Thomas de Padova: "Nonna"


"Ich glaube, dass auch Gott ein telefonino hat. Nicht so ein kleines wie du und die anderen, sondern ein ganz großes. Damit kann er mit allen Menschen ständig in Verbindung bleiben." (Nonna)

Hier stehen zwei Welten einander gegenüber. Auf der einen Seite Thomas de Padova, der Enkel aus Deutschland, studierter Physiker und Astronom. Auf der anderen Seite seine Nonna, also Großmutter, die in Mattinata, einer italienischen Gemeinde in der Provinz Foggia in Apulien, lebt. Nonna ist dort geblieben, von wo es den Vater, Großvater und Urgroßvater des Erzählers weggezogen hat. Diese drei Männer wollten die Welt erobern und suchten ihr Glück anderswo, sogar in Amerika. Nonna hätte sich mitziehen lassen können, doch sie wollte ihr Heimatdorf nicht verlassen. Thomas de Padova verbringt jedes Jahr einige Wochen in Mattinata, um seine Nonna zu besuchen. Er betritt dort eine Welt, die ihn jedes Mal aufs Neue fasziniert. Die Bewohner erzählen von seinem Vater und seinem Großvater. Er hört Geschichten, deren Wahrheitsgehalt schwer überprüfbar ist. Nonna erwartet von ihm, dass er gewisse Dinge für sie erledigt. Etwa zur Bank geht und Geld einzahlt.

Die Geschichte setzt sich aus vielen kleinen Schnipseln zusammen. Und wenn einige Teile richtig zugeordnet werden, wird ein kleiner Teil der Persönlichkeit Nonnas sichtbar. Thomas de Padova widmet sich ganz seiner Großmutter, und es ist die Beziehung zwischen ihm und ihr, durch die er selbst in Erscheinung tritt. Nonna ist eine einfache Frau, die ihre eigene Philosophie entwickelt hat. Rituale sind für sie von eminenter Bedeutung. Dadurch behält alles seine Ordnung. Irgendwie versucht sie, ihre Welt im Gleichgewicht zu halten. Die Menschen um sie herum kreisen wie die Planeten um die Sonne. Einer dieser Planeten ist Thomas de Padova, der Enkel. Er hat die Geschichte seiner Großmutter aufgeschrieben, damit sie nicht in Vergessenheit gerät. Und er verzichtet darauf, detailierte autobiografische Daten einzubauen oder chronologisch vorzugehen. Die Geschichte seiner Großmutter geht in seinen Besuchen bei ihr auf. Und am Ende bleibt die Frage, wie nahe ein Mensch dem anderen sein kann.

"Nonna" ist leichte Kost und schwere Lektüre zugleich. Leichte Kost aufgrund der Schnipsel, der kleinen Geschichten rund um Nonna, schwere Lektüre bedingt durch die Verflechtungen, die sich auftun. Denn die Aufgabe des Lesers ist es, das Puzzle für sich auszulesen und zu deuten. Und so passiert etwas Erstaunliches: Jeder Leser wird die Schnipsel anders gewichten. Für den Rezensenten sind es jene Passagen, die Nonnas Weltverständnis illustrieren. Warum sie etwa keineswegs hohe Geldbeträge in mehreren Kuverts aufbewahrt, und es gar nicht so einfach für sie ist, überhaupt an dieses Geld, das irgendwo in den Tiefen einer Schublade in Bodennähe verborgen schlummert, heranzukommen. Oder warum für sie die Sonne ständig in Betrieb ist.

Wer immer schon ein Buch lesen wollte, das er nach seinen eigenen Vorstellungen gestalten kann, der wird mit "Nonna" seine Freude haben. Denn das Abenteuer von Thomas de Padova überträgt sich auf den Leser, wenn er dem Forscherdrang nachgibt. Und dem Autor ist es gelungen, jenen Draht zu seiner Großmutter zu finden, durch den Kommunikation, Verständnis und insbesondere Liebe gedeihen können.

(Jürgen Heimlich; 02/2018)


Thomas de Padova: "Nonna"
Hanser Berlin, 2018. 176 Seiten.
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