Viktorija Tokarjewa: "Meine Männer"
Der
Werdegang der beliebten Schriftstellerin
Entlang und auch auf Grundlage prägender Erlebnisse und
Personen vor dem Hintergrund der russischen Zeitgeschichte
erzählt die am 20. November 1937 geborene Viktorija Tokarjewa
schwungvoll, unterhaltsam und komprimiert aus ihrem Leben, das sich
offenbar seit der Schulzeit geradezu zwingend in Richtung Literatur
entwickelt hat. Sei es, dass eine strenge Lehrerin ihr als einziger
Schülerin jemals die Bestnote wegen ihres treffsicheren
Sprachgefühls gegeben hat, oder dass ihr der nicht zuletzt auf
einer kleinen Notlüge basierende Kontakt mit einem
Kinderbuchautor während ihrer ungeliebten Tätigkeit
als Musiklehrerin wichtige Türen zu einer besseren Zukunft
geöffnet hat: Der Weg zur Schriftstellerei erschien Viktorija
Tokarjewa wie das lange Warten auf einen Zug, in den sie eines Tages
endlich doch einsteigen konnte. In die Wiege gelegtes Talent, die
gewisse Portion Schicksalsglück, Beharrlichkeit, Zuversicht
und Zielstrebigkeit ermöglichten der russischen Autorin, sich
entsprechend zu präsentieren und zu positionieren.
"Sobakin, Michalkow, Woinowitsch, Danelija, Daniel
Keel, Gorbatschow - das sind sie, die Architekten meines Lebens. Ich
habe, natürlich, auch das Meine dazu beigetragen,
nämlich meine Arbeit." (S. 132)
Als Viktorija Tokarjewa 26 Jahre alt ist, erscheint ihre erste
Erzählung "Ein Tag ohne Lügen" (bedauerlicherweise
nicht in diesem Buch abgedruckt!) mit Foto und einem von Konstantin
Simonow ("unser sowjetischer Hemingway")
verfassten
Geleitwort in der Zeitschrift "Molodaja gwardija" nach ihrem
unerschrockenen Auftritt im Büro des stellvertretenden
Chefredakteurs Alexander Jewsejewitsch Rekjemtschuk,
Die "kreative Zugfahrt" beschreibt z.B. folgende Stationen: Sergej
Michalkows Einsatz, der Viktorija Tokarjewa das Studium an der Moskauer
Filmhochschule ermöglichte, die zukunftsträchtige
Begegnung mit Wladimir Woinowitsch, eine Verliebtheit samt
Schaffensrausch mit dem Drehbuchautor Georgij Danelija. Auch werden
einige Affären innerhalb der umtriebigen Moskauer Filmemacher-
und Schriftstellerszene festgehalten, man lernt die
Entstehungsgeschichte der Hymne der Kosmonauten kennen, Karrieren
anderer Schriftsteller im Wandel der Zeiten werden beleuchtet. Eine
besonders offenherzige Szene findet sich auf den Seiten 128 und 129, wo
eine Begegnung samt lustig-peinlicher Kürzestunterhaltung
zwischen der Schriftstellerin und Michail
Gorbatschow beschrieben wird.
Als die Perestroika neue Möglichkeiten eröffnete und
Viktorija Tokarjewa auf der "Frankfurter Buchmesse" ihre
Bücher in deutschen Übersetzungen vorfand, begann
sie, sich vehement für die wirtschaftliche Seite der
Schriftstellerei zu interessieren, weil die "Allsowjetische Agentur
für Autorenrechte" den Löwenanteil der Einnahmen
einzubehalten pflegte. Und wieder einmal ergab sich eine
glückliche Fügung: Der Schweizer Verleger Daniel Keel
wollte die Autorin schon seit längerer Zeit für
seinen Verlag gewinnen - der Rest ist sozusagen Geschichte.
Nicht unerwähnt bleiben auch der offenbar
äußerst geduldige Ehemann sowie Zeiten von Armut und
Not, allerdings schwingen stets vernehmlich Optimismus und Vertrauen
auf die eigenen Fähigkeiten mit. Und schließlich
konnte sich Viktorija Tokarjewa aufgrund der Beliebtheit ihrer
Bücher und des ausgehandelten Vertrags ihr Traumhaus bauen
lassen.
Viktorija Tokarjewas unterhaltsame autobiografische Splitter und
Anekdoten, ihre Gedanken und Schlussfolgerungen bringen
Wertschätzung für all jene Männer, die ihren
Weg mitgeprägt haben, zum Ausdruck und vermitteln
überdies das Bild einer Frau von Format, die nie den Boden
unter den Füßen verloren hat und den wohlverdienten
Erfolg zu genießen versteht.
Die deutschsprachige Ausgabe enthält neben "Meine
Männer" auch den Essay "Mein Tschechow.
Eine Skizze", worin
Viktorija Tokarjewa über ihre
höchstpersönlichen Lektüreerlebnisse
schreibt und allerlei Gedankengänge sowie einige allgemeine
Feststellungen zu den Themen Moral, Liebe, Schicksal und
Lebensweisheiten ausbreitet.
"Meine Männer" ist nicht nur als Würdigung von -
stellenweise als Abrechnung mit - Zeitgenossen, sondern wohl auch als
Ermutigung zu lesen, den eigenen Fähigkeiten zu vertrauen,
sich eine gewisse kindliche Direktheit zu bewahren, unbedingt der
inneren Berufung zu folgen und vorhandene Talente nicht
verkümmern zu lassen, denn das Leben ist kurz!
(kre; 11/2017)
Viktorija
Tokarjewa: "Meine Männer"
(Originaltitel "Moi mužčiny")
Aus dem Russischen von Angelika Schneider.
Diogenes, 2017. 164 Seiten.
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