Jonas Jonasson: "Der Hundertjährige, der zurückkam, um die Welt zu retten"


Weitere turbulente Episoden aus dem "zufälligerweise" von weltpolitischen Schlagzeilen gesäumten Leben des Methusalems Allan Karlsson

Wer mit Vergnügen romangewordene Nachrichten aus dem selbstbestätigenden weltweiten System und absurde Geschichten von umtriebigen Senioren liest, wird dieses Buch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit großartig finden! Es handelt sich um die Fortsetzung des Parforceritts durch die Weltgeschichte des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts: Der 1961 im schwedischen Växjö geborene Autor Jonas Jonasson jagt seinen seit dem Millionenerfolgstitel "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" bekannten Protagonisten, den mittlerweile 101 Jahre alten Allan Karlsson, und dessen manchmal unfreiwilligen Mitstreiter Julius abermals um die Welt, und wieder gerät der rüstige Nimmermüde von einer haarsträubenden Situation in die nächste.
Das liest sich manchmal durchaus anstrengend, vor allem wegen der notwendigerweise unablässig herbeikonstruierten Zufälle, die ausschließlich dazu dienen, in atemberaubendem Tempo möglichst viel Zeitgeschehen und möglichst viele aktuelle und aktuell gewesene Politiker in möglichst kuriosen Szenen bzw. Geschichten vorzuführen. Allerdings bleibt das sprachliche Niveau des Romans dem Herkunftsmetier des Autors, also dem knallharten Mediengeschäft, verbunden.
Jonasson, offenkundig mit einem Hang zu überlangen Buchtiteln ausgestattet, (man denke auch an "Die Analphabetin, die rechnen konnte" oder an "Mörder Anders und seine Freunde nebst dem einen oder anderen Feind"), lebt übrigens zurückgezogen auf Gotland.

Der Protagonist Allan Karlsson ist ein unglaubliches Glückskind, ein schlitzohriger Tausendsassa, schlagfertig, situationselastisch und dazu ein meistens recht vorlauter Dauerredner: "Ein Mann, der weder von General Franco hingerichtet noch von der amerikanischen Einwanderungsbehörde lebenslänglich eingesperrt worden war, weder von Genosse Stalin erwürgt (obwohl nicht viel gefehlt hatte) noch von Kim Il-sung oder Mao Tse-tung umgebracht oder von der iranischen Grenzpatrouille erschossen worden war, dem in fünfundzwanzig Jahren als Doppelagent im Epizentrum des Kalten Krieges kein Haar gekrümmt, der von Breschnews Atem nicht gekillt und auch bei Präsident Nixons Sturz nicht mit in den Abgrund gerissen worden war." (S. 36, 37)

Aufgrund des durchgehend hohen Erzähltempos kommt die Frage nach allfälliger Glaubwürdigkeit des Gebotenen während der Lektüre ohnedies nicht auf, im besten Fall nimmt man einfach alles als Fiktion hin, angedeutete Realitäten hin oder her, und lässt sich voll und ganz auf die dargebotenen Szenerien ein. Es wird verlässlich kein Klischee ausgespart, und wer auch heute noch an veröffentlichte Nachrichten glaubt, wird seine langgehegten (Vor-)Urteile rundum bestätigt finden. Ohne tiefgründige Überlegungen und absolut augenblicksbezogen prescht der Roman voran, dergestalt ideales Abbild des Medienzeitalters.

