Steven Amsterdam: "Einfach gehen"
Im
Klappentext heißt es am Ende:
"... dieser Roman erzählt vom Sterben und feiert das
Leben."
Das kannte der Rezensent in diesem Ausmaß bisher
vor allen Dingen von Eric-Emmanuel Schmitts "Oskar
und
die Dame in Rosa." Nur, dass dort der kranke
Ich-Erzähler im Mittelpunkt der Geschichte steht. Bei Steven
Amsterdam ist es der Sterbebegleiter Evan, der erst vor Kurzem in die
Stadt gezogen ist, um seiner zunehmend kranken Mutter zu helfen, die
ihm eigentlich bis dahin das Leben nicht unbedingt leicht gemacht hat.
Ursprünglich ist Evan kurz nach einer entscheidenden
Gesetzesänderung mehr oder minder in die "Assistiertes
Sterben-Abteilung" hineingerutscht, doch nun soll er - gleich zu Beginn
des Buchs - seine erste eigenständige Sterbebegleitung machen,
bei der neben dem "Klienten" unerwartet auch noch dessen Kinder
auftauchen, was die Sache nicht gerade erleichtert. Und prompt
unterläuft ihm ein sehr peinlicher Lapsus. Seine Vorgesetzte
Nettie kann die Situation retten, aber nun sind in ihrem und Evans Kopf
die ersten Zweifel an seiner Eignung aufgekommen. Doch nachdem sich
seine Vorgängerin auf dem Posten aus psychologischen
Gründen zurückgezogen hat, bleibt Nettie zu diesem
Zeitpunkt nur Evan.
Zur selben Zeit geht es der in einem Heim wohnenden Mutter Evans durch
eine neue experimentelle Behandlungsmethode auf einmal wieder so gut,
dass sie zurück in ihre alte Wohnung zieht, wo sich Evan in
Erwartung, dass sie nie wiederkommen könnte, niedergelassen
hat. Dort macht sie sich nicht nur breit, sondern auch noch deutlich,
dass sie erwartet, dass Evan sich ehestmöglich eine eigene
Wohnung sucht - am besten in einer anderen Stadt. Der chaotischen,
resoluten, pokerspielenden alten Dame ist ihr Sohn nämlich
nicht zielstrebig genug; was man ihr nun wirklich nicht nachsagen
könnte.
Aber zum Glück kann Evan ja zu Lon und Simon ausweichen, die
ihm aber zu verbindlich werden für seinen Geschmack. Denn Evan
legt sich im Leben nicht gerne fest, weswegen er immer wieder in
überaus unangenehme Situationen gerät.
Außerdem sind die Beiden nicht gerade Anhänger der
neuen Gesetzgebung, und so hat Evan seinen neuen Posten bisher vor
ihnen verschwiegen, was als Vertrauensgrundlage für eine neue
Beziehung nicht unbedingt tragfähig ist.
Nach einem weiteren Lapsus mit einem sehr einflussreichen Patienten
wird ihm die Kündigung nahegelegt, und Evan sieht sich in
vielerlei Hinsicht gezwungen, sein Leben zu überdenken - und
zu ändern. Wohnungs-, Arbeitsplatz-, Beziehungs- und Zielnot
lassen ihn zunächst in den "freien Markt" der Sterbehilfe
abschweifen, was ihm ganz neue Einblicke in die Materie
gewährt - und damit auch dem Leser - und auch in Mechanismen
für einen gelegentlich möglicherweise notwendigen -
aber verbotenen - Dienst am Menschen im System der "normalen"
Gesundheitspflege.
Ein sehr nachdenklich machender Roman, der die Probleme der Sterbehilfe
anhand verschiedener Fallbeispiele - aber auch anhand von
Gesprächen der Helfer und ihrer Klienten - verdeutlicht. Und
der erfolgreich das Gefühl vermittelt, dass Stagnation
tatsächlich im Endeffekt schlimmer als der Tod
ist.
Dafür verzeiht man auch gerne das
"Homosexueller-mit-extrem-kontrollierender-Mutter-Klischee", das der
Kernbeziehung dieses Romans zugrundeliegt. Ein - die Thematik bedenkend
- überraschend erfreuliches Buch. Und absolut lebensbejahend.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 02/2018)
Steven
Amsterdam: "Einfach gehen"
(Originaltitel "The Easy Way Out")
Übersetzt von Marianne Bohn.
Unionsverlag, 2018. 344 Seiten.
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Steven Amsterdam, geboren 1966 in New York City, war zunächst als Kartenherausgeber, Konditor und Produktionsassistent tätig. Seit 2003 lebt er in Melbourne, wo er als Schriftsteller und Palliativpfleger arbeitet.