Gert Loschütz: "Ein schönes Paar"

Kein Bild sagt mehr als tausend Worte: Sein, Beisammensein, Getrenntsein

Der Schriftsteller Gert Loschütz kam am 9. Oktober 1946 in Genthin (Sachsen-Anhalt) zur Welt, als er elf Jahre alt war, übersiedelte seine Familie in die Bundesrepublik Deutschland. Einige Motive von "Ein schönes Paar" erinnern vielleicht ein wenig an Loschütz' anno 1990 bei "Luchterhand" erschienenen Roman "Flucht", denn auch in "Ein schönes Paar" diktieren politische Veränderungen bis zu einem gewissen Grad das Verhalten der Figuren, und vermutlich ist auch dieser Roman autobiografisch beeinflusst, doch ist das Ganze jeweils bekanntlich mehr als die Summe seiner Teile, und Gert Loschütz versteht es, die harte Wirklichkeit mit dem Zauber der Literatur zu einem rundum geglückten Meisterwerk zu veredeln.

Neben dem "schönen Paar" Herta und Georg Karst steht gewissermaßen eine seinerzeit noch in der DDR mit den Familienersparnissen als Investition in die Zukunft gekaufte Kamera im Mittelpunkt, und dieser Gegenstand setzt nach der Flucht nach Westdeutschland eine unglückliche Kette von Ereignissen in Gang. Was als Aufbruch in eine bessere Zukunft geplant war, entwickelt sich zur familiären Katastrophe. Die Eheleute blieben einander dennoch für den Rest ihres Lebens auf besondere Weise verbunden, und diesen verborgenen Details spürt der Sohn mit Fantasie und Interesse nach. Seine Eltern sind kürzlich gestorben, im Abstand von nur wenigen Wochen. Der wortkarge Vater Georg in seinem Haus mit Blick auf jenes Pflegeheim, wo seine Frau Herta, eine einstmalige Schönheit und bis zuletzt begnadete Näherin, ihre letzten Jahre verbracht hat.

Philipp, der als Fotograf tätige Ich-Erzähler, sichtet mit einer guten Freundin die Habseligkeiten seiner Eltern und stößt auf Fotos, Briefe und Unterlagen, die auch davon Zeugnis ablegen, dass die einstige Trennung seiner Eltern keineswegs deren innere Verbundenheit auszulöschen imstande war. Entlang der Biografien seiner Eltern entfaltet Philipp ein Panorama der deutschen Zeitgeschichte und Entwicklungen und ermöglicht aufschlussreiche Einblicke, wie sich die jeweiligen Gegebenheiten der Orte und Jahre auf die tatsächlichen Lebensumstände ausgewirkt haben.

Die überstürzte und schlecht vorbereitete Flucht in den Westen, der langwierige vergebliche Versuch, die Kamera dort endlich zu Geld zu machen, eine fürchterliche Anklage, ein hinterhältiger Vorgesetzter mit speziellen Absichten, das Verhalten der Mutter in dieser Angelegenheit, Philipps plötzliches Einschreiten, die anschließende Trennung der Eltern, Hertas jahrzehntelanges Verschwundensein, ihre nichtssagenden Ansichtskarten, Philipps alles in allem passables Zusammenleben mit dem nunmehr alleinerziehenden, vom Leben enttäuschten Vater, Hertas unter seltsamen Umständen stattfindende Rückkehr in die Kleinstadt, die Lebensumstände der alten Eltern, ihre zurückgelassenen Geheimnisse, ihre bis zum Ende rätselhafte Beziehung zueinander ... Zwischendurch Einblicke in Philipps Werdegang und seine aktuellen Vorhaben, Erinnerungen an gute und schlechte Zeiten als Familie, an Wohnsituationen im Osten und im Westen ...

Feinfühlig-assoziativ werden die bewegenden Schicksale zweier vom Leben betrogener Liebender, familiäre und kleinstädtische Beziehungsmuster und Variationen von vermeintlichen oder tatsächlichen gemeinsamen Erinnerungen dargestellt. Die aufmerksame Wahrnehmung des Autors/Protagonisten gilt den kleinen Besonderheiten, den unscheinbaren Zwischentönen, die ein Leben erst einzigartig machen, den Hoffnungen, den Träumen, den Zweifeln, den Missverständnissen, den Voraussetzungen und Folgen von Verrat, Scham, Schuld und Verantwortung, den Annäherungen und Abschieden, den Gesten, dem vorläufig Unausgesprochenen und dem für immer Verschwiegenen ...

"Ein schönes Paar" ist ein wunderschöner Roman, ein berückend dichter Text mit absichtlichen Freiräumen und Leerstellen, der sanftmütig in sich selbst ruht. Großartige Lektüre!

(kre; 02/2018)

Gert Loschütz: "Ein schönes Paar"
Schöffling & Co., 2018. 236 Seiten.
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