Almudena Grandes: "Kleine Helden"
Die
Wirtschaftskrise ist keine Krise, sondern eine Chance!
Vielfältig sind die ideologischen Entwürfe
für das Verhältnis zwischen Staat und
Volkswirtschaft, insbesondere in Zeiten der Rezession. Parteien von
links bis rechts unterscheiden sich in ihren Strategien, wie sie der
ökonomischen Krise begegnen, die immer eine Krise für
ihre Wählerinnen und Wähler ist. Ist es besser, alles
verfügbare und auch das von zukünftigen Generationen
geborgte Geld dafür einzusetzen, der breiten Masse finanzielle
Unterstützungen zu geben, und so diese Mittel zu binden und
einer vielleicht nötigen Flexibilität in
späteren Krisen zu entziehen? Oder soll jedes Mitglied der
Gesellschaft sich persönlich und unter Aufbringung eigener
Ressourcen auf die Krise vorbereiten?
Im Buch von Almudena Grandes ist die Krise eine Chance, eine
Herausforderung, die neue Energie - positive wie negative - freisetzt.
Die 58-jährige Autorin - sie galt lange Zeit als
Sympathisantin der linkssozialistischen "Izquierda Unida"
fragt nicht nach der politischen Richtigkeit einer Entscheidung. Sie
stellt Menschen aus einem traditionellen Madrider Stadtviertel in den
Mittelpunkt. In "Kleine Helden" geht um den Alltag einiger Familien und
Freundeskreise rund um den Friseurladen von Amalia und die Bar von
Pascal. Amalia weiß kaum, wie sie ihre Mitarbeiterinnen
bezahlen soll, färben sich aus Geldmangel doch immer mehr
Frauen die Haare selbst. Als schräg gegenüber ein
chinesischer Laden dieselben Leistungen um einen Bruchteil jener Preise
anbietet, die für sie gerade noch kostendeckend sind, denkt
sie ans Zusperren - und handelt doch anders: In einer Box sammelt sie
Lebensmittel für all jene, die es noch schwerer haben. Als
schließlich eine Chinesin vom Konkurrenzladen ihre
Hochzeitsfrisur bei ihr machen lässt, erhält sie
Einblick in das durchorganisiert ausbeuterische System, das ihre Preise
unterläuft. Der Barbesitzer Pascal versucht nach dem Tod der
Mutter, seine Geschwister zusammenzuhalten, auch wenn Zweifel an der
Vaterschaft des früheren Familienoberhaupts aufkommen.
Jedenfalls ist der ererbte Besitz auf dem Land immer eine
Möglichkeit, mit landwirtschaftlichen Produkten neue
Einkommensquellen zu erschließen. In seiner Bar wandelt sich
die Klientel. Eine Lehrerin organisiert eine kostengünstige
Ausspeisung für verarmte Kinder; der Sohn eines Angestellten
gibt Rechenunterricht, um einem jungen Mann aus der Nachbarschaft zu
helfen, am neuen Arbeitsplatz zu bestehen. Dass der junge Mann nicht
weiß, wie man multipliziert und dividiert, gilt als "Ergebnis
des spanischen Wirtschaftswunders, jener fetten Jahre, die so viele
Schüler von der Schulbank rissen, um ihnen die Kurbel einer
Betonmischmaschine in die Hand zu drücken" (Seite
160).
Almudena Grandes, die schon im Roman "Das gefrorene Herz" (Rowohlt,
2009) die Auswirkungen des Spanischen
Bürgerkriegs und des
Franco-Regimes sowie des Exils von Spaniern in Frankreich auf zwei
Familien über viele Jahrzehnte bis ins 21. Jahrhundert
beschrieb, bleibt ihrem Erzählstil treu: Sie reiht Episoden
aus dem Leben der Familien aneinander, nicht immer wird sofort klar,
wer mit wem bekannt oder verwandt ist. Das ist auch nicht wichtig; viel
bedeutender ist die Veränderung, die fast alle Menschen
durchleben, ja durchmachen müssen, um wirtschaftlich und
sozial zu bestehen.
Doch nicht für alle geht der riesenhafte Übergang aus
der Wohlstandsgesellschaft in eine Gesellschaft mit wachsender
Eigenverantwortung und notwendiger Solidarität gut aus.
Unterschiede, individuelle wie auch sozial bedingte, werden sichtbar.
Positive und negative Eigenschaften treten scharf hervor.
Die letzten zehn Seiten des Romans, der im streng literarischen Sinn
keiner ist, sind mit "Danach" übertitelt. Die Autorin
resümiert darin, wie sich das Jahr der Krise
von der
Rückkehr aus einem langjährig üblichen
Urlaub bis zum nächsten Sommer, den man mit weniger Einkommen
verbringen musste, auf die rund dreißig Protagonisten
auswirkt, unter denen niemand auch nur annähernd eine
Hauptperson ist. Kurz: Es geht für alle einigermaßen
gut aus, außer für jene, die schon zuvor zu den
Ärmsten und Marginalisiertesten zählten, eine
nordafrikanische Familie, die allen Besitz und die in Spanien
erworbenen Rechte verliert.
Almudena Grandes nannte ihr Buch im spanischen Original (2015) "Los
besos en el pan", "Die Küsse aufs Brot". Denn wenn in der
Kindheit der Autorin ein Stück Brot
zu Boden fiel, musste es
das Kind küssen, um sich zu erinnern, dass man immerhin etwas
zu essen hat. Nicht von Brot allein, sondern auch von den Menschen und
ihren Geschichten, wie sie die in Spanien sehr populäre und
vielfach ausgezeichnete Autorin erzählt, lebt das Land. Denn
Würde lässt sich nicht kaufen.
(Wolfgang Moser; 10/2018)
Almudena
Grandes: "Kleine Helden"
(Originaltitel "Los besos en el pan")
Übersetzt aus dem Spanischen von Roberto Hollanda.
Hanser, 2018. 318 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen
Digitalbuch bei amazon.de
bestellen
Almudena Grandes, 1960 geboren, gehört zu den wichtigsten und erfolgreichsten spanischen Autorinnen der Gegenwart. Ihre Bücher sind in mehr als 20 Sprachen übersetzt worden. Für ihr bisheriges Gesamtwerk erhielt sie u.A. den "Premio Julián Besteiro". Im Jahr 2011 wurde ihr Roman "Inés und die Freude" mit dem "Premio Sor Juana Inés de la Cruz" ausgezeichnet.