Nicola Gardini: "Latein lebt!"

Von der Schönheit einer nutzlosen Sprache


Nutzen ist gut, Schönheit ist besser!

"... qui miscuit utile dulci, wer Nützliches eint mit dem Schönen", mag für große Lateiner im Titelzusatz mitschwingen. Denn es gibt Menschen, deren liebstes Schulfach Latein ist oder war. Für sie sind Aufgaben, die Andere nur mit Mühe, Zwang oder Abschreiben bewältigen, willkommene Herausforderungen, deren Erfüllung sie fachlich weiterbringt. Woher diese Unterschiede kommen, warum sich manche Kinder oder Jugendliche für etwas begeistern, was anderen ein Alptraum ist, kann und will auch der Autor Nicola Gardini nicht beantworten. Bedingungslos lebt der heute 53-Jährige seine Begeisterung für die klassische Sprache in Oxford, wo er Italienisch und vergleichende Literaturwissenschaft lehrt. Wenn in Österreich Latein in der siebenten oder neunten Schulstufe in Konkurrenz zu anderen Schulfächern tritt, meist zu romanischen Fremdsprachen oder einem Mehr an Naturwissenschaften oder Berufsvorbildung, wird häufig mit seiner Nützlichkeit für das Lernen anderer Sprachen oder das Verstehen von Fremdwörtern argumentiert. In den romanischsprachigen Ländern Italien und Spanien, wo dieses Buch ebenfalls bereits erschienen ist, gelten diese Begründungen freilich nicht; der Autor hält sich damit auch gar nicht auf.

Einführend berichtet er im Plauderton, persönlich und daher für Andere nicht gänzlich nachvollziehbar, warum er sich seit seiner Kindheit für die im Titelzusatz als nutzlos bezeichnete Sprache interessiert. Mit dem Buch wendet er sich an jene, die während oder nach ihrer Schullaufbahn "mehr als jeder andere einen Sinn hinter dem suchen, was sie tun und vorgesetzt bekommen" (Seite 19). Er möchte Neugier hervorrufen, Sinn stiften und für sprachliche Schönheit, für Stil und Inhalte klassischer lateinischer Texte begeistern. Damit knüpft er an die Wiederentdeckung der Antike vor gut einem halben Jahrtausend an. Immerhin gilt der Autor als Spezialist für die Literatur der Renaissance und für das klassische Erbe in der neuzeitlichen Literatur!

Ganz im Sinn eines Gelehrten des Cinquecento greift er die Geisteshaltung des Dichters Francesco Petrarca, des hochgebildeten Pietro Bembo oder des Textherausgebers und Druckers Aldo Manuzio in den folgenden rund 20 Kapiteln auf und nimmt seine Leserschaft mit auf eine Entdeckungsreise durch die lateinische Literatur. Ausführlich zeigt er, worin Cicero, Ovid, Catull, Vergil, Tacitus usw. brillierten. Auf meist zehn bis zwanzig Seiten präsentiert er für die einzelnen Autoren typische Textauszüge (mit deutscher Übersetzung!), bringt sie in Einklang mit historischen Ereignissen, persönlichen oder politischen Intentionen oder Ambitionen und zugrundeliegenden Wertesystemen.

Manchmal erinnern die Kapitel an Vorlesungen, in denen ein vom Fach überzeugter Professor den jungen Studierenden grundlegendes Wissen und Begeisterung für die Inhalte der höheren Semester vermitteln will. Wer sich als Leser mit den fernen Kommilitonen auf die Tour durch die lateinische Stilkunde einlässt, wen Professor Gardini mit Erfolg neugierig gemacht hat, der wird von der Schönheit überzeugt sein. Damit dies gelingt, sollte man sich an schulische Lateinkenntnisse erinnern und versuchen, die Textstellen zumindest ansatzweise selbst zu übersetzen. Die abgedruckten deutschen Übersetzungen - sie stammen meist aus den Klassikerausgaben der "Tusculum-Reihe" - sind gewiss mustergültig, aber insbesondere bei den Gedichten und Epen in rhythmisch gegliederten Versen zu weit weg vom Original, um über vergessene Wörter oder schwierige Satzteile hinwegzuhelfen. Hier wären Interlinearversionen zur Wiederbelebung brachliegender Lateinkenntnisse sinnvoller und hilfreicher gewesen.

Doch sprachliche Ästhetik kann noch weit mehr: Die Kapitelüberschriften könnten einem Lebenshilfebuch entnommen sein, z.B. "19. Die Pflicht, besser zu werden" - "20. Die Einsamkeit der Liebe" - "21. Nochmals über das Glück" ... Gardini ist überzeugt, dass Latein wie jedes intensive Sprachenlernen der Lebensfreude und der Alltagsbewältigung dient.

Latein lebt und hilft, weiß Professor Gardini. Wer sich auf sein Buch einlässt, der lateinischen Sprache Zeit und Energie schenkt, wird ihm zustimmen und erkennen, dass das literarische Erbe des Latein das aus uns gemacht hat, was wir heute sind.

(Wolfgang Moser; 01/2018)


Nicola Gardini: "Latein lebt! Von der Schönheit einer nutzlosen Sprache"
(Originaltitel "Viva il Latino. Storie e bellezza di una lingua inutile")
Übersetzt von Stefanie Römer.
Rowohlt, 2017. 304 Seiten.
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