Julia Wolf: "Walter Nowak bleibt liegen"
Walter
Nowak und die Frauen
"Walter Nowak bleibt liegen" ist Julia Wolfs zweiter Roman nach "Alles
ist jetzt". Der beim "Bachmann-Wettbewerb" unter großem
Beifall präsentierte Textausschnitt liegt nun
vervollständigt als relativ kurzer Roman vor. Julia Wolf
interessiert sich auch in ihrem zweiten Roman nicht für einen
handlungsintensiven Text, sie versetzt sich überzeugend in die
Psyche eines älteren Mannes, der nach einem Vorfall die
Kontrolle über sich zu verlieren scheint.
Walter Nowak ist ein Mann der alten Schule. Unehelicher Sohn eines
us-amerikanischen Soldaten
und einer Deutschen, ist er längst
Inhaber einer Hebebühnenverleihs. Er hat einen Sohn mit seiner
ersten Frau Gisela und ist nun mit Yvonne verheiratet, die einige Tage
verreist ist. Eine Tagung. Er ist ein Mann, der täglich
tausend Meter im Schwimmbad schwimmt, er will den Frauen gefallen und
gesund leben. Ein schlanker Hecht will er sein, fit wie ein Turnschuh.
Sein Leben verläuft in geordneten Bahnen, auch im Schwimmbad,
wo er deshalb immer früh am Morgen schwimmt, weil er da in
Ruhe seinen Längen schwimmen kann, ohne dabei gestört
zu werden. Mit seinem Sohn Felix verbindet ihn nur wenig.
Eines Tages sieht er im Schwimmbad eine junge Mutter, die ihn schwer
beeindruckt. Wobei, in Wahrheit ist es der Pferdeschwanz, der ihn
beeindruckt. Bereits Yvonne, seine zweite Frau, hat ihn mit ihrem
Pferdeschwanz für sich eingenommen, so sehr, dass er
für sie Frau und Kind verließ. Er müht sich
ab, will beeindrucken und stößt sich dabei bei einer
Wende den Kopf an. Er kommt neben dem Becken zu sich, sieht den
Bademeister und andere Schwimmer, auch die junge Frau, besorgt um ihn
herumstehen, fühlt an seiner Stirn eine dicke, fette Beule.
Dieser Moment ist quasi der endgültige Auslöser
für das Zerbröckeln seiner geregelten Mauer, die er
sich um sein Innenleben gebaut hat.
"Da ist ein Schlenkern in meinem Gang. Ein Zucken der Knie.
Etwas in mir, uuu uuu uuu, das sind die Schreie der Frauen, ihr
Gekreische. Das Rascheln der Röcke. Meiner Hand unter dem
Rock, dem Tüll. Lippenstift. Fräulein, das Leder der
Rückbank knarrt, mein Fräulein. Der Pferdeschwanz
löst sich, ihr Haar fällt auf mein Gesicht. Die
blinzelnden Äuglein der Fritzsche, spiegelnde Brille. Was
machen Sie denn?"
Diese Mauer hatte, wie man bald herausfindet, längst tiefe
Risse, in denen er, nachdem er in der Waschküche seines
Hauses, am Boden liegend zu sich kommt, zu wühlen beginnt. Er
erinnert sich an seine Kindheit, Momente treten in Erscheinung, die dem
Leser rasch suggerieren, dass hier höchstwahrscheinlich nicht
alles so ist, wie es scheint. Er erinnert sich an die Mutter, den
Großvater, der nie gestört werden durfte, und andere
Momente seiner Kindheit, die ihn geprägt haben.
Während ihm, allein im Haus, Erinnerungsfetzen durch den Kopf
huschen, lässt er die Fesseln seiner Zurückhaltung
fallen. Er trinkt Alkohol,
obwohl er das nicht tun sollte. Seine
Urologin scheint es ihm verboten zu haben, er versucht, die riesige
Schweinshaxe, die er im Gefrierfach findet, irgendwie sinnvoll
zuzubereiten. Er erinnert sich an ein Weihnachtsfest mit seiner Exfrau
Gisela, bei dem sie einen Schweinsbraten zubereitet hat und ruft sie,
auf der Suche nach einer Zubereitungsmethode, an. So treten immer mehr
Mosaiksteinchen seines Lebens in Erscheinung, die das Bild des so
bemüht beherrschten Mannes ins Wanken bringen.
"Was tut ein anständiger Mann, as the father of your
child, er heiratet die Frau. Ehelichen, das gehört sich doch
so. Wir heiraten, Gisela guckt über die Schulter in die
Kamera, ihre Haare, der Schleier. Ich betrachte das Bild. Keine
Vorträge, kleiner Kerl. Kein Gejammer. Warst so ein Kumpel,
Vögelchen, das war doch ganz gut. Oder nicht? Ihr Blick."
Irgendwie ist da auch noch Olga im Spiel, die russische Putzfrau, die
ihn, da am Boden in der Waschküche liegend, beobachtet, ohne
ihm aufzuhelfen. Man wird nicht ganz schlau beim Versuch,
Realität und Wahn zu deuten, was natürlich auch das
Anliegen von Julia Wolf ist. Sehr überzeugend lässt
sie da und dort einmal ein Erinnerungsfenster offen, nur um es, bevor
man sich in Sicherheit wähnt, schnell wieder zu
schließen und ein ganz anderes zu öffnen. Fast mutet
dieser Roman wie ein Adventkalender an, bei dem fast jedes Mal, wenn
man meint, den richtigen Tag gefunden zu haben, kurz vor dem
Öffnen des jeweiligen Fensterchens feststellen muss, dass sich
der Tag geändert hat. Oder man sich geirrt hat.
"Das kleine Schwarze gilt mir. Und ich habe gedacht, das
sollte ja nur eine Nacht, eine kleine, schwarze Nacht, keiner
erfährt's. Weißt Du noch? Ich habe dich um
Diskretion gebeten, und du hast genickt. Aber klar, am
nächsten Morgen, Reißverschluss zu,
schlüpfst du in die Pumps. Das geht ja leicht, du warst gar
nicht anhänglich. Ich hätte mich freuen sollen, wie
leicht das ging."
Nichtsdestotrotz spürt man, dass sich die Masche, die sich um
die ganze Sache, von der man lange keine Ahnung hat, legt, immer enger
zieht.
Plötzlich steht auch Felix vor der Tür, für
den Vater fast überraschend, ein junger, erwachsener Mann.
Geschickt spielt Julia Wolf mit den springenden Erinnerungen des alten
und, man muss es sagen, wirklich nicht gerade sympathischen Mannes, der
ein Paradebeispiel eines machohaften Alphatiers zu sein scheint, dessen
Weltbild ganz im vorigen Jahrhundert, - Frau daheim, hinterm Herd, Mann
verdient, Mann wird doch einmal auswärts essen
dürfen, gucken ist nicht nehmen, und wenn, dann tja, was sie
nicht weiß, macht sie nicht heiß -, entspricht. Sie
lässt ihn drauflosplappern, in unvollständigen
Sätzen, immer wieder kreisend, von Wort zu Wort tastend. Das
funktioniert, auch wenn es alles Andere als erbaulich ist. Nicht oft
passiert es, dass man einem Protagonisten, um mit einer von Julia Wolf
selbst mehrmals gewählten Formulierung zu sprechen, immer
wieder gerne einmal in die Fresse hauen möchte. Erst recht,
wenn es dann doch recht deutlich wird, was es mit der
Waschküche und Olga auf sich hat.
In diesem Sinn ist "Walter Nowak bleibt liegen" ein
äußerst gelungener Roman, eine überzeugende
Demontage eines alternden Männeregos.
(Roland Freisitzer; 04/2017)
Julia
Wolf: "Walter Nowak bleibt liegen"
Frankfurter Verlagsanstalt, 2017. 158 Seiten.
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Julia Wolf, 1980 in Groß-Gerau geboren, lebt in Berlin und Leipzig. Für ihren Debütroman "Alles ist jetzt" (FVA 2015) erhielt sie den "Kunstpreis Literatur 2015 der Brandenburg Lotto GmbH".