Fuminori Nakamura: "Die Maske"
Keiner
ist frei von Schuld
Vor einigen Jahren erschien die erste deutsche Übersetzung
eines Romans des 1977 geborenen japanischen Schriftstellers Fuminori
Nakamura (ein Pseudonym) bei "Diogenes". Mit diesem Roman ("Der Dieb")
gelang Nakamura ein beeindruckendes Debüt im deutschsprachigen
Raum. Bereits in "Der Dieb" merkte der Leser, dass der Autor keine
Genregrenzen scheut und Literatur schreibt, die sich zwar ohne Scheu
beim Kriminalroman Ideen und Elemente holt, allerdings nie das
Krimigenre bedient. Wie bei anderen japanischen Autoren auch, ist hier
die Grenze verschwommen, es geht nicht um die Aufklärung
gewisser Taten, sondern um die dunklen Elemente, die im Hintergrund
lauern, denen die Protagonistinnen und Protagonisten ausgeliefert sind.
Das erinnert entfernt an die Nicht-"Maigret" Romane von Georges
Simenon, ist aber stilistisch in der Postmoderne angesiedelt.
Fuminori
Nakamura interessiert sich für die Psyche, für das
Innere des Menschen. Dass dabei das Böse zumindest aufscheint
oder durchschimmert, liegt auf der Hand. Es verwundert auch nicht, dass
der vierzigjährige Schriftsteller sein Studium mit einer
Arbeit über die "Psychologie des Kriminellen" abgeschlossen
hat.
"Die Maske" beginnt damit, dass der elfjährige
Nachzügler Fumihiro Kuki von seinem alternden Vater zu sich
gerufen wird und erfährt, dass er ausschließlich
dazu gezeugt worden ist, um ein "Geschwür" zu sein. Etwas, das
in der Familie Tradition haben soll. Das letzte, spätgeborene
Kind der Männer dieser Familie soll das Böse in die
Welt tragen. Der Vater, das Oberhaupt eines weltweiten, einflussreichen
Industrieimperiums, verspricht dem Jungen, dass er ihm die
Hölle zeigen wird. Die Hölle, die es dem Jungen
unmöglich machen wird, seine Rolle nicht auszufüllen.
"Mit Geschwür meine ich etwas, das die Welt ins
Unglück stürzt. Jeder soll sich wünschen,
niemals in diese Welt hineingeboren worden zu sein, oder zumindest
denken, dass es hier nichts Gutes mehr gibt."
Ungefähr zu diesem Zeitpunkt nimmt der Vater auch das
Waisenmädchen Kaori auf. Kaori und Fumihiro spüren
sehr rasch eine enge Bindung aneinander. Eine Bindung, die bald in
Liebe übergeht. Als sich Kaori Fumihiro zu entziehen beginnt,
deckt Fumihiro bald auf, dass sich der Vater an Kaori vergeht. Durch
diese Entdeckung wird der Junge schlagartig in die "Hölle"
gestoßen, die sein Vater ihm prophezeit hatte. Er versteht,
dass er nur zwei Möglichkeiten hat. Entweder er rettet Kaori,
indem er den Vater tötet, oder er entzieht sich der Situation
und überlässt Kaori ihrem Schicksal. Da er ein
empathischer, verliebter junger Mann ist, kann er nicht über
seinen Schatten springen und führt seinen Plan aus.
"Da war sie wieder - die Angst, die ich vergessen hatte. Mein
Puls raste, meine Arme und Schläfen waren taub, meine Beine
wie Gummi. Aber ich musste etwas tun. Meinen Vater töten. Wie,
wusste ich nicht, aber ich musste ihn töten, sofort. Mit
jäh aufloderndem, abgrundtiefen Hass stieß ich die
Tür auf."
Fumihiro findet die Achillessehne seines Vaters, einen geheimen
Rückzugsort, in den er den Vater stößt und
die entdeckungssichere Tür verschließt. So
verschwindet der Vater offiziell spurlos, Verdachtsmomente gegen
Fumihiro sind nur minimal, und der Junge kommt so mit dem Mord an
seinem Vater durch. Zumindest strafrechtlich. Denn das, was er jetzt
psychisch erlebt, ist die Hölle schlechthin. Dadurch
entfremden sich Kaori und Fumihiro und verlieren einander
schließlich komplett aus den Augen. Fumihiro muss auch
feststellen, dass er seinem Vater nicht nur immer ähnlicher
sieht, sondern auch einige Charakterzüge des kaltherzigen
Mannes geerbt und übernommen hat. Er rettet sich in eine neue
Identität, die ihm aber nur bedingt Abhilfe verschafft.
Er erkundet das Familienimperium und stellt fest, dass die Familie Kuki
nicht nur Verbindungen zur "Yakuza", sondern auch mit dubiosen
Waffenlieferungen in Kriegsgebiete Blutgeld verdient hat. Hier liefert
Nakamura eindeutig kapitalismuskritische Gedanken und übt
starke Gesellschaftskritik. Nihilistisch und fatalistisch schlurft
Fumihiro durch die Sinnlosigkeit des Lebens, das ja ohnehin mit dem Tod
enden wird.
"Vielleicht spreche ich mir selbst die Menschlichkeit ab,
weil ich andere
Menschen
getötet habe. Aber dieses
Gefühl ist wichtig. In den Nachrichten sehen wir, wie Menschen
sinnlos getötet werden, wie Menschen einander sinnlos
töten. Krieg ist genau dasselbe."
Er wählt die Identität eines verschwundenen
Verbrechers und vollendet mittels plastischer Chirurgie die Umwandlung
in eine neue Identität. Versteckt in der Anonymität
seiner Maske heuert er den bestmöglichen Detektiv an, um Kaori
ausfindig zu machen. Dadurch entstehen Verstrickungen, die letztendlich
außer Kontrolle geraten.
Wie Fuminori Nakamura diesen Roman aufbaut, wie er die Spannung erzeugt
und Vorahnungen des Lesers ad absurdum führt, ist zutiefst
beeindruckend und überzeugend, ebenso wie die
Übersetzung von Thomas Eggenberg. Auch wenn dieser Roman sehr
nahe am "Noir Genre" vorbeischrammt, wäre es viel zu leicht
und unpassend, den existenten Krimihandlungsfaden im Vordergrund zu
sehen. "Die Maske" ist ein Gesellschaftsroman, ein Roman über
eine obsessive Liebe und ein Entwicklungsroman, der eine etwas
andersartige Entwicklung zeigt, einen Reifeprozess, der mit seinem Ende
viele Leser überraschen wird. Man darf hoffen, dass "Diogenes"
auch die weiteren Romane dieses Autors demnächst folgen lassen
wird.
(Roland Freisitzer; 05/2018)
Fuminori
Nakamura: "Die Maske"
(Originaltitel "Aku to Kamen no Ruru")
Aus dem Japanischen von Thomas Eggenberg.
Diogenes, 2018. 352 Seiten.
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Fuminori Nakamura, 1977 in Tokai geboren, lebt in Tokio. Er studierte Öffentliche Verwaltung und Staatsverwaltung an der Universität Fukushima. 2003 erschien sein Debüt "Ju" ("Pistole"). Inzwischen hat er in Japan über ein Dutzend Romane veröffentlicht, die in viele Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden.