Daniel Galera: "So enden wir"
Daniel
Galeras erster ins Deutsche übersetzter Roman "Flut"
hat verdient hohe Wellen geschlagen. Da war plötzlich eine
archaische, authentische und starke Erzählstimme, die einfach
mitgerissen hat. Ein Roman, der mehr als neugierig auf die weiteren
Bücher dieses Autors aus Porto Alegre gemacht hat. Nun ist ein
weiterer Roman von Daniel Galera in deutscher Sprache erschienen,
nämlich "So enden wir". Leider hat sich Suhrkamp beim
Nachfolger für "Flut" nicht für den Roman "The Shape
of Bones" entschieden (die zweite Veröffentlichung in
englischer Sprache), der ganz anders als "Flut", aber ebenso stark ist.
Jene Elemente, die "Flut" so ausgezeichnet haben, sind in "So enden
wir" gar nicht, und wenn, dann in so abgeschwächter und
beliebiger Form, dass sie nicht zu tragen kommen, vorhanden. Das geht
so weit, dass "So enden wir" eigentlich sogar ein ziemliches
Ärgernis darstellt. Lange will man das nicht glauben, geht
zurück an den Anfang, versucht, neu zu sehen, die eigenen
Unzulänglichkeiten vorschiebend, einfach weil man nicht
glauben will, dass hier derselbe Schriftsteller am Werk war, der "Flut"
und "Mãos
de Cavalo"
geschrieben hat.
Zu Beginn dieses Romans wird Duke, der eigentlich Andrei Dukelsky
heißt, auf sinnlose Art erschossen. Wegen seines
Mobiltelefons. In weiterer Folge treffen sich bei der Beerdigung drei
Protagonisten, die mit Duke fünfzehn Jahre zuvor eine Gruppe
von jungen Helden des Internetzeitalters gebildet hatten. Sie trafen
sich im virtuellen Raum, gehörten zur Riege der ersten Blogger
und schrieben gemeinsam an einem Online-Literaturmagazin.
All das am Ende des vorigen Jahrtausends, als man davon ausging, dass
beim Wechsel von 1999 auf 2000 Flugzeuge vom Himmel fallen
würden, Bankkonten leergefegt würden und sowieso
alles zusammenbrechen würde. Ein digitales Ende der Welt, das,
wie wir wissen, nie stattgefunden hat. Unter dem Namen "Orangotango"
verschickte man subversive Texte, Links und
Manifeste und stellte bizarre, selbstgedrehte Pornos ins Netz. Der
damalige Vordenker und unausgesprochene Gruppendynamo Duke ist nun
fünfzehn Jahre später gefeierter Schriftsteller - und
tot. Die anderen Mitglieder der Gruppe sind die depressive Biologin
Aurora, die ganz anders als ihr Name vermuten lassen würde,
nicht von der Morgenröte angezogen ist, sondern von der
dunklen Nacht, der homosexuelle Journalist Emiliano und der Werbeprofi
Antero.
Nun lässt Daniel Galera seine Protagonisten erzählen.
Sie berichten von damals, als sie digital schrieben und analog
feierten, von ihrem Verzicht auf Papier befeuert. Sie erzählen
vom Hauch des Genialen, der sie umgab. Das Problem bei der ganzen Sache
ist, dass nicht klar ist, was Galera eigentlich in Wahrheit kritisieren
will. Das digitale Zeitalter, das ist klar, doch wohin will er damit?
Die Figuren sind seltsam kaputt, fast ausgespuckt, und träumen
von ihren existenziellen Irrungen, denn in erster Linie sind sie
Verlorene. Alles ist trostlos, ihre Beziehungen und sexuellen
Einnachtsfliegen, ihre Gespräche und ihr biederer Nihilismus.
Dazu kommen essayistisch anmutende Texte, die quasi von den drei
überlebenden Mitgliedern der Gruppe abgeliefert werden. Antero
breitet sich über digitalen Sadismus aus, nimmt dabei den namensgebenden
Marquis mit auf den Weg, während der Werbefachmann
über seine Ehekrise und eine abstruse Portion
Masturbationsvorlagen referiert. Aurora hingegen hat es mit Sisyphos,
der einem beim Lesen ohnehin immer wieder in den Sinn kommt. Gemeinsam
nörgeln sie ein
wenig
Kulturkritik und lassen Gegenwartsdiagnosen ab, die
vielleicht irgendwo in einem Schulaufsatz stehen könnte.
Galeras psychisch lädierte Protagonisten bleiben
nämlich erstarrt im Niemandsland des Nichterwachsenwerdens.
Oder anders gesagt, sie finden nicht ins normale Leben zurück,
das sich außerhalb des
Internets abspielt.
All das wäre ja noch irgendwie erträglich, oder gar
fast genial, gäbe es hinter dem Erzählten irgendeinen
Anhaltspunkt dafür, was der Autor eigentlich will. Da fehlt
jegliche Stringenz, die zu einem bestimmten Punkt oder einer bestimmten
Aussage hinführen würde. Dadurch bleibt alles an der
Oberfläche dieser Internetblase, wenn
man so will. Die Materie bleibt ungreifbar und leblos.
Die Übersetzung von Nicolai von Schweder-Schreiner ist
gelungen, an ihr liegt es nicht, dass hier immer wieder wirklich
nervtötende Stilblüten vorkommen, die sind im
Original ebenso vorhanden. Ein Beispiel dafür die Aussage: "Was
für ein Tag für meinen Penis" oder noch
besser und fast preisverdächtig: "Hin und wieder
meldete sich meine abgesaugte Gebärmutter und jaulte mich an
wie ein Hund nach einer OP, mitten im Zimmer mit einem Schutzkragen um
den Hals". (Der Rezensent hat dies in Zusammenarbeit mit
einem brasilianischen Literaturkenner mit dem Original abgeglichen).
Dennoch, auch wenn dieser Roman eine Enttäuschung darstellt,
sollte man Daniel Galera auf dem Radar haben. Wer diesen Autor noch
nicht kennt, dem sei "Flut" oder "Mãos
de
Cavalo"
wärmstens empfohlen.
(Roland Freisitzer; 05/2018)
Daniel
Galera: "So enden wir"
(Originaltitel "Meia noite e vinte")
Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Nicolai von
Schweder-Schreiner.
Suhrkamp, 2018. 231 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen
Digitalbuch bei amazon.de bestellen