Andreas Guski: "Dostojewskij"
Eine Biografie
Auf
der Rückseite des Buchs steht geschrieben, dass es sich bei
der zu besprechenden Dostojewskij-Biografie um die erste in deutscher
Sprache seit über 25 Jahren handelt. Zwar gibt es immer wieder
"kleinere" Biografien über den großen russischen
Schriftsteller, doch selbst bei längerer Recherche bleibt am
Ende nur jene von Wolfgang Kasack übrig, der - und das
verbindet ihn mit dem Autor der neuen Biografie Andreas Guski - auch
als Slawist agierte. Das eher schmale Bändchen von Kasack
orientierte sich sehr stark am Werk von Dostojewskij, und daraus
entstand ein Textkonvolut, das eher als Analyse der
schriftstellerischen Hervorbringungen bezeichnet werden kann.
Erschienen ist diese kleine Biografie allerdings 1998. Weitaus
interessanter und ausführlicher ist die Biografie des
Norwegers Geir Kjetsaa, die im Jahre 1986 den Literaturmarkt eroberte.
Möglicherweise ist der Begriff "deutsche Sprache" im Sinne der
Übersetzung der Biografie von Kjetsaa ins Deutsche zu
verstehen. Auch Kjetsaa war Slawist, das vereint ihn sozusagen mit
Guski und Kasack.
Warum nun diese lange Vorrede? Entscheidend bei einer Biografie ist, ob
sie etwas Neues zutage bringt. Also etwa andere Blickwinkel auf den
Porträtierten richtet. Dostojewskij ist sicher keine leichte
Aufgabe für Biografen. Das ist wohl der Grund, warum nur
wenige Autoren den Versuch unternommen haben, sich Dostojewskij
anzunähern. Es ist - siehe Kasack - auch absolut notwendig,
das dermaßen beeindruckende Werk stark einzubinden. Und Leben
und Werk vielleicht irgendwie miteinander in Einklang zu bringen. Und
dann geht es darum, mittels vorliegender Briefe, Aufzeichnungen und
Erinnerungen mehr oder weniger Dostojewskij nahestehender Menschen ein
"Gesamtbild" zu erzeugen, wobei dies freilich nur ein
"Stückwerk" sein kann, das ein pointiertes Mosaik ergibt.
Widmen wir uns der Biografie von Guski, so ergibt sich ein
zwiespältiger Eindruck.
Zum Einen sind die Schilderungen der Kindheit und Jugend und die
traumatischen Erfahrungen von Dostojewskij ausgezeichnet in Szene
gesetzt und lebendig formuliert. Zwei Aspekte sind an Dramatik kaum zu
überbieten: Die perfekt inszenierte Begnadigung von
Dostojewski, der mit dem sicheren Tod gerechnet hatte und dann
stattdessen vier Jahre im Straflager unter schrecklichen Bedingungen
überlebte, ehe er die Degradierung zum gemeinen Soldaten
erfahren musste. Wahrscheinlich genauso tragisch der Tod des Vaters, wo
mittlerweile davon ausgegangen wird, dass er von seinen eigenen Bauern
umgebracht wurde. Hinrichtungen und die Ermordung von Vaterfiguren sind
in den Romanen und Erzählungen von Dostojewskij elementare
Themen. Auch die letzten Jahre von Dostojewski lassen den Leser sehr
nahe an ihn heran. Es entsteht manchmal der Eindruck, Dostojewskij
stünde vor einem und erzähle ganz persönlich
aus seinem Leben.
Zum Anderen ist der Mittelteil so konzipiert, dass die Analyse der
Werke einen - nach Meinung des Rezensenten - zu breiten Raum einnimmt.
Im Grunde werden sämtliche Romane und Erzählungen
nacherzählt und auch aus der Zeit der Entstehung heraus
interpretiert. Zwar gibt Guski letztlich auch zu, dass aus den Figuren
von Dostojewskij nicht mit Sicherheit auf dessen persönliche
Einstellungen und Wertvorstellungen geschlossen werden könne.
Dennoch zeigt sich, dass der Autor immer wieder einen belehrenden Ton
anschlägt, der unangebracht ist. Jede Leserin, jeder Leser,
wird einen Grund dafür haben, die Biografie lesen zu wollen.
Niemand wird blank in die Lektüre einsteigen. Wer keine Ahnung
hat, was die Werke betrifft, und auch die wesentlichen Daten aus dem
Leben von Dostojewskij nicht kennt, wird so und so mit der Biografie
überfordert sein. Aber wer unternimmt so etwas freiwillig? Wer
wie der Rezensent und sicher viele Leserinnen und Leser Dostojewskij
als Schriftsteller sehr schätzt und einfach mehr aus dessen
Leben erfahren will, kann auf Belehrungen verzichten. Diese
"Unterweisungen" sind oft versteckt und in geschwungene Analysen
eingebettet. Einmal jedoch, es geht aus Sicht von Guski um die "Lesart"
des "Jüngling", ist die Sachlage eindeutig, wenn er schreibt: "Bei
Lesern, die weder willens noch fähig sind, den Fokus der
Lektüre auf die Technik der Perspektivsteuerung zu verlagern,
muss die Lektüre einen etwas schalen Nachgeschmack
hinterlassen."
Gewissen Lesern wird also unterstellt, sie könnten dieses oder
jenes nicht nachvollziehen oder verstehen, also müssen sie
dementsprechend "unterwiesen" werden. Das ist schon ein starkes
Stück und geht zu weit. Ähnliches Palavern ist bei Umberto
Ecos
"Bekenntnisse eines jungen Schriftstellers"
augenscheinlich. Der leider schon verstorbene Umberto Eco war auch
Professor für Semiotik und nahm seine Leserinnen und Leser
nicht für voll, wobei sich bei ihm die Frage stellte, ob das
nur ein "Spiel" ist und ein "doppelter Boden" existiert. Bei Guski ist
es offensichtlich.
Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, diesen Zwiespalt
auszuklammern. Menschen sind neugierig, und sie lernen gerne dazu.
Somit wird es niemanden geben, der nicht viel von der Lektüre
der Dostojewski-Biografie mitnehmen kann. Für mich - und nun
schalte ich mich offiziell und persönlich ein - ist es etwa
neu, dass Dostojewskij von einem angeblich guten Freund und
früheren Förderer als Vergewaltiger gebrandmarkt
wurde. Eine unfassbare Vorstellung, noch dazu soll es sich um ein
zehnjähriges Mädchen gehandelt haben. Dafür
gab es keinerlei Beweise oder bekräftigende Aussagen. Es lag
wohl üble Nachrede vor. Doch allein die Tatsache, mit welchem
Vorwurf Dostojewskij konfrontiert wurde, erzeugt ein anderes Bild des
genialen Schriftstellers, auch wenn ich nicht glaube, dass auch nur im
entferntesten Sinne etwas dran sein kann.
Was Guski gut gelingt, ist, die Widersprüchlichkeiten von
Dostojewskij aufzuzeigen. Dostojewskij war Nationalist und Antisemit.
Er verwandelte sich von einem Revolutionär zu einem
Konservativen. Die Scheinhinrichtung soll diese Veränderung
des Charakters bewirkt haben. Dostojewskij war am Ende seines Lebens
tiefgläubig und vertraute darauf, dass der Tod nicht das
letzte Wort hat. Er liebte seine Kinder abgöttisch, und noch
am Sterbebett war ihm wichtig, dass ein Geldbetrag ausgezahlt werden
solle, um seine Familie ökonomisch abzusichern. Dostojewskij
hätte ein reicher Mann sein und seinen Frauen und seinen
Kindern ein angenehmes Leben bieten können. Doch er hatte
meist Schulden, und dieser Druck führte dazu, dass er seine
Romane wie in einem Fieber niederschrieb. Er spielte Roulette und
verspielte dabei enorme Summen. Und er war sich dessen bewusst, dass er
dem Roulette verfallen war. Schließlich dauerte es einige
Jahre, bis er davon weg kam.
In den letzten zwei, drei Jahren seines Lebens erlangte Dostojewskij
jenen Ruhm, den er sich wahrscheinlich schon als junger Mann
erträumt hatte. Er wurde geehrt und auf eine Stufe mit seinem
"Erzfeind" Turgenjew
und Tolstoi
gestellt. Seine Puschkin-Rede,
das
"Tagebuch eines Schriftstellers" und insbesondere sein wohl bestes Werk
"Die
Brüder Karamasow" waren große Erfolge, und am
Ende wurde ihm gar eine Art von "Heiligenstatus" zuteil. Er stieg nach
seinem Tod endgültig zum "Heiligen und Propheten" auf, und
seine Beliebtheit ist im heutigen Russland auch darauf
zurückzuführen, dass er die "russische Seele"
veredelte und fast kein gutes Wort am "Westen" ließ.
Andreas Guski hat eine Biografie mit groben Schönheitsfehlern
geschrieben. Dies wäre nicht notwendig gewesen, denn er zeigt
ja an vielen Stellen, dass er sein Metier beherrscht und es ihm ein
Anliegen ist, Dostojewskijs Leben weitschichtig darzustellen.
Jedenfalls macht die Biografie Lust darauf, wieder eines der
großartigen Werke von Dostojewskij zu lesen und vielleicht
auch zur Biografie von Geir Kjetsaa zu greifen, um diese mit jener von
Andreas Guski zu vergleichen und Rückschlüsse zu
ziehen, die den Eindruck von Dostojewskij insgesamt verstärken
könnten.
(Jürgen Heimlich; 04/2018)
Andreas
Guski: "Dostojewskij. Eine Biografie"
C.H. Beck, 2018. 460 Seiten, mit Abbildungen.
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