Mathias Menegoz: "Karpathia"
Herrlicher
Roman (nicht nur für trübe Herbsttage)
Zum wahrscheinlich schönsten Nebeneffekt der "Frankfurter
Buchmesse" führt das jährlich wechselnde Gastland.
Alle Jahre wieder suchen die Verleger in den diversen Ländern
nach Entdeckungen, die man rechtzeitig zur Buchmesse auf den Markt
wirft. So kann der interessierte Leser Romane und Erzählungen
in den Buchhandlungen finden, die sonst wahrscheinlich nie den Weg auf
den deutschsprachigen Markt gefunden hätten. Unter diesen
Entdeckungen befinden sich jedenfalls immer wieder Romane, die wahre
Schätze sind.
Wie zum Beispiel Mathias Menegoz' "Karpathia", im August 2017 in
brillanter Übersetzung von Sina de Malafosse auf Deutsch
erschienen. Der 1968 geborene Franzose, der sich nach einem
Neurobiochemiestudium an der Pariser Universität und
Forschungstätigkeit nun dem Schreiben widmet, hat mit
"Karpathia" seinen Debütroman vorgelegt.
Zu Beginn zieht Graf Korvanyi mit Gattin Cara aus Wien in die
Familienburg, um die in Transsilvanien "Korvanyia" genannten
Ländereien zu bewirtschaften. Fein zeichnet Menegoz, wie sich
die Feindseligkeit und Missgunst zwischen den dort ansässigen
Volksgruppen von Ungarn, Siebenbürger
Sachsen und Walachen
zeigt. Da brodelt es im Hintergrund, und der Leser spürt die
dem ganzen Roman eigene unheilschwangere Stimmung sehr gut. Ein kleiner
Funke genügt, um die Stimmung kippen zu lassen.
Als dann bald nach der Ankunft des Grafenpaars eine junge Bauerstochter
von einem Unbekannten vergewaltigt wird, entwickelt sich aus der
schwelenden Kombination von Vorurteilen, Aberglauben und
persönlichen Feindschaften eine richtige Lawine.
Der hier herrschende junge Graf, der beim einfachen Volk mit seinem
ziemlich eigenwilligen und vor allem einem für seine
Leibeigenen absolut unverständlichen Festhalten an adeligen
Prinzipien und Traditionen auf Missfallen und mangelndes Vertrauen
stößt, wird so rasch als persönlich
Schuldiger für das ganze Elend und Leid identifiziert.
Der "Lachende Dritte" ist eine in den Bergwäldern versteckt
lebende Bande von Schmugglern, Gesetzlosen und generell üblen
Figuren. Diese Gruppe erkennt in den Wirren ihre Chance.
Während der junge Graf mit seinem bewaffneten Trupp
für Recht und Ordnung auf seinem Land sorgen will,
lässt er seine Frau und Burg schutzlos zurück.
Und so kommt es zur Katastrophe ...
Dass es sich bei "Karpathia" um einen Debütroman handelt, ist
definitiv erstaunlich und höchst bewundernswert. Nie
spürt man als Leser irgendwelche Unsicherheiten der
Erzählstruktur oder platte, vielleicht uninspirierte
Beschreibungen. Stilistisch ist der Roman ebenfalls perfekt
ausgehört, was hier natürlich auch der
großartigen Übersetzung von Sina de Malafosse zu
verdanken ist. Einzig der Beginn des Romans hat ein paar
Längen, die den Einstieg doch recht schwierig gestalten,
womöglich deshalb, weil sich Menegoz dann doch ein wenig zu
sehr in den damaligen Ansichten von Ehre und den Riten der
Adelstradition verliert.
Immerhin war der Roman anno 2014 für den "Prix Goncourt"
nominiert und wurde mit dem "Prix Interallié" ausgezeichnet.
Historisches und architektonisches Wissen wird von Menegoz ebenfalls
sehr gut aufbereitet geschildert. Diese Faktoren haben im
späteren Verlauf natürlich eine tragende Rolle, auf
die man durch den etwas zähen Beginn letztendlich gut
vorbereitet ist. Nach überstandenem Beginn nimmt die
Geschichte allerdings mit großem Momentum Fahrt auf. Der
Roman ist wie ein stetiges Accelerando aufgebaut und führt in
einen atemlosen Schlussteil, in dem sich die Ereignisse
überstürzen.
Sehr gelungen sind die Beschreibungen der Kampfhandlungen, selten hat
der Rezensent Kampfszenen gelesen, die so befreit und
überzeugend wirken. Es gibt wahrscheinlich kaum etwas, das so
schwierig zu schildern ist, wie eine Szene, in der sich Menschen
prügeln oder gar einander
töten.
Wer einen Schubladenroman erwartet, wird natürlich
enttäuscht sein. Auch wenn "Karpathia" Elemente des
Schauerromans oder des historischen Romans aufweist, so handelt es sich
definitiv um einen höchst literarischen Roman, der viel Geduld
vom Leser fordert, diesen aber am Ende wirklich für alle
Mühen entschädigt.
Alles in allem ist "Karpathia" ein sehr empfehlenswerter Roman, der
sicherlich an nebligen Herbsttagen vor dem Kamin sitzend besonders
starke Wirkung hervorruft.
(Roland Freisitzer; 04/2018)
Mathias
Menegoz: "Karpathia"
(Originaltitel "Karpathia")
Aus dem Französischen von Sina de Malafosse.
Frankfurter Verlagsanstalt, 2017. 636 Seiten.
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