Christina Hesselholdt: "Gefährten"


Christina Hesselholdts Roman "Gefährten" ist das erste Buch der 1962 geborenen renommierten dänischen Autorin, das ins Deutsche übersetzt wurde. Und während man als Leser diesem Text glücklich beseelt folgt, ist es dennoch nicht einfach, diesen Roman auf einen Nenner zu bringen. Es handelt sich nämlich um einen vielschichtigen Text, der einerseits die Geschichten von sechs Gefährten, Bekannten und Freunden erzählt, andererseits unzählige literarische Bezugspunkte herstellt, der so abwechslungsreich ist, dass es unmöglich wäre, eine sinnvolle Zusammenfassung zu erstellen. Was in diesem Fall definitiv positiv gemeint ist.

Es sind drei Paare, die im Mittelpunkt der Erzählung stehen. Alma und Kristian, Camilla und Charles, Alwilda und Edward.
Zu Beginn sind es Alma und Kristian, die im Lake District und in North Yorkshire auf den Spuren der Lake Poets, also Samuel Taylor Coleridges und William Wordsworths, herumreisen. Schon hier merkt man sehr schnell, dass Christina Hesselholdt sich den Erwartungen des Lesers entzieht, indem sie den Fokus auf Coleridges Tochter und Wordsworths Schwester legt, die beide selbst auch Gedichte schufen, allerdings im Schatten des Bruders bzw. des Vaters. Diese Gedanken verbindet Alma elegant mit einem Gedankenstrommonolog, der sich um ihr Innerstes dreht, ihren Seelen- und Ehezustand. Sie zitiert dazu verschiedene Texte der beiden Damen und auch der Herren, lässt amüsiert Tagebucheinträge mit ihren eigenen Ideen verschmelzen, sodass man aufmerksam lesen muss, um nicht im Grenzland verloren zu sein. Dazu kommt auch Kristian zu Wort - und Edward. Warum Edward im ersten Abschnitt zu Wort kommt, wird erst gegen Ende des Romans aufgedeckt. Hier führt dann ein literarischer Gedanke zum anderen. Alma findet in ihrer eigenen Ehe Parallelen zu Emily Brontës Heathcliff und Cathy. Kristians Krankheit, er leidet meistens wehleidig im Zimmer, wird quasi zum Symbol des miserablen Zustands ihres gemeinsamen Lebens. Der Ausbruch erfolgt bei einer todesmutigen Kletteraktion.
"Und es war Zeit, ins Hotel zurückzukommen und wieder einen Teelöffel zwischen Kristians Lippen zu zwingen. M. legte den Kopf in den Nacken und sah mir in die Augen, und in mir wallte etwas auf, das mein Herz verdreht und beinahe zum Stillstand brachte, es war das Blut der Liebe."

Danach folgt man Camilla und Charles, die in einem Bordell oder Nachtklub, so klar ist das nicht, eine sündteure und skurrile Nacht verbringen. Bösartig gut lässt Hesselholdt hier ihre Protagonisten ihre dunklen Seiten ausleben, die sie in Wahrheit gar nicht wirklich wahrnehmen, man fragt sich während dieses Nachtklubtreibens, wozu das gut sein soll, denn wirklich ausleben wollen beide ihre Sexualität dort sowieso nicht. Dass dieser Teil später als Erzählung Almas fungieren darf, die sie in New York bei einer Lesung vorträgt, zieht dem eigenartigen Besuch den Boden unter den Füßen weg, weil man plötzlich nun gar nicht mehr sicher ist, ob Alma das erfunden oder einfach die Geschichte ihrer Freunde in literarische Worte gefasst hat.

