakischen Tatra. Sein Hotel lässt er
zunehmend verfallen und geht zum Entspannen lieber ins
gegenüberliegende "Grand Hotel". Von der Frau verlassen, mag
er sich auch nicht um seine Tochter Jana kümmern, die so zu
einer etwas verzogenen Prinzessin wird, die sich in einen Musiker des
Kurorchesters verliebt, ihn heiratet und so nach Budapest flieht. Ihren
Vater sieht sie nie wieder. Gabor, der Musiker, findet allerdings in
Budapest auch keine Stelle in einem der zahlreichen Orchester und muss
sich bald mit dem Aufspielen in Lokalen begnügen. Seine
Erklärung dafür ist die, dass "halt nur
Juden die Stellen in den Orchestern bekommen, weil sie sich alles
untereinander aufteilen würden".
Jana beginnt sich, gelangweilt und genervt von Gabor, umzuschauen und
trifft bald in einem noblen Budapester Hotel auf den Wiener Gstettner,
der sie mit Einladungen und der Aussicht auf ein schöneres
Leben bezirzt. Gstettner ist wohlhabend, mit Hietzinger Prachtdomizil,
ein opportunistischer Geschäftsmann, dem es egal ist, womit er
sein Geschäft macht, solange es Geld
bringt. Ob Kleidung, billig hergestellt in Dritte-Welt-Ländern
oder Geschäftemacherei mit Flüchtlingen, es ist ihm
egal. Er ist Jana verfallen, während Jana auch bald wieder
gelangweilt ist.
Parallel dazu entwickelt Peter Rosei die Geschichten von Georg Kalman,
einem Wiener Theaterkritiker, der den Rezensenten an einen bestimmten
Wiener Musikkritiker erinnert, was natürlich reiner Zufall
ist. Kalman stammt aus einer Bankiersfamilie, die unzählige
Mitglieder während des Holocausts verloren hat. Teil der
sogenannten Hautevolee, genießt er sein Leben und
fährt gelangweilt und des Theaters
überdrüssig von Schauplatz zu Schauplatz. Unter
Anderem nach Venedig. Ihn widert die Szene an, die Eitelkeiten, die
zerrissene Gesellschaft, der überall auftauchende
Finanzbetrug. Das müsste man ändern, nur wie?
Dort trifft er den aus dem slowenischen Karst stammenden Gigolo und
Kellner Tone Kral (oder Tonio, wie er sich in
Venedig nennt), der
nebenbei mit einem bosnischen Gondoliere Autos ausraubt und das
Diebesgut über schwarze Unterhändler
weiterverhökert. Er lässt sich mit dem feschen jungen
Mann auf ein Pantscherl ein, das, wie er hofft, ohne Folgen bleiben
soll. Tonio, der kurz danach dank seiner Spielsucht wieder einmal in
finanzielle Schwierigkeiten schlittert und draufkommt, dass er als
Alleinerbe seiner Eltern eher Schulden als Geld erben wird, erinnert
sich an die Visitenkarte des großzügigen Kalman und
reist schnurstracks nach Wien, um sich bei diesem einzuquartieren. Was
ihm mit Hilfe einer kleinen Erpressung auch gelingt.
Während Gstettner bemüht ist, Jana zu
verwöhnen, nimmt Kalman den jungen Tonio bei sich auf und
verwöhnt ihn nach Strich und Faden. Allerdings ist die
sexuelle Befriedigung auch kein Allheilmittel, und es kommt, wie es
kommen muss. Jana trifft in einem Wiener Lokal auf Kalman. Kalman mag
die junge Dame, die ihm so interessiert zuhört, und Jana, die
von Georgs Gewandtheit und Bildung fasziniert ist, verliebt sich ein
wenig in ihn.
So nebenbei lässt Peter Rosei ebenso ein paar andere
Fäden auf nicht ganz unerwartete Überschneidungen
treffen, was den Roman auch formal sehr stimmig zusammenfügt.
Wenngleich Gstettner in gewissen Dingen schwach ist, ist er doch
irgendwie das Gewissen in diesem Roman, das an der eigenen
Trägheit scheitert. Suchte man hier nach Symbolik,
täten sich unzählige Erkenntnisse auf ...
Peter Rosei entwickelt gekonnt, lakonisch und genau auf den Punkt und
treibt das ganze Geschehen auf eine Art großes Finale hin,
welches durch das Aufeinandertreffen von Tonio und Jana
ausgelöst wird. Die beiden Paare Gstettner/Jana und
Kalman/Tonio treffen sich immer öfter, beginnen eine
beiläufige Freundschaft, die dazu führt, dass sie
gemeinsam nach Karst zum Begräbnis von Tonios Vater fahren.
Dort kommt es schließlich zu einem Mord. Das Motiv: Gier und
Bereicherung natürlich, sonst nichts.
Peter Rosei hält der Gesellschaft gekonnt den Spiegel vor,
indem er, gar nicht einmal so überzeichnet, einen
Gesellschaftsroman unserer Zeit schreibt. Das ist zwar nicht erbaulich,
doch literarisch sehr erfreulich. Roseis Prosa ist klar, definitiv
sehr
österreichisch, ohne sich dabei einer
Dialektvariante hinzugeben. Elegant zu lesen ist "Karst" auch, weshalb
dieser Roman ein sehr spannendes Leseerlebnis bietet.
(Roland Freisitzer; 01/2018)
Peter
Rosei: "Karst"
Residenz, 2018. 176 Seiten.
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