Kirk Wallace Johnson: "Der Federndieb"
Ein passionierter Fliegenfischer kommt dem größten Museumsraub der Naturgeschichte auf die Spur
Obsessionen,
Forschende und Kriminelle: Die Perspektive und der Zeitgeist bestimmen
den Unterschied ...
Museumseinbrüche samt Diebstählen sorgen immer wieder
für Schlagzeilen, sind doch auch heutzutage offenbar
längst nicht alle Sammlungen zeitgemäß
gesichert, und auch die Gier sowie das kriminelle Potenzial der
Zeitgenossen nicht zu unterschätzen.
Zufällig erfuhr Kirk Wallace Johnson beim Fliegenfischen
von einem erst Wochen nach dem Verbrechen entdeckten anno 2009
stattgefundenen Museumsraub, bei dem 299 sehr wertvolle historische
Vogelbälge verschwunden waren. Sein Spürsinn und sein
Interesse waren sofort geweckt, befand er sich doch gerade in einer
tiefen Lebenskrise und ließ sich darob nur allzu gern von der
sensationell anmutenden Geschichte vereinnahmen, mit der er sich im
weiteren Verlauf jahrelang befassen und die schließlich in
dieses Buch münden sollte.
Die nicht immer einfach herzustellenden Kontakte mit z.B.
Angehörigen der verschworenen Gemeinschaft der Fliegenbinder,
geprägt von der Besessenheit von exotischen Federn und
viktorianischen Binderezepten, ließen den Autor zahlreiche
Reisen unternehmen, Fachmessen und Museen besuchen. Er lernte viele
Spezialisten kennen, die mit dem weite Kreise ziehenden Fall direkt
oder indirekt zu tun hatten, zeichnete Gespräche auf,
führte umfangreiche Korrespondenzen, recherchierte akribisch
im Netz. Von wie vielen Personen und Institutionen Kirk Wallace Johnson
über die Jahre Informationen und Unterstützung
erhalten hat, bezeugen seine umfangreichen Danksagungen.
Der nach einem unabsichtlich ausgeplauderten Hinweis ausgeforschte, am
12. November 2010 verhaftete und sofort geständige
Täter Edwin Rist, damals 22 Jahre alt, hochbegabt, sowohl, was
das Fliegenbinden (er selbst angelte gar nicht, sondern war
unermesslich fasziniert von der Schönheit und dem Wert der
Federn und Köderfliegen), als auch das Flötenspiel
betrifft, bleibt undurchschaubar und letzten Endes, trotz einer
vielstündigen Unterhaltung, auch für den Autor
charakterlich ungreifbar.
Aufgrund der kreativen Verteidigungsstrategie seines Anwalts wurde der
US-Bürger Rist, der zu jener Zeit kurz vor seinem Abschluss an
der "Royal Academy of Music" in
London stand, übrigens nicht
zu einer Haftstrafe verurteilt, und nach seinem Geständnis
wurden die polizeilichen Ermittlungen gänzlich eingestellt.
Allerdings konnte nur ein Teil der kostbaren Beute in Rists Wohnung
sichergestellt werden, nicht wenige Vogelpräparate waren somit
für immer verloren. Diese doch noch irgendwo irgendwie
aufzustöbern, war Kirk Wallace Johnsons Anliegen, dem er viel
Zeit und Energie widmete. Wie ein unermüdlicher
Sonderermittler spürte Kirk Wallace Johnson den
Museumseinbrecher und dessen Kontaktpersonen auf und beleuchtete in
mühevoller Kleinarbeit zahlreiche Ungereimtheiten in deren
Darstellungen.
Kirk Wallace Johnson fand tapfere Mitstreiter, machte sich jedoch auch
viele Feinde, weil er die vorwiegend via weltweitem Netz abgewickelte
lukrative Geschäftemacherei mit Federn und Bälgen
streng geschützter Vogelarten aufdeckte und anprangerte, nicht
locker ließ und akribisch jedem Hinweis nachging, wo die
verschwundenen Bälge geblieben sein könnten.
Angesichts des Bildteils im Buch wird bis zu einem gewissen Grad
nachvollziehbar, dass nach wie vor viele Zeitgenossen von den
prachtvollen Federkleidern gewisser Vogelarten über die
Maßen fasziniert sind und verbotenerweise mit bestechend
schillernden Federn
von Quetzals, Kotingas, Paradiesvögeln u. dgl. arbeiten
wollen, seien modische Zierden oder eben ästhetisch
anspruchsvolle Kunstwerkköderfliegen die Endprodukte.
"Der Federndieb" bietet auch sehr interessante Einblicke in die
einstige und aktuelle Arbeit von Naturforschern und Fliegenbindern,
verfolgt die Wege exotischer Vögel von der einstigen
"Sammlung" in ihren Lebensräumen bis in die Schubladen des
Britischen Naturkundemuseums in Tring und von dort bis zu mehr oder
weniger gut verborgenen Handelsplattformen. Johnson betont die
Bedeutung sorgfältig etikettierter und aufbewahrter
Tierpräparate für die Naturwissenschaften und die
niemals innehaltenden Forschungsgelüste ihrer Vertreter; eine
Sichtweise, die allem Anschein nach keineswegs von der
Fliegenbindergemeinde geteilt wird.
Kirk Wallace Johnsons "Der Federndieb" ist eine sehr engagierte,
abenteuerliche Darstellung und einfühlsame Aufarbeitung eines
aufsehenerregenden Kriminalfalls, eine aussagekräftige
Bestandsaufnahme hinsichtlich menschlicher Sammelleidenschaften im
Wandel der Jahrhunderte, ein Ausflug in die Historie jener Faszination,
die nach wie vor von exotischen Handelswaren ausgeht, und nicht zuletzt
ein Plädoyer für Umweltschutz in großem
Stil.
Aufrüttelnde, spannende und kurzweilige Lektüre, eine
überzeugende Mixtur aus Sachbuch und realistischem
Kriminalroman!
(Felix; 11/2018)
Kirk
Wallace Johnson: "Der Federndieb.
Ein passionierter Fliegenfischer kommt dem größten
Museumsraub der Naturgeschichte auf die Spur"
(Originaltitel "The Feather Thief: Beauty, Obsession and the Natural
History Heist of the Century")
Übersetzt von Jochen Schwarzer.
Droemer, 2018. 363 Seiten.
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Zur Netzpräsenz des Autors: http://kirkwjohnson.com/