Dann ist Edward dran, der vom Doppelselbstmord seiner Eltern erzählt, der berichtet, wie er danach mehr oder weniger als Nachlassverwalter ins Haus gezogen ist, wie er mit Alwilda zusammengekommen ist, die auch Almas Freundin ist und später mit Alma bei der Lesung in New York einen jungen Dänen kennerlernen wird, der verheiratet ist und nur die Nacht mit ihr verbringen wird. Edward ist derjenige, der von den drei Männern definitiv der interessanteste ist. Er ist ein etwas komischer Kauz, der sich, nachdem er von Alwilda verlassen wird, einen Hund zulegt, der ihm ein treuer Begleiter wird.
"In das Bett, in dem sie mich empfangen und viele schlaflose Nächte verbracht hatten, legte ich mich freiwillig schlafen, nachdem sie gestorben waren. In ein und dasselbe Zimmer, das sie als Rahmen für ihren Tod gewählt hatten. Das ich eines Tages betrat, um die beiden Stühle umgestoßen vorzufinden und die beiden großen Greise an Haken von der Decke baumelnd. Und wenn Alwilda zu Besuch kam, legte sie sich neben mich. Ich erzählte ihr nie, dass es sich hier drinnen zugetragen hatte."

Camilla und Alma reisen auf den Spuren Virginia Woolfs und Sylvia Plaths durch England. Dabei ergeben sich interessante Gedanken, die sich mit dem Suizid beschäftigen, der sich irgendwie auf leichten Füßen durch den Roman zieht. Mit Virginia Woolf sinnieren sie darüber, ob der Suizid nicht als Rebellion gegen den Tod gewertet werden könnte. Später wird einer der verlassenen Männer mit aller Vehemenz nach Afghanistan geschickt werden. Um dem Vaterland zu dienen, wie er meint. Um Selbstmord zu begehen, wie die Freunde meinen. Camilla und Alma reisen auch nach Belgrad zu Lesungen und interessanten Begegnungen. So ermöglicht die Autorin ihren Figuren, sich herrlich ungeniert auszutauschen: Sex, Altern, Ehebruch, Liebe, Ängste um sich selbst oder auch die Welt - da ist alles dabei. Vor allem auch der Gedanke an die Unmöglichkeit des Ewiganhaltenden.
Irgendwie passiert es dann auch noch, dass Edward und Alma zusammenkommen, Camilla zur Pferde- und Hundebesitzerin wird.

Wer meint, das alles klingt irgendwie chaotisch oder überfrachtet, könnte trotzdem unbesorgt zu diesem Buch greifen, den Christina Hesselholdt hat ihre Figuren und Gedanken fest im Griff, anders als der Rezensent hier. "Gefährten" ist fein erzählt, kongenial übersetzt, witzig, traurig, nachdenklich stimmend und einfühlsam, der Roman zeichnet ein Porträt einer Generation, die so irgendwo zwischen 35 und 50 Jahre alt ist, ohne dabei so etwas wie ein Lebensmittenkrisenroman zu sein. Es ist wirklich faszinierend, wie leichtfüßig Hesselholdt gewichtige Themen angeht, und berauschend, wie ihre Figuren lebendig und nah sind. Eine kleine Warnung sollte vielleicht trotzdem ausgesprochen werden, für jene Leserinnen und Leser, denen eine klar nachvollziehbare Handlung wichtig ist, mit Entwicklung und so weiter. Das gibt es in "Gefährten" nicht. Macht aber nichts, denn was dieser Roman hergibt, könnte man mit einer 443 Seiten langen Wunderkiste vergleichen, deren Seiten den Leser einfach mitreißen, verzaubern und fesseln werden.

(Roland Freisitzer; 07/2018)


Christina Hesselholdt: "Gefährten"
(Originaltitel "Selskabet")
Übersetzt von Ursel Allenstein.
Hanser Berlin, 2018. 443 Seiten.
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Christina Hesselholdt, geboren 1962, gilt längst als eine der außergewöhnlichsten und wichtigsten Stimmen der zeitgenössischen dänischen Literatur. Ihr Werk wurde vielfach ausgezeichnet, unter Anderem mit dem "Beatrice Prize" (2007) und dem"Critics' Prize" (2010).