Immerhin demonstriert Jonas Jonasson, dass man aus dem unendlichen Sammelsurium namens Weltnachrichten routiniert rasante Geschichten ableiten, und, sofern man einen schier unverwüstlichen Protagonisten hinzugesellt, aus diesen frei verfügbaren simplen Zutaten einen turbulenten Unterhaltungsroman entwickeln kann. Auf 443 Romanseiten findet sich folglich allerlei über vermeintliche oder tatsächliche Bösewichte, Machtspiele und Listen, über ein schwarzes Tablett als unmittelbare Quelle umfangreich eingeflossener Weltnachrichten, über fast echten schwedischen Spargel, gepflanzt von einem indischen Scheinschweden auf Bali, über Leben und Ansichten des nordkoreanischen Machthabers, über Uranschmuggel, über die (mehrmals höchst effizient in Erscheinung tretende) schwedische Außenministerin, viel über den ungehobelt und einfältig gezeichneten us-amerikanischen Präsidenten, auch immer wieder Medientypisches über den russischen Präsidenten, ebenso über die deutsche Bundeskanzlerin, die ohnedies ihr eigenes Spiel zu spielen scheint. Dazu kommen erwartungsgemäß schrullige Geheimdienstangehörige, missverstandene Botschaften und allerlei internationale Verwicklungen sowie mehr oder weniger geschickt eingefädelte Einflussnahmen hinter den Kulissen.
 
Die flotte Geschichte nimmt ihren Anfang auf Bali, von wo die beiden Senioren während der Geburtstagsfeier per Heißluftballon hinaus aufs Meer flüchten, schließlich geht das Geld aus dem Koffer zur Neige, nach der Notwasserung gelangt man per Containerschiff nach Nordkorea, wo die beiden Abenteurer alsbald Kim Jong-un vorgeführt werden, behauptet Karlsson doch ebenso dreist wie überzeugend (nur bei nicht allzu kritischer Betrachtung freilich), Schweizer Atomexperte zu sein ... Mit auch in weiterer Folge noch sehr nützlichen Diplomatenpässen gelangen die Herren mitsamt vier Kilo Uran nach New York, zum dortigen Machthaber, der sich zum Gaudium der Schenkelklopfer unglaublich schablonenhaft benimmt. Dann kommt alsbald die deutsche Bundeskanzlerin ins Spiel, die Herren fliegen nach Stockholm ...
Weitere Begebenheiten sind der Überfall auf die Esoterikerin Sabine, woraus sich nicht nur eine Liebesgeschichte, sondern auch eine zunächst erfolgreiche Sargproduktion ergibt, doch eine folgenschwere Sargverwechslung führt zur Flucht vor dem amoklaufenden, auslandsfinanzierten Neonazi Johnny Engvall - und so geht es munter weiter Schlag auf Schlag bis zum Ende in Kenia!

Nach allen Seiten austeilen und fabulieren kann Jonas Jonasson - und auch, wie man es hinreichend aus vielen Medien kennt - manipulierende Mutmaßungen anstellen. Dies wäre ja nicht weiter schlimm, ginge es im Echtbetrieb nicht um die Gegenwart und die Zukunft unserer Welt, wo sich die üblichen Verdächtigen mit den unüblichen Unverdächtigen tatsächlich das eine oder andere Stelldichein geben, sodass einem das Lachen im Hals steckenbleibt. Von Weltrettung leider keine Spur!

(Franka Reineke; 09/2018)


Jonas Jonasson: "Der Hundertjährige, der zurückkam, um die Welt zu retten"
(Originaltitel "Hundraettåringen som tänkte att han tänkte för mycket")
Aus dem Schwedischen von Wibke Kuhn.
C. Bertelsmann, 2018. 448 Seiten.
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Ein weiteres Buch des Autors:

"Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand"

Allan Karlsson lebt in einem Altersheim und wird 100 Jahre alt. Eigentlich ein Grund zu feiern. Doch während sich der Bürgermeister und die Lokalpresse auf das große Spektakel vorbereiten, hat Allan ganz andere Pläne: Er verschwindet an seinem 100. Geburtstag - und schon bald steht ganz Schweden wegen seiner Flucht auf dem Kopf. Doch mit solchen Dingen hat Allan seine Erfahrung, schließlich hat er schon in jungen Jahren die gesamte Weltpolitik durcheinandergebracht und so manches Abenteuer erlebt. (Penguin)
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